| # taz.de -- Flucht nach Europa: Die Geschichte von Paul und Jakob | |
| > In dem Film „Als Paul über das Meer kam“ erzählt der Dokumentarfilmer | |
| > Jakob Preuss die Fluchtgeschichte des Kameruners Paul Nkamani. | |
| Bild: Inzwischen so was wie Verwandte: Paul Nkamani (links) und Jakob Preuss | |
| taz: Herr Nkamani, bei welcher Etappe Ihrer Reise hatten Sie am meisten | |
| Angst? | |
| Paul Nkamani: Während der langen Stunden bei der Fahrt über das Mittelmeer, | |
| ohne Essen und Trinken. | |
| Können Sie schwimmen? | |
| Nkamani: Ja, aber nicht so gut. | |
| Jakob Preuss: Wir haben ihm zu Weihnachten einen Schwimmkurs geschenkt, | |
| nachdem wir im Sommer gemeinsam am See waren. | |
| Nkamani: Und nun gehe ich ab und zu schwimmen, aber dieses Jahr gab es ja | |
| keinen Sommer dafür .. | |
| Wann hat Ihre Flucht eigentlich begonnen? | |
| Nkamani: Es ist fünf Jahre her, dass ich meine Familie verlassen habe. | |
| Was war Ihr Ziel? | |
| Nkamani: Ich wollte leben. Ich wollte nach Europa, ob Deutschland oder ein | |
| anderes Land, das hatte ich gar nicht geplant. Wobei ich eine Idee von | |
| Deutschland hatte, da Kamerun ja einmal eine deutsche Kolonie war. Deshalb | |
| hatte ich auch ein bisschen Deutsch in der Schule gelernt. Aber ich wollte | |
| vor allem dahin, wo ich Arbeit bekommen kann. | |
| Sie hatten in Kamerun Politik und Jura studiert und waren nach politischen | |
| Protesten von der Uni geflogen. | |
| Nkamani: Ja. Eigentlich wollte ich Diplomat werden. Aber das wird nun wohl | |
| nichts mehr. | |
| Haben Sie, als Sie sich auf den Weg nach Europa gemacht haben, gedacht, | |
| dass der so lange dauern würde? | |
| Nkamani: Nein. Ich dachte, das dauert ein paar Monate oder vielleicht sogar | |
| nur ein paar Wochen. Jetzt ist er aber immer noch nicht zu Ende. | |
| Jakob Preuss begleitet Sie auf Ihrem Weg über lange Zeit und auf jeder | |
| Station. Ob im Zeltcamp der Flüchtlinge im Wald in Marokko oder in | |
| Flüchtlingsunterkünften in Spanien, man hat das Gefühl, Sie kommen | |
| irgendwie klar mit all den Herausforderungen. | |
| Nkamani: Ich habe viel gelitten auf meinem Weg. Bevor ich Jakob getroffen | |
| habe, habe ich zwei Jahre lang in Algerien als Bauhelfer gearbeitet, weil | |
| ich das Geld für die Weiterreise über das Mittelmeer nach Europa verdienen | |
| musste. Das war eine sehr schwierige Zeit. | |
| Wie sind Sie beiden sich eigentlich begegnet? | |
| Preuss: Ich hatte eigentlich schon einen anderen Protagonisten für meinen | |
| Film gewonnen, einen Mann aus Guinea. Ich hatte aber keine Drehgenehmigung | |
| von der Regierung von Marokko bekommen. Als ich entschieden hatte, ohne die | |
| Genehmigung anzufangen, war der schon über den Zaun gesprungen. Daraufhin | |
| bin ich in das kamerunische Camp im Wald in Marokko gegangen, an der Grenze | |
| zu der spanischen Enklave Melilla, wo die Geflüchteten leben, die über das | |
| Meer wollen. Da habe ich Paul kennengelernt. Da wir ohne Drehgenehmigung | |
| nur mit Funkmikrofonen drehten, um unauffälliger zu sein, mussten wir uns | |
| entscheiden, wer gut zu hören sein sollte und wem wir die Mikrofone | |
| anstecken. Da Paul angeboten hatte zu helfen und sehr interessiert war an | |
| den Fragen, die der Film stellt, fiel die Wahl auf ihn. Ich kann bis heute | |
| nicht genau sagen, ob ich ihn ausgesucht habe oder er mich. Wir hatten aber | |
| auch einige Tage mit anderen Protagonisten gedreht, da ich nicht ahnen | |
| konnte, dass Paul während der Dreharbeiten tatsächlich über das Meer kommt. | |
| Das Material ist dann nicht im Film gelandet. | |
| Herr Nkamani, warum haben Sie zugestimmt, bei dem Film mitzumachen? | |
