| # taz.de -- Angela Merkel im taz-Interview: „Ja, dies ist mein Land“ | |
| > Man kann afghanische Flüchtlinge auch mit freundlichem Gesicht | |
| > abschieben, sagt die Kanzlerin – und erklärt, was an ihr grün und links | |
| > ist. | |
| Bild: „Nichts würde ich mir mehr wünschen als das“ – Merkel über die F… | |
| Berlin, 10 Uhr, draußen über dem Tiergarten scheint die Sonne. Drinnen im | |
| siebten Stock des Kanzleramts ist es still, auf dem Gang erinnern | |
| Schwarzweißfotos von Konrad R. Müller an vergangene Kanzler. Brandt und | |
| Kiesinger hängen etwas schief. Sonst ist alles perfekt, Angela Merkel | |
| wartet an der Tür ihres hellen, großen Arbeitszimmers. An einem Ende des | |
| Konferenztischs liegen Akten, Autogrammkarten und ein Bernstein. Sie setzt | |
| sich ans andere Ende. Sie weiß, dieses Interview ist eine Premiere. | |
| taz: Frau Bundeskanzlerin, Winfried Kretschmann hat gesagt, er bete jeden | |
| Tag für Sie. Beten Sie manchmal auch für den Grünen Kretschmann? | |
| Angela Merkel: Das muss ich mit Nein beantworten. So konkret politisch bete | |
| ich sowieso nicht, aber das ist ohnehin eine sehr private Angelegenheit. | |
| Unabhängig davon schätze ich Ministerpräsident Kretschmann sehr. | |
| Ihr jüngerer Bruder Marcus war während der Wendezeit bei Bündnis 90. Warum | |
| sind Sie damals eigentlich nicht bei Bündnis 90 und dann den Grünen | |
| gelandet? | |
| In der Tat habe ich im Herbst 1989 einen Suchprozess durchgemacht. Ich war | |
| beim Demokratischen Aufbruch und bei der SDP, wie die Sozialdemokraten in | |
| der DDR damals noch hießen, und ich habe mir natürlich auch das Neue Forum, | |
| den Vorläufer von Bündnis 90, angesehen. Aber das Neue Forum stand für den | |
| sogenannten dritten Weg, eine demokratisch erneuerte DDR, und daran glaubte | |
| ich nicht. Ich gehörte zu denen, die die schnelle deutsche Einheit wollten, | |
| die soziale Marktwirtschaft. Schon am Tag der Maueröffnung haben etliche | |
| meiner Freunde das ganz anders bewertet als ich. So bin ich beim | |
| Demokratischen Aufbruch gelandet und schließlich in der Allianz für | |
| Deutschland, in der wir dann mit der Deutschen Einheit 1990 CDU-Mitglieder | |
| wurden. | |
| Unsere Frage zielte auf Ihren möglicherweise grünen Kern ab. | |
| Das habe ich auch so verstanden. Ich war ja Bundesumweltministerin, eine | |
| sehr spannende Zeit. Und ich habe mich auch in der CDU dafür eingesetzt, | |
| dass wir in unserem Grundsatzprogramm nicht nur von der sozialen, sondern | |
| auch von der ökologischen Marktwirtschaft sprechen. Andererseits habe ich | |
| zum Beispiel 1986, als das furchtbare Reaktorunglück in Tschernobyl | |
| passierte, allein die sowjetischen Verhältnisse dafür verantwortlich | |
| gemacht, den schlechten Sicherheitsstandard dort und nicht die friedliche | |
| Nutzung der Kernenergie an sich. Es hat dann noch bis zur Katastrophe von | |
| Fukushima im Jahr 2011 gedauert, bis ich meine Haltung grundsätzlich | |
| geändert habe. | |
| In Reden und erst neulich im Wahlkampf gebrauchen Sie immer wieder das Bild | |
| von der „frischen Luft“. Ist das Ihr Begriff von Grün? | |
| Damit meine ich, dass man sich immer wieder ins Neue vorwagen muss. Wir | |
