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# taz.de -- Friedensforscher über das Amt des Verteidigungsministers: „Ein S…
> Friedensforscher Michael Brzoska kennt die Fallstricke von Boris
> Pistorius' schwierigem Amt. Unter anderem plädiert er dafür, mehr „von
> der Stange“ zu kaufen.
Bild: Christine Lambrecht hat die Beschaffung weiterer Pumas vorerst gestoppt. …
wochentaz: Herr Brzoska, beneiden Sie Boris Pistorius um seinen neuen Job?
Michael Brzoska: Nein. Das ist ein Schleudersitz und Herr Pistorius wird
[1][genauso wie seine Vorgängerinnen und Vorgänger mit großen Problemen
konfrontiert sein], die ihm schnell persönliche Kritik bescheren können.
Die Lösungen dafür liegen nicht unmittelbar auf der Hand.
Eine seiner Aufgaben: Die 100 Milliarden Euro aus dem
Bundeswehr-Sondervermögen effizient auszugeben. [2][In einer Studie haben
Sie vorgerechnet], dass über 30 Milliarden versickern könnten, wenn man
alte Fehler wiederholt. Was muss Pistorius anders machen?
Erstens wurden in der Vergangenheit viele komplexe Waffensysteme mit hohen
technologischen Ansprüchen bestellt, die dann nicht funktioniert haben. Das
Zweite ist die Frage, bei wem man bestellt. Die größten Hersteller, die oft
in den USA sitzen, können wegen der hohen Stückzahl billig produzieren.
Wenn man dagegen nur national beschafft und auf exklusive Systeme besteht,
wird es teuer. Allerdings sind das nicht die einzigen Kriterien. Gerade in
der jetzigen Situation geht es auch darum, wie wir die europäische
Verteidigungsindustrie stärken können und ob wir uns langfristig auf die
USA verlassen können.
Wie man es macht, macht man es also falsch.
Man muss überlegen, welche Kriterien man priorisiert. Aus meiner Sicht
sollten Einsatzbereitschaft und Kostensenkung vorrangig sein.
Ein Projekt, das aus dem Sondervermögen bezahlt werden soll, ist der
Transporthubschrauber Chinook von Boeing. Er schien dahingehend
vorbildlich: Nicht das neueste Modell, aber etabliert, zuverlässig und
bezahlbar. Diese Woche kam allerdings die Meldung, dass sich der Preis
verdoppeln könnte – weil das Verteidigungsministerium doch wieder
Sonderwünsche angemeldet hat. Hat Sie das überrascht?
Das ist im Grunde genommen wieder genau das alte Problem. Ich hätte
gedacht, dass es inzwischen anders läuft und man nimmt, was marktgängig
ist. So steht es eigentlich auch in allen Papieren des Ministeriums und der
Koalition.
Gibt es Positivbeispiele?
Bei den F 35-Kampfjets, die ebenfalls aus den USA kommen, wurden bislang
relativ wenig Fehler gemacht.
In einer Beschlussvorlage für den Bundestag sprach das Ministerium selbst
von Kostenrisiken bei den Flugzeugen. Das macht Ihnen keine Sorgen?
Früher war das Problem oft, dass aus dem Verteidigungsministerium nur
positive Meldungen kamen, obwohl man intern schon von erheblichen Risiken
wusste. Als Lehre aus der Vergangenheit benennt man mögliche Probleme jetzt
vorab. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme und aus meiner Sicht sind die
aufgeführten Punkte alle noch im Rahmen.
Die US Air Force hat technische Probleme mit ihren F 35.
Das sind wahrscheinlich größtenteils Kinderkrankheiten, die langsam
beseitigt werden. Bei den Alternativen – F 18 oder Eurofighter – wäre das
Kosten-Nutzen-Verhältnis noch problematischer. Aber ja, die F 35 ist ein
extrem avanciertes System und es ist nicht ausgeschlossen, dass technische
Probleme auftreten. Gelöst werden könnten diese dann nur von den
Amerikanern, weil sie die Baupläne geheim halten und wir keine eigene
Wartungsinfrastruktur aufbauen können. Falls die USA irgendwann
beschließen, dass wir Deutschen die F 35 nicht mehr fliegen sollten, haben
wir tatsächlich ein Problem.
Zuletzt war der [3][Schützenpanzer Puma wegen neuer Pannen in den
Schlagzeilen]. Christine Lambrecht hat die Beschaffung weiterer Pumas
vorerst gestoppt. Wie sollte Boris Pistorius hier weitermachen?
Der Puma ist auch wieder so ein höchst entwickeltes, aber anfälliges
System. Es ist in der Tat fraglich, ob man den Bestand erhöhen sollte. Die
jüngsten Probleme haben sich zwar als weniger gravierend herausgestellt.
Hinsichtlich Einsatzbereitschaft und Kosten ist der Puma aber grundsätzlich
nicht optimal.
Was wäre die Alternative?
In Schweden wird zum Beispiel der weniger komplexe Schützenpanzer CV 90
hergestellt. Der hätte auch den Vorteil, dass er in Europa weiter
verbreitet ist als der Puma, der so teuer ist, dass er außer der Bundeswehr
bis heute keinen anderen Abnehmer gefunden hat. Und dann wird unter
finnischer Führung eine neue Familie von gepanzerten Fahrzeugen unter dem
Namen Famous entwickelt, an dem viele europäische Länder beteiligt sind.
Die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr hängt ja auch stark damit zusammen,
wie gut sie bei der Wartung und Ersatzteilversorgung mit anderen
Nato-Streitkräften zusammenarbeiten kann. Einheitlichkeit könnte wertvoller
sein als Super-Super-Fähigkeiten.
