# taz.de -- Schäden und Verlust in der Klimakrise: Das große Klimakosten-Tabu | |
> Wer zahlt für die Schäden der Klimakrise? Afrikanische Staaten wollen das | |
> Thema auf der Konferenz in Ägypten oben auf die Tagesordnung setzen. | |
Bild: Die letzte Wasserstelle: Dürre in der Somali-Region in Äthiopien im Jan… | |
BERLIN taz | Nicola Sturgeon hat die Grenzen des Sagbaren gesprengt. | |
Zumindest die Grenzen dessen, was die Vertreterin eines Industrielands auf | |
einem Klimagipfel sagen kann. Schottlands Regierungschefin sprach im | |
November auf der Weltklimakonferenz in Glasgow von „Reparationen“ und | |
kündigte an, eine Million Britische Pfund in einen Fonds für arme Länder | |
einzuzahlen. Das Geld soll helfen, wenn die Klimakrise zerstört hat, wenn | |
es Schäden gibt. Später verdoppelte sie die Summe. | |
„Wir haben nicht die Ressourcen anderer westlicher Regierungen, aber wir | |
können mit gutem Beispiel vorangehen“, sagte sie. Und trotz des | |
pragmatischen Tonfalls und der symbolischen Geldmenge war damit ein Tabu | |
gebrochen. | |
Vom Klimagipfel in Glasgow [1][blieben andere Bilder]: die Aufregung vieler | |
Verhandler:innen, weil eigentlich erstmals der globale Kohleausstieg | |
festgeschrieben werden sollte und nach Intervention von China und Indien | |
plötzlich nur noch die Rede von Kohlereduzierung war. Wie der britische | |
Konferenzpräsident Alok Sharma die anderen Länder unter Tränen um | |
Entschuldigung dafür bat. Trotzdem ist es eigentlich Sturgeon, die mit | |
ihrer bescheidenen Finanzzusage Geschichte geschrieben hat. | |
Es war das erste Mal, dass ein Industrieland Klimageld an arme Länder gibt, | |
das explizit nicht für die Abmilderung der Klimakrise gedacht ist oder für | |
die Anpassung an ihre Folgen – sondern eben für den Umgang mit Schäden, mit | |
Verlust. Es ist die finanzielle Anerkennung der Realität, dass es durch den | |
Klimawandel Tod und Zerstörung gibt und noch viel mehr geben wird. Und es | |
ist das Eingeständnis, dass der Globale Norden dafür Verantwortung trägt. | |
## Das Programm für die nächste Weltklimakonferenz | |
Das ist es, was afrikanische Staaten in den Fokus der nächsten | |
Weltklimakonferenz rücken wollen, die im November im ägyptischen Scharm | |
el-Scheich stattfinden soll. „Afrikanische Länder geben jetzt schon | |
durchschnittlich 9 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für den Umgang mit | |
Extremwetterereignissen aus“, sagte Jean-Paul Adam, früher | |
Gesundheitsminister auf den Seychellen, jetzt Klimaexperte bei der | |
Wirtschaftskommission für Afrika der Vereinten Nationen, in der vergangenen | |
Woche im Anschluss an einen EU-Afrika-Gipfel. | |
Es steckt nicht immer der Klimawandel dahinter, wenn Wetter zur Katastrophe | |
wird. Die Dürre, die die aktuelle Hungersnot im Süden Madagaskars ausgelöst | |
hat, hätte es zum Beispiel auch ganz ohne die industriellen Treibhausgase | |
in der Atmosphäre gegeben. Das haben Wissenschaftler:innen der | |
Forschungsinitiative World Weather Attribution ermittelt. Aber | |
wissenschaftlicher Konsens ist: In Afrika steigen Temperaturen und | |
Meeresspiegel noch stärker als im globalen Durchschnitt. | |
Afrika ist also schon aus geografischen Gründen besonders vom Klimawandel | |
betroffen. Jahrhunderte der Kolonialgeschichte haben den Kontinent aber | |
auch in anderer Weise verletzlich gemacht, etwa durch Armut. Wie riskant | |
der Klimawandel ist, hängt nicht nur davon ab, wie extrem er wird – sondern | |
auch, worauf er trifft. | |
Der Weltklimarat IPCC, in dem Hunderte Wissenschaftler:innen im | |
Auftrag der Vereinten Nationen regelmäßig den aktuellen Sachstand zum | |
Klimawandel zusammentragen, hat am Montag einen neuen [2][Bericht zu den | |