| leben in einer Welt großer Veränderungen. Und frische Luft heißt da | |
| einfach: immer wieder über den Tellerrand gucken, neugierig sein, auf Neues | |
| zugehen. Manchmal denke ich, dass wir in Deutschland auf so hohem Niveau | |
| leben, dass wir nicht immer innovationsfreudig genug sind. | |
| Ist irgendwas an Ihnen links? | |
| Ich kann mit solchen Schubladen wenig anfangen. Schauen Sie, erst mal bin | |
| ich CDU, mit der ich liberale, christlich-soziale und konservative Wurzeln | |
| gleichermaßen verbinde. Mir ist die menschliche Gestaltung der | |
| Globalisierung wichtig, ebenso wie das Thema Nachhaltigkeit, also | |
| Generationengerechtigkeit, nachhaltige Finanzen und Ressourcenverbrauch. | |
| Daran habe ich immer gearbeitet. | |
| Aber nichts Linkes. | |
| Sie möchten gerade definieren, was ich nicht bin, und ich antworte jetzt | |
| damit, was ich bin. Aus den liberalen, christlich-sozialen und | |
| konservativen Wurzeln der CDU, die ich sehr achte, ergeben sich bestimmte | |
| Berührungspunkte mit dem, was man gemeinhin links nennt. Nehmen Sie zum | |
| Beispiel das Christlich-Soziale: Die christliche Soziallehre hat auch | |
| Berührungspunkte mit sozialdemokratischem Denken, die CDU hat sich zum | |
| Beispiel immer zur wichtigen Rolle der Gewerkschaften bekannt, denn es ist | |
| immer wichtig, sowohl über das Erwirtschaften des Wohlstands als auch über | |
| gerechte Verteilung zu sprechen. Ich weiß nicht, ob das für Sie links ist | |
| oder nicht – für mich ist es christlich-sozial oder anders gesagt CDU pur. | |
| Was sagen Sie: Leiden die Grünen mittlerweile darunter, dass sie sich zu | |
| weit von ihren linken Wurzeln entfernt haben und auf Sie und die | |
| bürgerliche Mitte zubewegt haben? | |
| Auch die Grünen haben ja aus meiner Sicht unterschiedliche Wurzeln. Eine, | |
| wie ich es sagen würde, sehr staatskritische Wurzel und eine, bei der es um | |
| die Bewahrung der Schöpfung geht. Bei diesem behutsamen Umgang mit der | |
| Schöpfung sehe ich große Nähe zu meinen Überzeugungen in der CDU. Und | |
| dennoch gibt es auch eine sehr starke Staatskritik, die wir in der CDU und | |
| ich persönlich überhaupt nicht teilen. | |
| Worin sehen Sie die Aufgabe der Grünen im Parteienspektrum? | |
| Es ist nicht an mir, den Platz der Grünen im politischen Spektrum zu | |
| definieren. Das würde ich umgekehrt auch nicht mögen. Wichtig scheint mir, | |
| dass sie sich immer wieder neue Themen erarbeiten, weil sich manche Themen, | |
| zum Beispiel die Kernenergie, weitgehend erledigt haben. Ich stelle mir | |
| vor, dass die humane Gestaltung der Globalisierung auch für die Grünen ein | |
| spannendes Thema sein kann. | |
| Frau Merkel, in den ersten Wochen der großen Flüchtlingsdebatte, am 15. | |
| September 2015, haben Sie hier im Kanzleramt eine Pressekonferenz gegeben. | |
| Auf die Frage, ob Sie Flüchtlinge zum Kommen nach Deutschland animiert | |
| haben, erwiderten Sie: „Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu | |
| müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, | |
| dann ist das nicht mein Land.“ Hatten Sie sich den Satz vorher überlegt? | |
| Nein, ich hatte mir den Satz nicht zurechtgelegt. Er kam auf eine | |
