# taz.de -- Bundestag zu Afghanistan: Merkels schwierige Mission | |
> Der Bundestag billigt den Afghanistaneinsatz und debattiert über das | |
> Evakuierungsdebakel. Die Kanzlerin wirft Fragen auf – Antworten bleibt | |
> sie schuldig. | |
Bild: Es gibt wenig schönzureden: Angela Merkel bei ihrer Regierungserklärung… | |
BERLIN taz | Es ist eine schwierige Regierungserklärung, zu der Angela | |
Merkel an diesem Mittwochmittag im Bundestag ans Redepult tritt. Die Bilder | |
von Menschen, die neben anrollenden Flugzeugen herrennen, von Eltern, die | |
ihre Kinder unbekannten Soldaten anvertrauen, von Afghan:innen, die | |
verzweifelt versuchen, irgendwie in den Flughafen von Kabul zu gelangen, um | |
doch noch das Land zu verlassen – diese Bilder sind an jedem deutschen | |
Küchentisch angekommen. Was auch für das dramatische Versagen der | |
Bundesregierung gilt, das unter anderem die Ursache für diese Bilder ist. | |
Die Kanzlerin muss nun der Öffentlichkeit nicht nur dieses [1][Debakel] | |
erklären, sie muss diese auch darauf vorbereiten, dass der | |
Evakuierungseinsatz der Bundeswehr schon in wenigen Tagen enden wird. Dann | |
werden die Deutschen entgegen ihrer Zusage viele der sogenannten Ortskräfte | |
sowie Menschenrechtsaktivisten und Frauenrechtlerinnen, die sich für ein | |
Afghanistan einsetzten, [2][wie es der Westen ihnen versprach], | |
zurücklassen. | |
Sie alle müssen jetzt um ihr Leben fürchten. Dietmar Bartsch, der | |
Fraktionschef der Linken, wird das später in der Debatte den „schwärzesten | |
Punkt in ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft“ nennen. | |
„Die Entwicklungen der letzten Tage sind furchtbar, sie sind bitter“, sagt | |
Merkel denn auch zu Beginn ihrer Rede. „Für viele Menschen in Afghanistan | |
sind sie eine einzige Tragödie.“ Sie räumt erneut ein, dass die | |
Bundesregierung die Lage vor Ort falsch eingeschätzt hat. Man habe | |
unterschätzt, „wie atemberaubend schnell die afghanischen Sicherheitskräfte | |
ihren Widerstand gegen die Taliban aufgeben würden“. Wie genau es zu dieser | |
folgenschweren Fehleinschätzung kommen konnte, sagt sie nicht. | |
## Waren die Ziele zu ehrgeizig? | |
Merkel verteidigt auch die späte Aufnahme der Ortskräfte. Man sei in einem | |
Dilemma gewesen, sagt die Kanzlerin. Einen frühen Abzug von Mitarbeitern | |
und Ortskräften deutscher Hilfsorganisationen hätten manche als | |
vorausschauende Vorsicht gewürdigt, andere aber so gewertet, dass man die | |
Menschen in Afghanistan im Stich lasse. Die Bundesregierung habe damals | |
aber sehr gute Gründe dafür gesehen, nach dem Abzug der Truppen den | |
Afghan:innen wenigstens in der Entwicklungszusammenarbeit weiter zu | |
helfen – „ganz konkrete Basishilfe von Geburtsstationen bis zur Wasser- und | |
Stromversorgung“. | |
Dafür wäre man auf Ortskräfte angewiesen gewesen. Im Nachhinein sei es | |
leicht, die Situation zu bewerten. Damals aber habe man entscheiden müssen. | |
Merkel sagt den Hilfsorganisationen der Region Unterstützung zu und | |
spricht sich für Verhandlungen mit den Taliban aus. „Die Taliban sind jetzt | |
Realität in Afghanistan. Diese neue Realität ist bitter, aber wir müssen | |
uns mit ihr auseinandersetzen.“ | |
Ziel müsse sein, so viel des Erreichten wie möglich zu bewahren. Das | |
ursprüngliche Ziel sei realisiert, von Afghanistan seien keine neuen | |
Terroranschläge mehr ausgegangen. Auch habe der Einsatz für viele | |
individuelle Schicksale in Afghanistan Gutes bewirkt – die | |
