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# taz.de -- Russlands Einnahmen verringern: Energie sparen gegen den Krieg
> Um Russland den Geldhahn zuzudrehen und das Klima zu schützen, gibt es
> ein einfaches Mittel: Energie sparen. Eine „Effizienzrevolution“ ist
> nötig.
Bild: Unterwegs mit 2 PS: Während der Ölkrise 1973 ziehen zwei Pferde einen V…
Keiner hat’s gemerkt: Am vergangenen Samstag, dem 5. März, war
Internationaler Tag des Energiesparens. Während der russische Überfall auf
die Ukraine unvermindert weiterging, flossen auch an jenem Datum wie
gewöhnlich etwa 380 Millionen Kubikmeter russisches Erdgas über Pipelines
nach Europa – wofür staatliche russische Energiekonzerne eine Rechnung von
etwa 700 Millionen Euro stellen. Tag für Tag.
Während Deutschland, die EU und die Nato nun aufgeregt darüber diskutieren,
wie der Westen vom russischen Gas unabhängiger werden kann und welche
Sanktionen die russische Wirtschaft hart treffen, bleibt eine der
wichtigsten Waffen des Westens bislang im Arsenal: weniger Verbrauch von Öl
und Gas. Schon 1973 beim „Ölpreisschock“ waren Fahrverbote die Antwort auf
knappes und teures Benzin. Und seit Jahren wird „mehr Energieeffizienz“ in
der deutschen und internationalen Energiepolitik gefordert und gefördert,
weil sie billig, klimafreundlich, einfach und juristisch problemlos ist,
weil sie allen einleuchtet und für alle Seiten Vorteile bringt.
Nun könnte die große Stunde der Sparsamkeit gekommen sein – um Putins
Wirtschaft zu schaden, die deutsche Wirtschaft zu modernisieren, Geld zu
sparen und die Klimaziele zu erreichen. Aber in dem Land, in dem Geiz
angeblich so geil ist, fehlt bislang eine konzertierte Aktion nach dem
Motto: „Energie sparen für den Frieden“.
## Habeck bleibt erst mal unkonkret
Von der Bundesregierung jedenfalls kommt bisher nicht viel Neues. Der grüne
Wirtschaftsminister Robert Habeck, auch zuständig für Energie und
Effizienz, ist in den vergangenen Tagen damit beschäftigt, Forderungen nach
einem sofortigen Boykott von russischem Öl, Gas und Kohle abzuwehren – und
gleichzeitig andere Länder zu finden, die diese fossilen Rohstoffe liefern
können. [1][Am Mittwoch sagt er im „heute journal“, die Regierung „kann …
Maßnahmen beschließen, die wir durchhalten und die nicht zu schweren
wirtschaftlichen Schäden führen“.] Das klang wie eine Beschreibung des
Energiesparens. Doch ein konkretes Wort fiel dazu nicht.
Fragt man in Habecks Ministerium nach, heißt es, die Regierung fördere ja
ohnehin mehr Effizienz bei Gebäuden und der Industrie, verbessere die
Gesetze und überarbeite den „Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz“. Das
werde man nun „umso dringlicher verfolgen“, also: neue Sparpotenziale
erschließen und die Information der VerbraucherInnen überarbeiten. Es heißt
auch: „Wir haben doch [2][die Webseite ‚Deutschland macht’s effizient‘!…
Sie bietet einen Überblick über Förderprogramme und Energiespartipp]s, mit
einem lustigen Eichhörnchen als Maskottchen.
Dabei kommt der Ruf nach einem großen Sparprogramm (siehe Spalte)
inzwischen von vielen Seiten. Die Internationale Energieagentur [3][IEA
legte Anfang März einen Vorschlag mit 10 Punkten vor], mit denen die EU bis
zum nächsten Winter ihren Gas-Import aus Russland um gut ein Drittel
reduzieren könnte. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die
Bürger aufgefordert, den Energieverbrauch zu drosseln. Die
Unternehmensinitiative [4][DENEFF, eine Lobbygruppe fürs Energiesparen,
fordert für Deutschland ein „Energiesparpaket von historischer Dimension,
um die stille Reserve Energieeffizienz jetzt zu nutzen“]. Zusammen mit etwa
20 Verbänden schlägt sie einen „Gipfel für Energiesouveränität“ vor, um
Maßnahmen für Ausbau der Erneuerbaren und Effizienz „in nie dagewesenem
Tempo“ zu vereinbaren.
Die Umweltverbände [5][Greenpeace] und [6][Deutsche Umwelthilfe] wiederum
haben zusammengestellt, was BürgerInnen tun und lassen können, um Putin das
Geld für den Krieg zu entziehen. Und auch [7][das Umweltbundesamt (UBA)
verkündet] „Rund zehn Prozent der Erdgasimporte aus Russland sofort
einsparbar.“
Das sieht auch Simon Müller, Deutschland-Chef von Agora Energiewende,
ähnlich. Schon einfache Maßnahmen in Gebäuden würden viel bringen. „Ein
Absenken der Raumtemperatur um 1–2 Grad und eine Optimierung der
Heizungseinstellungen kann den Energiebedarf von Haushalten um mindestens
10–15 Prozent senken“, sagt er und fordert: „Die Bundesregierung sollte n…
Bürgerinnen und Bürger gezielt informieren, wie sie kurzfristig den
Verbrauch von Öl und Gas in ihren Wohnungen und Häusern reduzieren können“.