| Nachfrage, was ich zu dem Vorwurf sagen würde, dass ich durch mein Vorgehen | |
| Flüchtlinge zur Flucht animiert hätte. | |
| Der Selfie-Vorwurf. | |
| Unter anderem. Ich fand das abwegig, in zweierlei Hinsicht. Einmal waren | |
| bis zu dieser Aussage im Sommer 2015 schon rund 400.000 Flüchtlinge | |
| gekommen. Es gab außerdem Mitte August eine Prognose des | |
| Bundesinnenministeriums von 800.000 Flüchtlingen für das gesamte Jahr. Zum | |
| Schluss kamen rund 890.000, wir lagen also nicht ganz daneben. Das Zweite | |
| war, dass es ja gar nicht allein meine Haltung war, sondern die der | |
| Menschen am Bahnhof in München und anderswo, der vielen Menschen, die die | |
| Geflüchteten freundlich aufgenommen haben. In dieser Situation habe ich | |
| gesagt: Wenn man Menschen hilft und kein freundliches Gesicht dazu machen | |
| darf, dann ist das nicht mein Land. Das war spontan. Es kam aus meinem | |
| Innersten. Weil das meine Überzeugung ist. | |
| Viele Linke und Linksliberale, auch viele taz-Leser haben damals gestutzt: | |
| Ups, dürfen wir Merkel gut finden? Und in der taz entstand ein Titel, der | |
| das mit Herzen thematisierte. | |
| Wir haben ja gerade über die christlich-sozialen Wurzeln der Parteien | |
| gesprochen. In diesem Sinne war mein Satz eine Aussage, die genauso im | |
| Einklang mit Prinzipien der CDU wie mit Prinzipien anderer Menschen und | |
| sicher auch anderer Parteien stand. | |
| Waren die Sympathiekundgebungen von links damals ein ernster Hinweis für | |
| Sie, wie weit weg Sie sich zu diesem Zeitpunkt von Ihren Konservativen | |
| entfernt hatten? | |
| Nein. Auch viele in der Union haben es ja durchaus unterstützt, die | |
| Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen. Erst waren | |
| diese Menschen mit Zügen gekommen, dann zu Fuß, weil Ministerpräsident | |
| Orbán ihnen urplötzlich die Reisemöglichkeit entzogen hatte. Die großen | |
| Meinungsunterschiede drehten sich viel mehr um die Frage: Wie geht es | |
| weiter? Mir war klar: so natürlich nicht, denn kriminelle Schlepper und | |
| Schleuser verdienten mit dem Elend der Flüchtlinge ihr Geld. Deshalb habe | |
| ich ab Anfang September an diesem EU-Türkei-Abkommen gearbeitet, nachdem | |
| ich schon den ganzen Sommer darüber nachgedacht hatte. Das ist viele | |
| Monate ja gar nicht beachtet worden. Ich war dann, vorsichtig formuliert, | |
| sehr erstaunt, dass das Abkommen, als es Mitte März 2016 abgeschlossen | |
| werden konnte, auf eine so negative Bewertung stieß, und zwar | |
| parteiübergreifend. Trotzdem war das der einzige Weg, eine gewisse Ordnung | |
| und Steuerung in diese Sache zu bringen, und zwar so, dass es auch im | |
| Interesse der Zuflucht suchenden Menschen ist und das Sterben in der Ägäis | |
| aufhören kann. | |
| Sie haben das freundliche Gesicht gegen ein hartes, strenges ausgetauscht. | |
| Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte, vor allem | |
| Syrer. Die Möglichkeit, psychisch Kranke abzuschieben. Abschiebungen ohne | |
| Ankündigung, Abschiebungen nach Afghanistan. Ist dieses Land damit immer | |
| noch „ihr Land“? | |
| Ja, dies ist mein Land, denn wir geben jedem, der in Deutschland um Asyl | |