Kindersterblichkeit habe sich halbiert, der Zugang zu Trinkwasser und Strom | |
sich deutlich verbessert. „Das war aller Ehre wert.“ | |
Doch heute müsse man sich kritische Fragen stellen, sagt Merkel und zählt | |
auf: Waren die Ziele zu ehrgeizig? Kamen unsere Werte bei der afghanischen | |
Mehrheit an? Haben wir das Ausmaß der Korruption unterschätzt? So geht es | |
weiter. Die Antworten, die Teile der Opposition seit vielen Jahren | |
einfordern und Expert:innen zum Teil längst geben, bleibt Merkel | |
schuldig. | |
## „20 Jahre Krieg sind gescheitert“ | |
SPD und CDU versprechen in der anschließenden Plenardebatte schonungslose | |
Aufklärung, die Opposition fordert dies vehement. Während SPD-Fraktionschef | |
Rolf Mützenich dafür eine Enquete-Kommission einsetzen will, wollen FDP, | |
Grüne und Linke einen Untersuchungsausschuss. Denn dort könnten | |
Zeug:innen geladen und Dokumente eingesehen werden. | |
Scharf ist die Kritik der gesamten Opposition, nimmt man die AfD einmal | |
aus, an der zu späten Evakuierung der Ortskräfte. Es hätten Hunderte | |
Menschen mehr evakuiert werden können, wenn man früher damit begonnen | |
hätte, kritisiert FDP-Fraktionschef Christian Lindner. Die grüne | |
Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wirft der Regierung vor, | |
innenpolitische Ziele – den Wunsch nach Abschiebungen – über die | |
außenpolitische Verantwortung gestellt zu haben. | |
Die Linke geht in der Kritik weiter. „20 Jahre Krieg sind gescheitert“, | |
sagt Dietmar Bartsch, dessen Fraktion die Einsätze stets abgelehnt hat. | |
„Die letzten Wochen sind unentschuldbar. Die Folgen Ihrer Fehler gefährden | |
Menschenleben“ ruft Bartsch in Richtung Regierungsbank, wo neben der | |
Kanzlerin auch Außenminister Heiko Maas (SPD), SPD-Kanzlerkandidat Olaf | |
Scholz, Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und | |
Innenminister Horst Seehofer (CSU) sitzen. | |
In der Debatte merkt man aber auch, dass in gut fünf Wochen Bundestagswahl | |
ist: Baerbock und Mützenich werfen sich gegenseitig vor, dass ihre Parteien | |
Abschiebungen nach Afghanistan unterstützt hätten. Und Lindner fordert SPD | |
und Grüne auf, eine Koalition mit der Linkspartei auszuschließen. | |
## Linken-Fraktionsspitze empfahl Abgeordneten Enthaltung | |
Am Nachmittag billigt der Bundestag mit 539 Jastimmen, 9 Neinstimmen und 90 | |
Enthaltungen nachträglich den Evakuierungseinsatz der Bundeswehr. Die | |
Bundesregierung hatte vergangene Woche den Einsatz von bis zu 600 Soldaten | |
für die Evakuierungsaktion mit einer Frist bis Ende September beschlossen. | |
Der Bundestag muss jedem bewaffneten Einsatz der Bundeswehr zustimmen, in | |
Ausnahmefällen wie diesem, wenn Gefahr im Verzug ist, kann das auch | |
nachträglich passieren. | |
Die Koalition, Grüne und FDP unterstützen den Einsatz, aus AfD und Linken | |
waren unterschiedliche Stimmen zu hören. Die Fraktionsspitze der Linken | |
hatte ihren Abgeordneten eine Enthaltung empfohlen. Ihr | |
Verteidigungsexperte Matthias Höhn kündigte jedoch schon vor der Sitzung | |
an, er wolle zustimmen. | |
Jetzt müsse man zuerst an die Leute vor Ort denken, die dringend Hilfe | |
brauchen, so Höhn. Ähnlich äußerte sich Ex-Parteichef Klaus Ernst. Der taz | |
sagte er: „Ich halte diesen Einsatz in Afghanistan für den größten | |
Fehlschlag in der Nachkriegsgeschichte. Aber jetzt ist es sinnvoll, so | |
viele Menschen wie möglich zu evakuieren.“ | |
25 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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