Auch die staatliche Deutsche Energieagentur (dena) macht sich bereit, der
Politik Sparpläne zu präsentieren. Die Materie sei komplex, sagt dena-Chef
Andreas Kuhlmann gegenüber der taz. „Es gibt da nicht ein paar, sondern
hundert Rädchen, an denen zu drehen ist.“ Er schlägt vor, schnell möglichst
viele Interessierte aus Politik, Wirtschaft, Verbänden und Handwerk
zusammenzubringen, „um ganz konkret zu besprechen, welche neuen Regeln wir
brauchen, welche Gelder, welche schnell umsetzbaren Maßnahmen“. Dann, so
ist Kuhlmann zuversichtlich, könne die Energieeffizienz bis zum Winter
einen wichtigen Beitrag zur Lösung der jetzigen Probleme leisten.
## Ein schlafender, schnarchender Riese
Seit Jahrzehnten gilt die Energieeffizienz als „schlafender Riese“ der
Energiewende mit großem Potenzial. Trotz aller Werbekampagnen, Anreize,
Bitten und Förderprogramme schnarcht dieser Riese einstweilen weiter. So
ist der Endenergieverbrauch in den 12 Jahren zwischen 2008 und 2019
insgesamt nur um etwa 2 Prozent zurückgegangen, [8][bemängelt das
Wirtschaftsministerium in seiner „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“.] Um die
Klimaziele bis 2030 zu erreichen, „ist dagegen ein deutlich stärkerer
Rückgang um 20–25 Prozent beim Endenergieverbrauch erforderlich“, heißt es
– also mal eben ein 10-fach höheres Tempo in nur 8 Jahren.
ExpertInnen verzweifeln regelmäßig an den Schwierigkeiten, Energiesparen
effizient und attraktiv zu machen. Die Gründe: Die Preise für Öl, Gas und
Kohle werden – auch durch Subventionen – künstlich niedrig gehalten.
Verbraucher, das Handwerk und Unternehmen sind träge. Und politisch ist es
schwierig, sich für einen unsichtbaren Erfolg starkzumachen: Solaranlagen
kann man sehen, die Einsparung an einer neuen Heizung jedoch nicht.
Was derzeit niemand laut sagt: Gerade jetzt, mitten im blutigen russischen
Krieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung, könnte sich eine Gelegenheit
bieten, endlich mit dem Thema Energiesparen voranzukommen. Die Preise für
Gas und Öl sind gestiegen und werden so hoch bleiben, dass sich
Investitionen schnell lohnen können. Alles, was Deutschland unabhängiger
macht vom russischen Gas, ist jetzt willkommen. Den Ausbau der Erneuerbaren
„haben wir bislang nur unter Klimaschutz-Gesichtspunkten diskutiert“, sagt
Wirtschaftsminister Habeck, „jetzt reden wir darüber endlich auch unter
Sicherheitsaspekten.“
Was beim Klima ein Problem ist, fällt bei der Energie-Unabhängigkeit
weniger ins Gewicht: der sogenannte „Rebound“-Effekt. Er beschreibt das
Dilemma, dass eingesparte Energiekosten anderweitig investiert werden und
damit die Ökobilanz hinterrücks doch wieder verderben. Wer allerdings
russisches Gas spart, um vom so gewonnenen Geld eine Reise zu machen, nutzt
vielleicht dem Klima wenig – aber wenn er nicht nach Russland fährt, fließt
sein Geld wenigstens nicht in die Taschen von Putins Oligarchen.
Für eine große nationale Anstrengung zum Energiesparen spricht auch noch
ein anderer Grund: Praktisch [9][alle Konzepte für die angestrebte
Klimaneutralität bis 2045] gehen stillschweigend davon aus, dass
Deutschland kräftig in Energieeffizienz investiert. Einen Teil davon wird
der Umstieg auf erneuerbare Energien bringen, weil sie Energie viel
effizienter umsetzen als Gas, Öl oder Kohle. [10][Aber alle Studien gehen
auch davon aus, dass sich der Energieverbrauch in Deutschland bis 2045 etwa
halbieren muss.] Damit könnte das Land jetzt ernsthaft anfangen.
11 Mar 2022
## LINKS
[1] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/robert-habeck-gas-oel-importe-ukrain…
[2] https://www.deutschland-machts-effizient.de/KAENEF/Navigation/DE/Home/home.…
[3] https://www.iea.org/reports/a-10-point-plan-to-reduce-the-european-unions-r…
[4] https://deneff.org/wp-content/uploads/2022/03/20220303_DENEFF_Historisches-…
[5] https://www.greenpeace.de/publikationen/20220309-greenpeace-massnahmen-kein…
[6] https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/fuer-klimasch…
[7] https://www.umweltbundesamt.de/
[8] https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/Energie/220111_eroeffnungsbilanz…
[9] https://www.dena.de/newsroom/meldungen/dena-leitstudie-aufbruch-klimaneutra…
[10] https://www.agora-energiewende.de/veroeffentlichungen/klimaneutrales-deuts…
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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