| bittet, die Chance, einen Antrag zu stellen, und wir schaffen bessere | |
| Lebensbedingungen vor Ort, in dem wir Fluchtursachen bekämpfen. Zugleich | |
| müssen wir auch deutlich machen, dass es Regeln gibt. An der Stelle finde | |
| ich übrigens, dass die grüne Programmatik sehr unklar ist. Sie drückt sich | |
| um die schweren Fragen. Wir helfen Afrika doch nicht, indem wir sagen, dass | |
| wir jeden aufnehmen, der kommen möchte. Wir müssen ganz anders an die Sache | |
| herangehen: Flucht- und Migrationsursachen bekämpfen, zu besseren | |
| Lebensbedingungen beitragen und Perspektiven in den Heimatländern schaffen, | |
| legale Wege der Migration finden, statt den Schleppern die Hand zu reichen. | |
| Deshalb gehören zu unserem humanitären Asylrecht auch die strengen Regeln. | |
| Im Übrigen kann man eine Rückführung mit einem freundlichen Gesicht | |
| verbinden. | |
| Wie soll das gehen, Abschiebungen mit einem freundlichen Gesicht? | |
| Es ist ohne Zweifel ein schwerer Weg, den dieser Mensch gehen muss, aber | |
| auch dabei kann und soll man ihm mit Respekt und Menschlichkeit begegnen. | |
| Wir sollten nicht die einfache Botschaft senden, dass Millionen Menschen | |
| zum Beispiel aus Afghanistan bei uns eine neue Heimat finden, sosehr ich | |
| auch Verständnis für wirtschaftliche Not habe. In diesen Fragen, das sage | |
| ich ganz offen, spüre ich, wie schwer politische Verantwortung auch sein | |
| kann. Ich sehe die individuellen Schicksale – aber ich muss auch ordnen, | |
| steuern und darauf achten, dass Illegalität nicht noch gefördert wird. Das | |
| würde niemandem helfen. | |
| Sie haben Afrika angesprochen. Um Flüchtlinge dort aufzuhalten, paktieren | |
| Sie mit dem verbrecherischen Regime im Sudan. Das bekommt sogar 100 | |
| Millionen Euro von der EU, die deutsche Gesellschaft für Internationale | |
| Zusammenarbeit schult sudanesische Polizisten. Ist das „ihr Land“, ein Land | |
| also, das mit dieser weltweit geächteten Diktatur zusammenarbeitet? | |
| Wenn in Deutschland über Afrika und Migration gesprochen wird, geht es | |
| meist um die Menschen, die von Libyen nach Italien kommen. Was oft zu wenig | |
| gesehen wird: Auf dem Kontinent selbst gibt es enorme | |
| Binnenfluchtbewegungen. Wir legitimieren natürlich überhaupt nicht das | |
| Regime im Sudan. Wir gehören zu denen, die den dortigen Präsidenten | |
| al-Baschir boykottieren. Dennoch stellt sich die Frage, welche und wie viel | |
| Entwicklungszusammenarbeit trotzdem sinnvoll ist und wie man Staatlichkeit | |
| dort festigt. | |
| Der ehemalige Sudan-Ermittler der UN, Jérôme Tubiana, sagt, es sei „eine | |
| Schande“, dass die GIZ sich auf so eine Zusammenarbeit einlasse. Es sei bei | |
| solchen Trainings unklar, wer ein Scherge sei, egal welche Uniform er | |
| gerade trage. | |
| Sehen Sie, der Sudan ist ein wichtiges Transit-, Herkunfts- und | |
| Aufnahmeland von Flüchtlingen am Horn von Afrika. Fast 400.000 Flüchtlinge | |
| haben dort Zuflucht gefunden, vor allem aus Südsudan und Eritrea. Sudan ist | |
| somit ein Schlüsselland für die Bewältigung der Migration am Horn von | |
| Afrika. Wir wollen gezielt gegen Schleusertum, Menschenhandel und illegale | |
| Migration vorgehen. Dazu arbeiten wir mit der EU, den Vereinten Nationen | |
