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# taz.de -- Biografie über Angela Merkel: Chronik einer Kanzlerin
> Ralph Bollmann zeichnet in seiner Biografie präzise das Leben Angela
> Merkels nach. Mit Wertungen hält er sich zurück – und räumt mit Legenden
> auf.
Bild: Besteht Angela Merkels Politik bloß aus situativem Krisenmanagement?
Der Chronist ist eine unterschätzte Figur. Sein Metier ist nicht das
Originelle, der Esprit oder die kühne Idee. Er zeichnet nach, was war, und
ordnet sorgsam das Material. Der Chronist ist kein Denker und Deuter, er
ist für die Pflicht, nicht für die Kür zuständig. Er folgt dem Ablauf des
Geschehens und macht Querverbindungen, Motive und Kontinuitäten sichtbar.
[1][Ralph Bollmann, früher bei der taz], seit Langem Wirtschaftsredakteur
bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, erzählt auf 800 Seiten
Angela Merkels Leben. Er hält sich, ganz Chronist, mit Interpretationen
zurück und will die Ereignisse selbst zum Sprechen bringen. Diese
Biografie, die auch zeitgeschichtliche Analyse sein will, erzählt
Ereignisse nüchtern nach – gewissermaßen eine stilistische Imitation von
Merkel selbst.
Es kursieren eine [2][Reihe Bilder von Merkel]: disziplinierte
Protestantin, Krisenkanzlerin, talentierte Maschinistin der Macht,
postideologische Pragmatikerin. Bollmann fügt diesen Images keine neuen
hinzu. Aber gerade weil die Wertungen dezent bleiben, tritt in diesem
ersten Panoramablick auf Merkels Leben manches plausibel vor Augen – etwa
die nachhaltige Prägung durch die DDR.
Merkel hat dort als Pfarrerstochter gelernt, zu schweigen und Vertrauen
gezielt und spärlich zu dosieren. Das erwies sich nach 1989 als enormer,
für die Außenseiterin im männerdominierten westdeutschen Politikbetrieb
überlebenswichtiger Wettbewerbsvorteil.
## Die DDR-Prägung
Die DDR hat Merkel aber nicht nur habituell, sondern auch politisch
geprägt. Der Untergang des Realsozialismus machte sie, wie viele in
Ostmitteleuropa, zur Marktgläubigen. 1992 attestierte sie den Westdeutschen
Besitzstandswahrung. 2003 versuchte sie auf dem Leipziger Parteitag der
Republik einen neoliberalen Kurs zu verordnen, eine Art Thatcherismus
light. 2005 hätte sie fast die Wahl verloren, weil sie auf einem leicht
entschärften neoliberalen Programm beharrte und Fehlerketten produzierte –
wenn auch nicht so lange wie derzeit Armin Laschet.
Das aggressiv Neoliberale streifte sie, ausgestattet mit politischem
„Hochgeschwindigkeits-Lernvermögen“, in der ersten Großen Koalition ab. A…
Kanzlerin etablierte sie ihren typischen Stil: Sie strebte keine Ziele mehr
an, sondern entwickelte die situative Reaktion auf Krisen zur Perfektion.
„Paradoxerweise wurde Merkel gerade deshalb populär, weil sie von den
Deutschen die Veränderungen lange fernhielt, die sie doch eigentlich für
dringend nötig hielt“, so Bollmann.
Die Spannung zwischen der Marktgläubigen und der Mitte-Kanzlerin, zwischen
Überzeugung und Machtmanagement, blieb. Sie ist ein roter Faden dieser
Biografie, die sich zu zwei Dritteln mit den mannigfachen Krisen seit 2005
befasst – von der Eurokrise bis zu Fukushima, von der Krim über den
Flüchtlingsherbst 2015 bis zu Corona.
Bollmann schildert präzise die Abläufe der unzähligen EU- und anderer
Gipfeltreffen, auf denen Merkel ihre legendäre Strapazierfähigkeit und
Professionalität beweist. Und er korrigiert mit Blick auf den Atomausstieg
und das Ende der Wehrpflicht die Legenden der Unionsrechten. Beides wurde
nicht vom Kanzleramt angeordnet, sondern es waren situativ geborene
Anpassungen.
## „Events, dear boy, events“
Der konservative britische Premier Harold Macmillan soll auf die Frage, was
seine Politik angetrieben habe, gesagt haben: „Events, dear boy, events.“
Das wäre eine genaue Beschreibung von Merkels Kanzlerschaft seit 2008.
Sichtbar aber wird ein Defekt in der Euro- und der Finanzkrise. Merkel war
auch als Kanzlerin noch jene osteuropäische Marktgläubige, die staatlichen
Eingriffen misstraute und zudem eine protestantisch grundierte Skepsis
gegen Schulden hatte.
So wurde sie zur Madame Non, die in der Finanz- und der Griechenlandkrise
rasche Bekämpfungen verhinderte. Ob viele Hilfsprogramme wegen Merkel zu
spät und zu klein waren, bleibt hier offen. Auf jeden Fall, so Bollmann,
„unterschätzte Merkel die Irrationalität der Märkte“.
Deutschland machte so strategisch viel falsch, auch wenn die Kanzlerin
taktisch immer geschickt und flexibel war. Erst in der Coronakrise gab sie
ihren Widerstand gegen aktiv betriebene großformatige Hilfspakete auf. Eher
nebenher revidiert diese Biografie somit das Bild von Merkel als heimlicher
Sozialdemokratin. Die gab sie nur, wenn es politisch gerade vorteilhaft
schien.
Sätze von Merkel sind in dieser Biografie kursiv gedruckt, um unsere
Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Diese Zitate sollen nur selten etwas
beweisen oder widerlegen. Meist werden sie verwendet, um etwas zu betonen
und zu illustrieren. Kein Missverständnis: Diese Biografie ist keine
Hagiografie. Gerade weil das Geschilderte in die Gegenwart reicht und noch
dampft, ist die zurückhaltende Darstellung angemessen. Dieses Buch setzt,
sorgfältig mit Nachweisen versehen, fürs Erste einen Standard für die
Merkel-Forschung.
31 Aug 2021
## LINKS
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[2] /Aus-dem-Archiv-Aera-der-Kanzlerin/!5791080
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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