| Nkamani: Am Anfang hatte ich Angst, weil ich nicht wusste, mit welchem Ziel | |
| Jakob diesen Film dreht. Vielleicht sollte das ja ein Abschreckungsfilm | |
| werden, damit die Leute nicht nach Europa kommen? Dann habe ich ihn | |
| kennengelernt und verstanden, dass er zeigen will, wie wir leben, damit die | |
| Leute uns verstehen. Ich war damals schon drei Jahre in Nordafrika. Ich | |
| habe gedacht, vielleicht bekommen wir Hilfe durch den Film. | |
| Preuss: Das wusste ich zum Beispiel anfangs gar nicht, wie lange Paul schon | |
| in Nordafrika ist und dass vielleicht seine Überfahrt nach Europa kurz | |
| bevorsteht. Dass wir die dann mitgekriegt haben, hat den Film ja auch noch | |
| mal sehr verändert. | |
| Warum überhaupt ein Film zu diesem Thema? | |
| Preuss: Ich wollte eigentlich einen Episodenfilm über Europas Außengrenzen | |
| machen, auch angeregt von meiner eigenen Geschichte – ich bin in Westberlin | |
| geboren, war 14, als die Mauer fiel, habe dann in Frankreich und Polen | |
| studiert, eine Zeit lang in Spanien gelebt – also Grenzen verschwinden | |
| sehen. Deshalb wollte ich herausfinden, ob die europäischen Grenzen auch | |
| meine Grenzen sind. Ich habe dann anfangs – das war schon 2012 – viel in | |
| Griechenland, der Türkei, Polen und der Ukraine recherchiert und gefilmt, | |
| ich war bei Frontex in Warschau und hatte da eigentlich schon ziemlich viel | |
| Material, aber keine einzelne Geschichte, die mich so fasziniert hat. Dann | |
| war Melilla eine weitere Station, für mich wegen meiner Sprachkenntnisse | |
| vielleicht auch noch besser, und ich begann mit einer Geschichte über die | |
| Geflüchteten im Wald und der Grenzpolizei als Antagonistin. Als Paul dann | |
| tatsächlich über das Meer kam, nahm die Geschichte dann noch einmal eine | |
| ganz andere Wendung und wurde zu Pauls und meiner Geschichte. | |
| Da ist ja eine enge Verbindung entstanden, nicht nur durch den Film. Herr | |
| Nkamani wohnt bei Ihren Eltern, Herr Preuss: Würden Sie sagen, dass Sie | |
| Freunde sind? | |
| Preuss: Das ist eine schwierige Frage, die ich mir oft stelle. Ich habe das | |
| Gefühl, Paul ist eher so etwas wie ein Verwandter. Jemanden, den man sich | |
| nicht ausgesucht hat, weil man die gleichen Filme guckt oder in die | |
| gleichen Clubs geht. Dem man sich aber trotzdem sehr stark verbunden fühlt. | |
| Paul ist ja auch sehr anders, sehr gläubig und sehr konservativ in vielen | |
| Sachen. Es gibt vieles, wo wir uns nicht einig sind. | |
| Nkamani: (lacht) Bei uns ist es üblich, nur das Gute in den Menschen zu | |
| sehen. Ich habe nur gute Erinnerungen. Jakob ist eine sympathische Person, | |
| sehr hilfsbereit und sehr neugierig. Und er redet viel, das hat mich auch | |
| geöffnet. Wie er gesagt hat, wir sind wie Verwandte. Er hat mir sehr | |
| geholfen. Aber hätte er mir nicht geholfen, hätte es jemand anders gemacht, | |
| da bin ich mir sicher. | |
| Sie arbeiten jetzt als Altenpfleger? | |
| Nkamani: Als Pflegehelfer. Vorher habe ich als Bundesfreiwilliger in einem | |
| Seniorenheim gearbeitet und parallel dazu einen Pflegebasiskurs absolviert. | |
| Danach habe ich sofort diese Stelle als Pflegehelfer bekommen. Ich lebe von | |
| dem Geld, das ich selbst verdiene, ich bekomme kein Geld mehr vom | |
| Sozialamt. | |
| Ihre Flucht ist trotzdem noch nicht zu Ende: Ihr Asylantrag wurde abgelehnt | |
| und Sie haben eine Aufforderung zur Ausreise bekommen. | |
| Nkamani: Ja. Ich weiß nicht, wie es mit mir weitergeht. Ich lebe immer noch | |
| mit Angst. | |
| 30 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Alke Wierth | |
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