| und internationalen Organisationen wie IOM an der Verbesserung der | |
| Lebensbedingungen von Flüchtlingen, Verbesserung des Grenzschutzes, bei der | |
| Rückkehr und bei Informationskampagnen eng zusammen. | |
| Grenzmanagement-Maßnahmen werden dabei als Teilbereich des so genannten | |
| Migrationsmanagements durchgeführt. Dabei soll etwa erreicht werden, dass | |
| Beamte des Grenzmanagements Schutzbedürftige, also zum Beispiel Betroffene | |
| des Menschenhandels, erkennen und sie unter Beachtung aller internationalen | |
| Standards an die zuständigen staatlichen beziehungsweise | |
| zivilgesellschaftlichen Stellen weitervermitteln. Dabei prüfen wir sehr | |
| sorgfältig, mit wem wir zusammenarbeiten. | |
| Nach Deutschland darf man allein aus politischen, aus humanitären Gründen. | |
| Es fehlt die zweite Tür. Würde ein viertes Kabinett Merkel ein | |
| Einwanderungsgesetz schaffen? | |
| Wir haben in unser Regierungsprogramm geschrieben, dass kein freier | |
| Arbeitsplatz unbesetzt bleiben darf, und wir haben uns in dem Zusammenhang | |
| erstmals ausdrücklich auch zu einem Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz bekannt. | |
| Es gibt ja heute schon Mechanismen, etwa die Blue Card. Zum Teil haben wir | |
| aber auch noch eher komplizierte Prozeduren. | |
| Nirgendwo steht ganz oben: Einwanderung nach Deutschland ist möglich. | |
| Einwanderung nach Deutschland ist eine Realität. Wir haben den europäischen | |
| Binnenmarkt und damit die Freizügigkeit für jeden Europäer. Im | |
| Regierungsprogramm bekennen wir uns dazu, dass wir Zuwanderung brauchen. | |
| Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir mit afrikanischen Ländern | |
| Kontingente vereinbaren, wonach eine bestimmte Anzahl von Menschen hier | |
| studieren oder arbeiten kann. So würden wir Anreize dafür schaffen, legale | |
| Wege zu finden. Nur zu sagen, Illegalität geht nicht, und gar nichts | |
| anzubieten, ist falsch. | |
| Geht es Ihnen da also um „nützliche“ Flüchtlinge? | |
| Nutzen finde ich im Zusammenhang mit Menschen einen falschen Begriff. | |
| Flüchtlingen, die nach Deutschland gekommen sind, müssen wir Schutz vor | |
| Krieg und politischer Verfolgung gewähren. Bei Menschen, die zu uns aus | |
| wirtschaftlichen Gründen kommen wollen, geht es natürlich darum, dass | |
| diejenigen kommen, die wir brauchen, Pflegekräfte beispielsweise. Aber eine | |
| Einwanderung in ein Studium oder eine Arbeitsmöglichkeit ist auch im | |
| Interesse der Migranten und eröffnet ihm oder ihr neue Chancen. | |
| Zu einem anderen Thema: Sie haben viele Jahre eng mit der Autoindustrie | |
| zusammengearbeitet. Die Vorstandsvorsitzenden durften oft hierher zu Ihnen | |
| ins Kanzleramt kommen und ihre Sorgen vortragen … | |
| … Herr Zetsche war auch schon auf dem Grünen-Parteitag. | |
| … Und jetzt schlagen Sie neue Töne gegenüber der Autoindustrie an: Es sei | |
| betrogen worden. Schonungslose Aufklärung sei nötig. Ist das wieder so ein | |
| Rollenwechsel Marke Merkel? Von der Freundin der Autobosse zur Anklägerin | |
| der Autobosse? | |
| Weder noch. Die Automobilindustrie ist eine eminent wichtige Säule unserer | |