Aus Bundeswehr und Industrie kommt oft das Gegenargument, dass man den
technischen Anschluss verlieren könnte, wenn man keine Hightech-Systeme
entwickelt.
Für die Industrie ist es natürlich immer nett, ein technologisch sehr
anspruchsvolle Systeme zu bauen. Für die Praxis ist das aber nicht
unbedingt nötig. Der Puma-Vorgänger Marder ist 50 Jahre alt und jetzt auf
einmal doch wieder gut genug für Nato-Einsätze.
Am Sonntag [4][reist Pistorius nach Paris]. Es wird dort auch um FCAS
gehen, ein gemeinsam mit Frankreich entwickeltes Kampfflugzeug.
Kostenteilung ohne Abhängigkeit von den USA: ein Musterbeispiel?
Im Prinzip ja. Man sollte die europäische Kooperation ausweiten. Bei FCAS
ist jedoch ein Problem, dass man zwar offiziell an einem gemeinsamen
Projekt arbeitet, aber doch wieder jede Seite komplizierte Sonderwünsche
anmeldet. De facto hat man am Ende wieder zwei verschiedene Waffensysteme,
in die Höhe getriebene Kosten und technische Probleme. Ich würde Herrn
Pistorius raten, den Franzosen zu sagen: Für uns sind Einsatzfähigkeit und
Kosten die zentralen Kriterien. Wir kommen nicht mit irgendwelchen
Sonderdingen und ihr solltet das auch nicht tun.
Ist das das einzige Problem dieses Projekts?
Es kommt noch eins dazu: Bei solchen Projekten gilt das Prinzip des „Juste
retour“. Wenn Deutschland beispielsweise 40 Prozent der Gesamtkosten
bezahlt, müssen im Gegenzug auch 40 Prozent der Aufträge an deutsche
Unternehmen gehen. Einfacher wäre es, wenn man stattdessen ein
Generalunternehmern auswählt, das dann Teilaufträge an die jeweils
günstigsten Hersteller vergeben darf.
Was wohl [5][die deutsche Rüstungsindustrie] davon hält?
Die Bundesregierung müsste eben bereit sein, dem Druck der Industrie
standzuhalten und auch ihr Kompromisse abzuringen. Ein Problem sehe ich
aber natürlich auch: Es wäre nicht optimal, wenn die großen Konzerne alle
Aufträge abgreifen und die mittelständische Industrie leer ausgeht. Am Ende
bliebe vielleicht nur noch ein Hersteller übrig, der die Preise diktieren
kann. Wettbewerb ist durchaus auch ein Ziel, das man mit den anderen,
übergeordneten Zielen austarieren muss.
Wir haben bisher nur über einzelne Beschaffungsprojekte gesprochen, nicht
aber über strukturelle Probleme im Beschaffungswesen der Bundesregierung.
Sind die denn zweitrangig?
Als Grundprobleme sehe ich tatsächlich die Prioritätensetzung und das
Verhältnis zur Industrie. Das sind beides politische Fragen, die nicht
durch die Beschaffungsbürokratie entschieden werden. Sicherlich gibt es
aber auch dort noch erhebliches Potenzial. Man könnte die Vergabeverfahren
weiter beschleunigen und durch bessere Verträge nachträgliche
Kostensteigerungen minimieren. Schon seit letztem Jahr gibt es ein Gesetz,
das bürokratische Vorgaben abbauen und die Klagerechte unterlegener Firmen
einschränken soll. Es ist aber relativ vage formuliert und man muss
abwarten, wie die Gerichte es auslegen.
Verschwendet nur Deutschland so viel seiner Militärausgaben oder gibt es in
anderen Ländern ähnliche Probleme?
Das Problem haben viele, angefangen mit den Amerikanern, die noch viel mehr
auf Hightech setzen als wir. Dort gibt es zwar mehr Unternehmen und
Kapazitäten für Hochtechnologieprojekte. Aber es ist nicht so, dass es
deshalb keine Kostensteigerung und gerissenen Zeitpläne gäbe. Generell
haben die Länder, die von der Stange kaufen, die geringsten Probleme. Oft
sind das kleine Länder, die weniger Geld haben, schon deswegen keine
Sonderforderungen stellen und darauf verzichten, dass viel im eigenen Land
hergestellt werden muss.
Viele befürchten, dass [6][100 Milliarden Sondervermögen] nicht reichen,
die Wehrbeauftragte Eva Högl hält sogar das Dreifache für nötig. Und Sie?
Für eine definitive Antwort fehlen mir Detailkenntnisse. Im Wirtschaftsplan
des Sondervermögens sehe ich kaum unsinnige Vorhaben – mit Abstrichen
vielleicht bei der Marine, die sehr stark berücksichtigt wurde. Das hat
mich gewundert, da für die Landes- und Bündnisverteidigung eher Panzer und
Luftverteidigung gebraucht würden. Auch die Munitionsbeschaffung wird nicht
billig. Zum Sondervermögen kommen noch die Mittel aus dem regulären
Verteidigungshaushalt. Unterm Strich scheint es mir so, dass man jetzt erst
mal mit diesen Mitteln arbeiten sollte.
22 Jan 2023
## LINKS
[1] /Ruecktritte-im-Verteidigungsministerium/!5906195
[2] https://www.greenpeace.de/frieden/sondervermoegen-bundeswehr-verschwendet
[3] /Ausfaelle-bei-Bundeswehr-Schuetzenpanzer/!5906907
[4] /Panzer-fuer-die-Ukraine/!5907049
[5] /Weltweite-Ruestungsausgaben-2021/!5896557
[6] /Nutzung-des-Bundeswehr-Sondervermoegens/!5862608
## AUTOREN
Tobias Schulze
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