| # taz.de -- Fragestunde mit Angela Merkel: Immer im Dienst | |
| > Pflichtbewusst und bescheiden: So präsentiert sich Angela Merkel. Auf | |
| > Nachfragen reagiert sie professionell – außer bei einem Thema. | |
| Bild: Angela Merkel in der Bundespressekonferenz am 29. August 2017 | |
| Berlin taz | Die Kanzlerin kommt meist nur ein Mal im Jahr in die | |
| Bundespressekonferenz. Das ist eine wirksame Herrschaftstechnik: Sie macht | |
| sich rar. Sie kann sich das leisten. Gibt es 2017 etwas Neues? Einen Satz | |
| für die Geschichtsbücher wie „Wir schaffen das“? Eine neue Botschaft oder | |
| Tonart Richtung Trump, Erdogan, die Chefetagen der Autokonzerne? | |
| Eher nicht. Merkel präsentiert sich gewohnt faktensicher, egal ob es um die | |
| Zukunft der Stahlindustrie, Glasfaser oder die Zollunion mit der Türkei | |
| geht. Und vor allem – als Sowohl-als-auch-Politikerin. | |
| So müssen man in Sachen Dieselgate natürlich Stickoxid-Grenzwerte und | |
| Umweltschutz im Auge haben, aber vor allem die Arbeitsplätze in der | |
| Autoindustrie. Ihre Formel zum Verbrennungsmotor floatet im Ungefähren | |
| zwischen der CSU, die Dieselautos für ein Grundrecht hält, und den Grünen, | |
| die ihn 2030 verbieten wollen. | |
| So ähnlich klingt Merkels Doppelbotschaft zur Flüchtlingspolitik: nämlich | |
| Hilfe für afrikanische Länder, vielleicht Kontingente für legale | |
| Einwanderer plus Abschottung der EU-Grenzen und Bekämpfung der Schlepper. | |
| Es gehe darum „jungen Menschen in Afrika Hoffnung zu geben“, sagt sie | |
| leutselig. Von EU-Nahrungsmittelexporten nach Afrika, die dort lokale | |
| Märkte ruinieren, ist nicht die Rede. | |
| ## Perfekt gerundetes Selbstbild | |
| Die Frage, ob ihr Herz eigentlich für die Flüchtlingskanzlerin 2015 oder | |
| die Abschottungskanzlerin 2017 schlage, versteht die Kanzlerin nicht. „Ich | |
| arbeite nicht mit solchen Begriffen“, sagt sie. In ihrem offenbar perfekt | |
| gerundeten Selbstbild entspringt die Aufnahme der Flüchtlinge 2015 „dem | |
| gleichen Geist“ (Merkel) wie der jetzige Versuch der EU, mit Geld für | |
| Auffanglager und Grenzkontrollen die Flüchtlinge aus dem Süden möglichst | |
| fern zu halten. Auch der ausgesetzte Familiennachzug für Flüchtlinge mit | |
| subsidärem Schutz fügt sich erstaunlich fugenlos in dieses Bild. Darüber | |
| will die Kanzlerin Anfang 2018 mal diskutieren. Wie der humanitäre Impuls, | |
| 2015 Flüchtlinge aufzunehmen zu der Hartherzigkeit passt, Familien | |
| auseinander zu reißen, bleibt ihr Geheimnis. | |
| Bei Fragen, bei denen es unübersichtlich wird, wird Merkel weitschweifig. | |
| Wo offensichtlich Fallstricke lauern („Finden Sie sich auch langweilig?“) | |
| steuert sie professionell ein artwandtes Thema an und beteuert, wie | |
| interessant doch der Wahlkampf dieses Mal sei. | |
| Der glänzendste Moment der 90-Minuten Performance ist einer der | |
| unauffälligsten – es geht um die Türkei. Leider sei man da in einer „sehr | |
| komplizierten Phase“. Weil die türkische Regierung grundlos Deutsche wie | |
| den Menschenrechtaktivisten Peter Steundtner oder den Welt-Korrespondenten | |
| und ehemaligen taz-Redakteur Deniz Yücel inhaftiert hält, werde man die | |
| Zollunion EU-Türkei blockieren. „Ich würde sehr gerne bessere Beziehungen | |
| zur Türkei haben, aber wir müssen die Realität betrachten“, so Merkel. Der | |
| Ton ist freundlich, verbindlich, der Inhalt klar. Wem das zu emotionslos | |
| ist, begreift nicht, dass Erregungsrhetroik nur Erdogan nutzen würde. | |
| Und ansonsten? Alles auf bestem Wege. In der EU sinkt die Arbeitslosigkeit, | |
| Merkel sieht Wachstum überall. Nun gelte es nach dem Euro auch die | |
| Wirtschaftspolitik enger zu verknüpfen. Was das genau heißt, bleibt vage. | |
| Ziemlich souverän kontert die Kanzlerin den Vorwurf, teure | |
| Bundeswehr-Hubschrauber für Wahlkampfzwecke zu nutzen. Das sei erstens | |
| rechtlich in Ordnung, zudem schon lange Usus und außerdem sei sie als | |
| Kanzlerin „immer im Dienst“. Will sagen: Sie muss halt auch mal zwischen | |
| zwei Wahlkampfterminen eine Krise lösen können. | |
| Anders, verlegener klingt das bei der Minijob-Affäre. Im Bundeskanzleramt | |
| organisieren enge Berater von Merkel als Minijobber für 450 Euro im Monat | |
| den CDU-Wahlkampf, darunter ihre Vertraute Eva Christiansen. „Es sollte | |
| möglich sein, dass Mitarbeiter im Kanzleramt sich außerhalb ihrer | |
| Arbeitszeit für die Partei engagieren können“, so Merkels Rechtfertigung. | |
| Mit den Minijobs habe man beides, so Merkel schmallippig, „klar getrennt“. | |
| Wirklich? Dass Merkels wichtigste Vertraute in Sachen Medien sich nach | |
| Dienstschluss noch ein paar mies bezahlte Gedanken macht, wie ihre Chefin | |
| ihren Job behält, das ist eine eher einfältige Vorstellung. Man muss nicht | |
| misstrauisch sein, um das für eine Ausrede zu halten. | |
| Merkel, pflichtbewusst, bescheiden, immer im Dienst. Dieses Bild hat sich | |
| nach 12 Jahren eingefräst. Nun hat es einen Riss. Nicht groß, aber | |
| sichtbar. | |
| 29 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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