| Wirtschaft. Sie beschäftigt 800.000 bis 900.000 Menschen, und das sind sehr | |
| gute Arbeitsplätze. Diese Industrie ist in einem starken Umbruch: durch die | |
| Digitalisierung, durch neue Antriebstechnologien. Jetzt ist es in unser | |
| aller Interesse, dass dieser Wirtschaftszweig die Zeichen der Zeit nicht | |
| verschläft. Nun sind aber gravierende Vorkommnisse passiert, die uns alle | |
| zu Recht empören. Damit setze ich mich auseinander. | |
| Warum haben Sie nicht viel früher auf ein schnelleres Umdenken Richtung | |
| Zukunft gedrängt? | |
| Ich habe mich immer wieder damit befasst, ob die Automobilindustrie mit der | |
| Entwicklung auch wirklich mitgeht. Da war das Tempo nicht so hoch, aber man | |
| hat ja inzwischen auch einiges getan. Die Automobilfirmen stecken besonders | |
| viel in Forschung und Entwicklung. Die Frage ist nur, ob sie sich immer auf | |
| die richtigen Schwerpunkte konzentriert haben. Nun muss die Politik | |
| schonungslos benennen, wo etwas falsch gelaufen ist. Da Maß und Mitte zu | |
| finden, das ist die Aufgabe. | |
| Im Klimaschutz versagt die Autoindustrie völlig. Aus deutschen Autos kommen | |
| heute praktisch so viele Co2-Emissionen wie 1990. Ist diese Industrie so | |
| veränderungsresistent, dass sie untergehen könnte? | |
| Dass sie im Klimaschutz völlig versagt, sehe ich nicht so. Unsere | |
| europäischen Co2-Vorgaben für die Flotten der einzelnen Hersteller sind | |
| durchaus ambitioniert. Die Zahl der Autos ist ja seit 1990 auch erheblich | |
| gestiegen. Aber wir sind uns einig: Wenn dieses Jahrhundert weitgehend | |
| Co2-frei enden soll, dann muss sich im Verkehr massiv etwas ändern. Auf | |
| diese Veränderung, ob sie nun in der E-Mobilität liegt oder in der | |
| Wasserstoff-Brennstoffzelle, muss sich die Industrie vorbereiten. | |
| Verbrennungsmotoren bleiben für längere Zeit noch als Brückentechnologie | |
| wichtig. Deshalb müssen wir aufpassen, dass wir nicht auch moderne und | |
| insbesondere die sauberen Diesel verteufeln, sonst werden wir die | |
| Co2-Vorgaben kaum einhalten können. | |
| Alle Welt streitet über Fahrverbote für Diesel in Innenstädten. Aber das | |
| Problem kommt vor allem daher, dass sich der Bund weigert, eine | |
| einheitliche Regelung zu treffen. Eine blaue Plakette für neuere | |
| Dieselwagen würde schon helfen. Warum verweigert der Bund die? | |
| Die Grenzwerte für Stickoxide werden überschritten, und daran müssen wir | |
| etwas ändern. Jetzt könnte man mit Fahrverboten für bestimmte Autotypen | |
| antworten, dafür gäbe es die blaue Plakette. Wir wollen aber Fahrverbote | |
| verhindern. Wir haben politisch die Menschen animiert, Dieselfahrzeuge zu | |
| kaufen, weil die Co2-ärmer sind. Wir würden also gerade die mit | |
| Fahrverboten bestrafen, die sich klimaschonend verhalten haben. | |
| Haben Sie sich geärgert, dass die Umweltministerin und das Umweltbundesamt | |
| die Ergebnisse Ihres Dieselgipfels zerschossen haben? Das Amt hat | |
| ausgerechnet, dass Software-Updates und Umtauschaktionen nicht reichen, um | |
| Fahrverbote in den meisten relevanten Städten zu verhindern. | |
| Dass der Gipfel im August nicht ausreicht, die verschiedenen Probleme zu | |
| lösen, war immer klar. Ich habe von einem ersten Schritt gesprochen, dem | |
