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# taz.de -- Bundesregierung ruft Alarmstufe aus: Im Januar droht Gasmangel
> Mit Ausrufung der Alarmstufe für Gas schafft der Wirtschaftsminister die
> Bedingung für Einsparmaßnahmen. Solche sind auch bitter nötig.
Bild: Vorwärmen: Die Alarmstufe soll auch private Sparsamkeit beim Gasverbrauc…
Berlin taz | In gut zwei Wochen gibt es schon mal einen Vorgeschmack auf
das, was kommen könnte: Dann wird Nord Stream 1 zwei Wochen lang gewartet.
In dieser Zeit wird durch die Ostsee-Pipeline, die in Greifswald endet,
keinerlei russisches Gas nach Deutschland gelangen. Ob die Lieferungen
danach wieder aufgenommen werden oder ob Putin die Wartungspause zum Anlass
nimmt, die Lieferungen komplett einzustellen, ist entscheidend für die
Frage, ob es im nächsten Winter genug Erdgas in Deutschland gibt.
Schon seit rund einer Woche kommt durch die Nord Stream 1 nur etwa 40
Prozent der Gasmenge, die die Pipeline theoretisch transportieren könnte.
Derzeit führt das noch nicht zu Engpässen; trotz der gesunkenen
Liefermengen haben sich die Gasspeicher in den letzten Tagen weiter
gefüllt, mit nur leicht vermindertem Tempo. Doch wenn nach dem Sommer der
Gasverbrauch wieder ansteigt, könnten auch russische Lieferungen auf dem
derzeitigen Niveau zu einer Gaslücke führen.
Das zeigen Modellierungen, die die Bundesnetzagentur am Donnerstag
vorgestellt hat. Verhindern ließe sich ein Mangel ab Ende Januar in diesem
Fall nur, wenn entweder die Menge an russischem Gas, die Deutschland an
andere Länder weiterleitet, deutlich reduziert wird. Oder wenn zum
Jahreswechsel die beiden geplanten schwimmenden Terminals für Flüssigerdgas
(LNG) in Brunsbüttel und Wilhelmshaven den Betrieb aufnehmen und zudem der
deutsche Erdgas-Verbrauch ab Juli um 20 Prozent sinkt. Doch auch dann würde
es nicht gelingen, die Gasspeicher wie vorgesehen bis zum 1. November zu
90 Prozent zu füllen.
Noch düsterer sind die Aussichten, wenn die Lieferungen aus Russland nach
der Pipeline-Wartung nicht wieder aufgenommen werden: Dann ist es in jedem
Fall erforderlich, die Exporte aus Deutschland zu reduzieren, um eine
Gaslücke im Zeitraum von Dezember bis April zu verhindern. Doch auch wenn
das passiert, wären die Speicher im Frühjahr fast leer; Reserven, etwa für
den Fall, dass der Winter kälter wird als im Durchschnitt, gäbe es kaum.
Die wären nur gegeben, wenn zusätzlich die neuen LNG-Terminals in Betrieb
gehen und der Gas-Verbrauch in Deutschland sinkt.
## Leere Speicher
„Die meisten Szenarien führen zu leeren Speichern“, kommentierte
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstag die Prognosen – und
folgerte: „Gas ist von nun an ein knappes Gut.“ Aus diesem Grund rief er am
Donnerstag die sogenannte Alarmstufe aus, die zweite von drei Stufen des
Notfallplans Gas.
Unmittelbare Konsequenzen hat diese Ausrufung nicht, aber sie schafft die
formale Voraussetzung für eine Maßnahme, die die Regierung bereits zuvor
angekündigt hatte: Um Gas zu sparen, sollen die Stromproduktion in
Gaskraftwerken verringert und dafür Kohlekraftwerke länger am Netz bleiben
dürfen als bisher geplant. Das Gesetz, das dieses ermöglichen soll,
befindet sich aber noch im parlamentarischen Verfahren; es soll am 8. Juli
final beschlossen und dann schnell angewendet werden.
Eine weitere Regelung, für die das Ausrufen der Alarmstufe die
Voraussetzung ist, tritt dagegen zunächst noch nicht in Kraft: Eine neu
geschaffene Preisanpassungsklausel im Energiewirtschaftsgesetz gibt
Gasversorgern das Recht, unabhängig von Vertragslaufzeiten und
Preisgarantien gestiegene Einkaufspreise für [1][Erdgaspreise an die
Kund*innen weiterzugeben]. Dafür ist aber zusätzlich eine offizielle
Erklärung der Bundesnetzagentur im Bundesanzeiger erforderlich, die noch
nicht abgegeben wurde. Ob und wann das doch noch passiert, blieb am
Donnerstag offen. Die Regelung trete „heute noch nicht in Kraft“, erklärte
der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, lediglich.
Hintergrund scheint zu sein, dass die Regierung die Konsequenzen der neuen
Regelung fürchtet: Für manche Gaskunden könnten sich die Preise schlagartig
verfünffachen. In diesem Fall wären viele Verbraucher*innen auf
finanzielle Unterstützung angewiesen – doch darüber gibt es noch keine
Einigung.
Beim Koalitionsgipfel am Mittwochabend waren die drohenden
Energiepreissteigerungen zwar Thema. Die aus der Küche gereichten Erdbeeren
sollen lecker gewesen sein und die Stimmung konstruktiv – was allerdings
auch daran gelegen haben dürfte, dass keine Beschlüsse auf der Tagesordnung
standen, schon gar nicht zu neuen Entlastungen. Die Regierungsparteien
wollen offenbar zunächst die Wirkung der bisherigen Entlastungspakete
auswerten und die konzertierte Aktion mit Arbeitgeberverbänden und
Gewerkschaften abwarten.
## Zahlungsausfälle befürchtet
Zudem gibt es in der Bundesregierung offenbar Überlegungen, die
Preisanpassungsregel noch einmal zu überarbeiten. Denn nicht nur
Verbraucherschützern machen die sprunghaften Preisanstiege Sorge, die damit
drohen. Auch der Verband Kommunaler Unternehmen (VKU), in dem viele
Gasversorger organisiert sind, sieht die Regelung kritisch. Er warnt vor
„enormen Liquiditätsrisiken“, weil bis zum rechtssicheren Vollzug der
Forderungen viel Zeit vergehe. „Zudem ist mit erheblichen Zahlungsausfällen
bei den Endkunden zu rechnen“, warnt der Verband.
Daneben sei das Verfahren ungerecht, weil es – je nach Anteil russischen
Gases beim Lieferanten – extreme Preisunterschiede geben würde. Als
Alternative schlägt der VKU vor, dass der Staat den Gaspreis schon beim
Import deckele und die Kosten dafür über eine Umlage auf alle Kunden
verteilt werden. Egal wie die Entscheidung ausfällt – deutlich teurer wird
Gas in jedem Fall werden. „Die Preise sind jetzt schon hoch“, sagte
Habeck. „Und wir müssen uns auf weitere Anstiege gefasst machen.“
Mitarbeit: Tobias Schulze
23 Jun 2022
## LINKS
[1] /Alarmstufe-bei-Gasversorgung/!5859878
## AUTOREN
Malte Kreutzfeldt
## TAGS
fossile Energien
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Schwerpunkt Klimawandel
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Bündnis 90/Die Grünen
Erdgas
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