# taz.de -- Besetzung des Verteidigungsministeriums: Krieg wird wieder Männers… | |
> Dass Boris Pistorius (SPD) neuer Verteidigungsminister wird, ist eine | |
> Überraschung. Dabei war in Niedersachsen klar, dass er nach Höherem | |
> strebt. | |
Bild: Er hat gedient und er kann mit Uniformierten, der neue Verteidigungsminis… | |
HANNOVER/ BERLIN taz | Es gibt, so sagen böse Zungen, wohl zwei Gründe, die | |
für den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) als neuen | |
Verteidigungsminister sprechen: Er hat gedient und er kann mit | |
Uniformierten. Ob dies reicht, wird sich zeigen. | |
Natürlich galten auch seine Vorgänger*innen im Amt als erfahrene | |
Innenpolitiker*innen, jedoch spielt das Militär in Niedersachsen mit seinen | |
zahlreichen Bundeswehrstandorten eben schon eine besondere Rolle. Auch | |
habe er immer eine gewisse Nähe zu diesem Thema gehabt, sagt Pistorius über | |
sich. Tatsächlich tummelte er sich öfter in Kasernen, auf | |
Truppenübungsplätzen und Marinestützpunkten, als seine Zuständigkeit für | |
den Katastrophenschutz – das wichtigste innenpolitische Bindeglied zur | |
Truppe – das unmittelbar notwendig gemacht hätte. | |
Vergangenen September verkündete er gemeinsam mit Ministerpräsident Stephan | |
Weil stolz, es sei ihnen gelungen das dritte Heimatschutzregiment ins | |
niedersächsische Nienburg zu holen, im Oktober eröffnete er den | |
Jahresempfang der Wehrbeauftragten Eva Högl in der niedersächsischen | |
Landesvertretung in Berlin. Im November reiste er mit der deutschen | |
Delegation des Bundesrates zur parlamentarischen Versammlung der NATO in | |
Madrid. | |
Dort standen immerhin auch Diskussionen mit dem aus der Ukraine | |
zugeschalteten Präsidenten Wolodimir Selenski auf dem Programm und ein | |
Thema, auf das sich Pistorius in Niedersachsen früh gestürzt hat: Die | |
Cybersicherheit und die Absicherung kritischer Infrastruktur, auch so eine | |
Nahtstelle zwischen innerer und äußerer Sicherheit. | |
## Ein etwas unglücklicher Auftakt | |
Man hätte also doch etwas ahnen können, auch wenn die Personalie nun als | |
große Überraschung gehandelt wird und die Spekulationen darüber, wer vorher | |
wohl schon alles abgesagt hat, nicht abreißen. Der Auftakt wirkte | |
allerdings ein wenig verstolpert: Da wurde eine Pressekonferenz zur | |
Verkündung anberaumt und wieder abgesagt, schließlich überschnitten sich | |
die Statements des Kanzlers und seines neuesten Kabinettsmitgliedes, die | |
getrennt vor die Kamera traten. Dann rutschte Pistorius eine nicht ganz | |
glückliche Formulierung heraus: Er sprach von „Zeiten, in denen Deutschland | |
an einem Krieg beteiligt ist, indirekt“. | |
Dass der 62-jährige Boris Pistorius nach Höherem strebt und sich durchaus | |
noch einen weiteren großen Karriereschritt vorstellen kann, [1][galt in | |
Niedersachsen allerdings schon länger als offenes Geheimnis]. Zuletzt wurde | |
er als möglicher Nachfolger der Bundesinnenministerin Nancy Faeser | |
gehandelt. Dieses Amt hätte zweifellos besser zu seinem bisherigen Profil | |
gepasst. | |
Klar ist aber auch, dass er zu keiner Herausforderung Nein sagt. Schon gar | |
nicht zu so einem gewichtigen Amt wie dem Verteidigungsministerium in einer | |
historisch so bedeutenden Situation. Er habe nicht lange überlegen müssen, | |
als der Kanzler ihn am Montag anrief, sagte Pistorius bei seinem ersten | |
