# taz.de -- Kommentar Flüchtlingspolitik: Besser kein Wahlkampfthema | |
> Der Umgang mit Geflüchteten spielt im Wahlkampf kaum eine Rolle. Das ist | |
> gut so. Denn das Thema würde der AfD nur so passen. | |
Bild: Herbst 2015: Flüchtlinge folgen einem Polizeiwagen in Bayern. Das sieht … | |
Einfache Frage: Welches politische Thema hat die Menschen in Deutschland in | |
den letzten Jahren am meisten beschäftigt, aufgeregt und emotional berührt? | |
Natürlich die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Viele sprachen vor Kurzem | |
noch davon, Angela Merkels sogenannte Grenzöffnung habe das Land ganz neu | |
politisiert. Warum aber spielt der Umgang mit Geflüchteten im Wahlkampf | |
bisher so gut wie keine Rolle? | |
Einfachste Antwort: weil nur noch wenige Flüchtende bis nach Deutschland | |
kommen. Selbst die AfD kann deshalb keine akute Krise herbeihetzen. | |
Wirklich dringende Probleme haben nicht mehr die deutschen Kommunen und | |
Turnhallennutzer, sondern nur noch die Menschen, die vor Krieg und Elend zu | |
fliehen versuchen – und einige Länder rund ums Mittelmeer. | |
Die EU schottet sich immer rigoroser ab. Weil kein Land zur Aufnahme | |
weiterer Flüchtlinge in nennenswerter Zahl bereit ist, werden nun private | |
Retter vom Retten abgehalten und libysche Warlords dafür bezahlt, dass sie | |
Menschen schon vor der Überfahrt stoppen. Eine nur noch auf Abwehr | |
zielende, teilweise zynische Politik, die von Italien organisiert und von | |
Merkel unterstützt wird. Ihr „humanitärer Imperativ“ von 2015? Fast | |
vergessen. | |
Diese Härte scheint allerdings nur noch wenige Deutsche so sehr zu | |
berühren, dass sie zu großen Debatten führt. Sie macht eher: sprachlos. Das | |
liegt aber nicht nur am Desinteresse, sondern auch an Ratlosigkeit. Die | |
meisten Wähler wollen weder komplett „offene Grenzen“ noch komplett | |
„geschlossene Grenzen“. Doch alles dazwischen ist kompliziert. | |
Klar: Man muss die unterlassene Hilfeleistung im Mittelmeer kritisieren. | |
Man sollte Italien unterstützen, weiter Menschen aufzunehmen. Dann aber | |
hört es, realpolitisch gesehen, auch schon auf. Italien die Versorgung der | |
Flüchtlinge allein zu überlassen, kommt dauerhaft nicht infrage. Eine | |
Verteilung innerhalb der EU ist derzeit leider völlig aussichtslos. | |
Was also tun? Mitten im Wahlkampf anbieten, dass Deutschland als einziges | |
Land Flüchtlinge aus Italien dauerhaft einreisen lässt und aufnimmt, egal | |
aus welchen Gründen sie geflohen sind? Kann man kaum erwarten von | |
Politikern, die (weiter)regieren wollen. | |
Natürlich müssen wir über Hilfe reden und in Zukunft wieder mehr | |
Geflüchtete aufnehmen. Über Zahlen und Kriterien kann man streiten. Aber es | |
ist nicht wirklich erstrebenswert, dass die Flüchtlingspolitik zum | |
Hauptwahlkampfthema wird. Das würde der AfD nur so passen. Nein, der | |
mühsame und langwierige Kampf für eine halbwegs humanitäre Politik ist | |
außerhalb von Wahlkampfzeiten aussichtsreicher. Wie sich 2015 gezeigt hat. | |
24 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Lukas Wallraff | |
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