| weitere folgen müssen. Es wurden Arbeitsgruppen beschlossen, die man nun | |
| auch arbeiten lassen sollte. Unbestritten ist, dass mit dem reinen | |
| Software-Update die Grenzwerte nicht eingehalten werden. Wir haben zwei | |
| weitere Bausteine. Das eine sind die Umtauschprämien, die ja gerade erst | |
| angelaufen sind, es ist also noch offen, wie viele Menschen davon Gebrauch | |
| machen und was das für die Emissionen bedeutet. Der zweite ist die Frage, | |
| was man im Verkehrsmanagement der Städte noch verändern kann, zum Beispiel | |
| über den öffentlichen Personennahverkehr. | |
| Jetzt schieben Sie die Sache zu den Kommunen. | |
| Ich habe für den 4. September die Vertreter der am stärksten betroffenen | |
| Kommunen und die Ministerpräsidenten zur Beratung ins Kanzleramt | |
| eingeladen. Wir müssen jede Kommune individuell betrachten. In Kiel sind | |
| die Stickoxid-Emissionen auch deshalb so hoch, weil Schiffe betankt werden. | |
| In Stuttgart spielt die besondere geografische Lage eine Rolle. Ich will, | |
| dass wir gerade aus diesen Städten die fortschrittlichsten machen, was | |
| Mobilität anbelangt, Städte mit intelligenten Lösungen für die neuen | |
| Mobilitätsbedürfnisse. Arbeitgeber könnten zum Beispiel mehr Ladestellen | |
| für E-Mobilität einrichten, oder man könnte das verstärkt in Parkhäusern | |
| anbieten. | |
| Warum wird nicht die Hardware in alten Dieselfahrzeugen nachgerüstet? | |
| Wenn ich in alte Technologie pro Auto noch mal 1.000 bis 2.000 Euro stecke | |
| und die Wirtschaft dafür zwischen 10 und 20 Milliarden Euro aufwenden muss, | |
| die sie nicht in die Entwicklung neuer Technologien stecken kann – ist das | |
| eine Investition, die der Staat befördern sollte? Da müssen wir erst alle | |
| anderen Wege prüfen, bevor wir dazu ein abschließendes Urteil fällen. Ich | |
| möchte keine Lösung, die zwar Millionen Dieselfahrer betrifft, aber | |
| gleichzeitig dazu führt, dass die Autoindustrie sich nicht ausreichend um | |
| eine ressourcenschonende Zukunft kümmern kann. Die taz ist doch jetzt schon | |
| der Meinung, dass das nicht ausreichend geschieht, und hat dafür auch | |
| einige gute Argumente. | |
| Noch eine Frage, die uns wichtig ist. Unser Kollege Deniz Yücel sitzt immer | |
| noch in der Türkei in Haft. Warum konnten Sie bisher nicht erreichen, dass | |
| er freikommt? | |
| Wir setzen uns auf allen Kanälen für ihn ein. Das ist leider sehr | |
| kompliziert, weil Deniz Yücel Doppelstaatler ist und wir da konsularisch | |
| nicht so viele Rechte haben. Trotzdem tun wir alles in unserer Macht | |
| Stehende für ihn, öffentlich, aber vor allem auch in unseren Kontakten mit | |
| türkischen Behörden. Wir sorgen uns auch um Mesale Tolu und Peter Steudtner | |
| und die weiteren Inhaftierten. Wir haben die Reisehinweise für die Türkei | |
| verändert und gehen weit restriktiver an wirtschaftliche Kontakte heran. | |
| All das hat leider bisher noch nicht zur Freilassung Ihres Kollegen | |
| geführt, aber nichts würde ich mir mehr wünschen als das. | |
| 28 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Löwisch | |
| Anja Maier | |
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