Statement nach dem Verkünden der überraschenden Personalie am Dienstag in | |
Hannover. | |
In Niedersachsen gilt Pistorius als Mann für die klare, gern auch | |
hemdsärmelige, direkte Ansprache – und als jemand, der auch dann die Nerven | |
behält, wenn es brenzlig wird. Bevor er 2013 das Innenministerium im ersten | |
rot-grünen Kabinett Weil übernahm, war er Oberbürgermeister von Osnabrück �… | |
der „Friedensstadt“, wie sie die Stadtmarketingstrategen getauft haben, | |
ausgerechnet. Das ist der klassische niedersächsische Weg: Von der | |
Kommunalpolitik in die Landespolitik, Erfahrungen auf internationalem | |
Parkett sind dabei eher nicht vorgesehen. | |
## Zu den linken Sozialdemokraten darf man ihn nicht rechnen | |
Weil Pistorius den Innenministerposten von CDU-Hardliner Uwe Schünemann | |
übernahm, wirkte er zunächst einmal milder. Er äußerte sich differenzierter | |
zu Migrationsfragen als sein Vorgänger, kündigte eine Kehrtwende in der oft | |
grausamen, Familien zerreißenden Abschiebepolitik an, bezog klar Position | |
gegen rechts, wo sich Schünemann noch bevorzugt an tatsächlichen oder | |
imaginierten Linksextremisten abgearbeitet hatte. | |
Zu den linken Sozialdemokraten darf man ihn deshalb trotzdem nicht rechnen, | |
und dass er auch Sheriff kann, bewies er schnell. Er ist vor allem | |
Pragmatiker, mit einem sicheren Instinkt für die [2][Themen, die sich | |
medial gut vermarkten lassen. Geldautomatensprengungen, Clankriminalität, | |
Verbot des Z-Symboles] – egal, welches Thema gerade virulent ist, Boris | |
Pistorius steht schon mit markigen Ankündigungen bereit. Als die | |
SPD-Vorsitzende Saskia Esken von einem „Polizeiproblem“ sprach, stellte er | |
sich mit breiter Brust vor seine Truppe. | |
In seine zehnjährige Amtszeit als Innenminister fielen allerdings auch | |
einige Skandale, an die anlässlich seiner Nominierung vor allem die | |
niedersächsische Linke gern und süffisant erinnert. Das waren verschwundene | |
Waffen aus Polizeibeständen, deren Verbleib nie aufgeklärt werden konnte. | |
Und der für Fehltritte notorisch anfällige niedersächsische | |
Verfassungsschutz, der mal mit der Beobachtung unbescholtener Bürger, mal | |
mit dem versehentlichen Enttarnen eines eigenen V-Mannes auf sich | |
aufmerksam machte. Doch auch in solchen Fällen war auf Pistorius’ | |
politische Instinkte scheinbar immer Verlass: Der wusste stets genau, wann | |
er einen Skandal aussitzen konnte und wann er mit einer beherzten | |
Personalrochade abgeräumt werden musste. | |
Die Reaktionen der Ampel-Partner, die wie die Öffentlichkeit erst am | |
Dienstag von der Personalentscheidung erfahren haben, sind freundlich – | |
wenn auch nicht frei von kritischen Zwischentönen. Pistorius sei „der | |
richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt“, sagt FDP-Fraktionschef Christian | |
Dürr. Bei den Grünen betonen vor allem niedersächsische Abgeordnete, die | |
Pistorius aus Hannover kennen, die Qualitäten des Neuen: ein guter Manager, | |
pragmatisch, bei allen inhaltlichen Differenzen auch umgänglich. | |
## Parität versus konkrete Personalfrage | |
Auf die lobenden Worte folgt dann jedoch meist ein Aber: Aus Sicht der | |
Grünen sei „eine paritätische Besetzung des Kabinetts extrem wichtig“, | |
sagt Fraktionschefin Katharina Dröge. Ihre Partei halte diesen Grundsatz | |