Folgen der Erderhitzung vorgestellt] und darin auf die bereits jetzt | |
dramatischen Schäden durch den Klimawandel hingewiesen. | |
Auch dort geht es um das sogenannte Propeller-Modell. Klimarisiko ergibt | |
sich demnach aus dem Zusammenspiel dreier Rotorblätter: der Stärke der | |
klimatischen Bedrohung, wie sehr man ihr ausgesetzt ist und wie verletzlich | |
man ist. In vielen afrikanischen Regionen wiegen alle drei schwer. | |
„Die aktuelle Lage verstärkt Afrikas Abhängigkeit von Almosen und | |
Hilfsgeldern“, klagt Jean-Paul Adam. Im Katastrophenfall fehlt das Geld, | |
die Hilfswerke müssen auf Spendenbereitschaft der Menschen in reichen | |
Ländern hoffen. Zwar gibt es mittlerweile für manche Probleme | |
Klimarisikoversicherungen, aber die Klimakrise stellt auch die | |
Versicherungsbranche vor Herausforderungen. Kein profitorientiertes | |
Unternehmen versichert Schadensfälle, die mit Sicherheit eintreten werden. | |
Und solche gibt es eben in der Klimakrise. | |
International vereinbart ist, dass Geld aus dem Globalen Norden in den | |
Süden fließt, um diese Fälle zu vermindern. Schließlich haben die | |
Industrieländer Geld und sind durch ihre hohen Emissionen seit der | |
Industrialisierung auch noch größtenteils für das Problem verantwortlich. | |
Sie haben sich deshalb zur sogenannten Klimafinanzierung verpflichtet. 100 | |
Milliarden US-Dollar wollten sie insgesamt von 2020 bis 2025 jährlich | |
zahlen, die Hälfte davon für Projekte, die Emissionen senken, die andere | |
für die Anpassung an neue klimatische Gegebenheiten. | |
Vollständig geliefert [3][wurde das bisher nicht]. Außerdem zeigen Studien | |
von Hilfswerken, dass vor allem Geld in die Senkung von Emissionen fließt, | |
[4][während die Anpassung vernachlässigt wird]. Ein Teil der Erklärung | |
dürfte lauten: Die Projekte sind für Investor:innen weniger attraktiv. | |
Ein Windpark erzielt Einnahmen, ein Damm nicht. | |
## Angst vor der Haftung für die Klimakrise | |
Um für die Zerstörung nach einem Extremwetterereignis aufzukommen, darf das | |
Geld nicht verwendet werden – selbst wenn ein Zusammenhang mit dem | |
Klimawandel wissenschaftlich nachgewiesen ist. Klimafinanzierung ist | |
zweckgebunden, darf nur prophylaktisch eingesetzt werden. Auf der | |
Weltklimakonferenz in Glasgow hatten die Länder des Südens Geld für Schäden | |
und Verluste gefordert, waren damit aber außer bei Schottland nicht | |
durchgedrungen. Lediglich ein Arbeitskreis zum Thema wurde gegründet. | |
Das Problem: Die reichen Staaten befürchten, dass Zahlungen für Schäden und | |
Verluste die gesamtumfängliche Haftung für die Klimakrise nach sich ziehen | |
könnte, obwohl das Paris-Abkommen das eigentlich ausschließt. | |
Und während in deutschen Talkshows die Kostenfrage der Klimakrise mit | |
launiger Empörung verhandelt wird, als erschöpfe sie sich [5][im hiesigen | |
Benzinpreis], offenbart sich hier ihr eigentliches Ausmaß: Wie soll jemand | |
jemals für untergehende Inseln mit eigenen Naturwundern, Kulturgütern, | |
Sprachen aufkommen? Für Millionen von Menschenleben? | |
„Die nächste Weltklimakonferenz ist eine afrikanische Weltklimakonferenz | |
auf afrikanischem Boden“, meint Tasneem Essop, Chefin des internationalen | |
Klima-Dachverbands Climate Action Network. „Es muss die COP werden, die im | |
Interesse der Verletzlichen handelt, in Afrika und überall.“ | |
Der Schlüssel dazu sei umfassende Klimafinanzierung. „Die reichen Länder | |
müssen liefern“, sagt sie. „Der Bedarf ist so groß, die 100 Milliarden | |
werden wie ein Spaziergang wirken. Wenigstens das sollten sie einfach | |
bezahlen.“ Nicola Sturgeon hat einen Anfang gemacht. | |
1 Mar 2022 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Susanne Schwarz | |
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