ein und es hätte auch genug Frauen gegeben, die für das Amt geeignet | |
gewesen wären. | |
Der Ärger über den Kanzler ist nicht zu überhören: Im Wahlkampf [3][hatte | |
Olaf Scholz versprochen, das Kabinett mit mindestens so vielen Männern wie | |
Frauen zu besetzen]. Weil die FDP nicht mitspielte, hatte er diese | |
Ankündigung schon bei der Regierungsbildung nicht eingehalten. Schon vor | |
Lambrechts Rücktritt konnte man das Kabinett nur als paritätisch besetzt | |
bezeichnen, wenn man den Kanzler selbst heraus- oder Kulturstaatsministerin | |
Claudia Roth hineinrechnete. | |
Jetzt helfen auch keine Rechentricks mehr und die | |
Sozialdemokrat*innen versuchen in ihren Erklärungen vom Dienstag | |
nicht mal, den Wortbruch schlüssig zu erklären. Die Frage der Parität sei | |
dem Bundeskanzler und der Parteispitze weiterhin wichtig, sagt nur SPD-Chef | |
Lars Klingbeil auf Nachfrage. Jetzt sei es aber eben um eine konkrete | |
Personalfrage gegangen. | |
Neben der Frage der Parität sorgt bei den Koalitionspartnern auch | |
Pistorius’ Haltung gegenüber Russland für Stirnrunzeln. Der neue | |
Verteidigungsminister müsse die Ukraine so unterstützen wollen, „dass sie | |
diesen Krieg gewinnt“, sagt Grünen-Fraktionschefin Dröge. Möglich, dass es | |
hier innerhalb der Ampel in Zukunft weitere Reibungen geben wird: Nach dem | |
russischen Angriff auf die Ukraine gab sich Pistorius als Innenminister | |
zwar hart und ließ in Niedersachsen schnell das „Z“-Symbol der russischen | |
Kriegspropaganda verbieten. | |
## Vom ersten Tag an viel zu tun | |
In der Vergangenheit unterstützte er aber auch schon mal den in der | |
niedersächsischen SPD weit verbreiteten russlandfreundlichen Kurs. 2018 | |
stellte er die wegen des ersten Angriffs auf die Ukraine verhängten | |
Russland-Sanktionen in Frage. Im Bundesrat gehörte er der | |
deutsch-russischen Freundschaftsgruppe an. | |
Gut möglich also, dass Pistorius bei seinen ersten internationalen | |
Begegnungen als Verteidigungsminister erst mal Misstrauen beseitigen muss. | |
Schon am Freitag steht ein Termin an, bei dem er Amtskolleg*innen | |
diverser Partnerstaaten kennenlernen wird: Auf der Ramstein Air Base in | |
Rheinland-Pfalz beraten die Unterstützer-Staaten der Ukraine über weitere | |
Waffenlieferungen. Einmal mehr wird es dort auch um die Forderung gehen, | |
dass Deutschland Kampfpanzer liefert. Die grundsätzliche Entscheidung | |
darüber liegt zwar im Kanzleramt. Für die Kommunikation, die Feinabstimmung | |
mit den Partnern und das Management möglicher weiterer Lieferungen ist aber | |
der Verteidigungsminister zuständig. | |
Auch sonst wird Pistorius vom ersten Tag an mehr als genug zu tun haben: Er | |
muss das 100-Milliarden-Sondervermögen der Bundeswehr ausgeben und das | |
Beschaffungswesen in den Griff bekommen. Er könnte schon bald Probleme mit | |
dem gefährlichen und fragilen Bundeswehr-Einsatz in Mali bekommen. | |
Rechtsextremismus innerhalb der Bundeswehr ist latent immer ein Thema. Und | |
eine Reform des Ortskräfteverfahrens, nach dem Afghanistan-Abzug vor | |
anderthalb Jahren eigentlich angepeilt, wird von manch einem in der Ampel | |
auch noch immer eingefordert. | |
17 Jan 2023 | |
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## AUTOREN | |
Nadine Conti | |
Anna Lehmann | |
Tobias Schulze | |
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