# taz.de -- Deutsch-jüdische Designerinnen: Eleganz und Spiel | |
> Gestalterinnen der Moderne: Der Nationalsozialismus hat viele von ihnen | |
> in die Vergessenheit gedrängt. Das Jüdische Museum in Berlin stellt sie | |
> vor. | |
Bild: Porträt Lotte Pritzel mit einer ihrer Puppen, Fotografie, vermutlich Wie… | |
Woher die vielen Exponate der oft unbekannten 60 Designerinnen kommen, will | |
eine Journalistin beim Pressetermin von Michal S. Friedlander wissen. Nicht | |
selten von Familien außerhalb Deutschlands, antwortet die Kuratorin, vor | |
allem aus den USA und aus Israel. Anderes befände sich in der Sammlung des | |
Museums, wieder anderes hätte sie – die Namen der Designerinnen seien den | |
Anbietern unbekannt gewesen – preisgünstig auf eBay ersteigern können. | |
Hinter Friedlanders kuratorischer Arbeit liegen rund zwanzig Jahre | |
genealogischer Recherche. Für die Sonderausstellung „Widerstände. Jüdische | |
Designerinnen der Moderne“ im Jüdischen Museum Berlin hat sie nicht nur | |
rund 400 Exponate teils ausfindig machen und so zusammenstellen können. Sie | |
hat auch die Biografien von deren Urheberinnen, sofern nicht oder nur | |
unvollständig bekannt, gesichert oder nach Möglichkeit vervollständigt. | |
Arbeiten von 60 deutsch-jüdischen Gestalterinnen zu zeigen, die in und seit | |
der Zeit des frühen 20. Jahrhunderts im Zeichen der Moderne wirkten, ist | |
schon begrifflich kein leichtes Unterfangen. Sehr unterschiedliche | |
Gestaltungsdisziplinen sind in der Ausstellung vertreten: Keramik, Mode- | |
und Grafikdesign, Goldschmiede- oder Textilkunst. Notwendigerweise legt | |
sich auch der umfangreich bebilderte Katalog für den Berufszweig der | |
Gestalterinnen auf den Begriff des „Kunsthandwerks“ fest. | |
Diese in der Ausstellung gezeigte Vielfalt (von den zeremoniellen | |
Metallgegenständen von Rahel Ruth Sinasohn bis zum Foto des geflügelten, | |
avantgardistischen Huts von Regina Friedlaender) bildet sich auch in den | |
Biografien der Gestalterinnen ab: zwischen der 1870 geborenen | |
Perlenstickerin und Frauenrechtlerin Ida Dehmel, die im Jahr [1][1926 den | |
Künstlerinnenverband Gedok] gründete und etwa der 1905 geborenen Marianne | |
Heymann, die am Weimarer Bauhaus studierte, liegt nicht nur eine | |
Generation, sondern auch ein moderner gewordener gestalterischer Ausdruck. | |
## Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg | |
Dieser ist auch der für jüdische Studentinnen vergleichsweise günstigeren | |
Ausbildungssituation nach dem Ersten Weltkrieg zu verdanken: unter den am | |
Bauhaus studierten, in der Ausstellung vertretenen Gestalterinnen dürfte | |
[2][Anni Albers] die bekannteste sein. Aber auch die 1902 in Berlin von dem | |
gleichnamigen jüdischen Ehepaar gegründete „Schule Reimann“ war inzwischen | |
angewachsen, hier wurden etwa Natasha Kroll, Erna Rosenberg oder Elisabeth | |
Tomalin ausgebildet. | |
Trotz solcher Unterschiede gemein sei allen vertretenen Designerinnen, so | |
Friedlander, dass sie – auch in der Weimarer Republik – | |
Mehrfachdiskriminierung erfuhren. Sie seien sowohl Sexismus als auch | |
Antisemitismus ausgesetzt gewesen, weshalb der Ausstellungstitel auf die | |
verschiedenen Widerstände verweist, gegen die die Frauen mit ihrer | |
emanzipatorischen, selbst widerständigen Praxis erfolgreich ankämpften. | |
Gemein ist den Gestalterinnen auch, dass das NS-Regime ihre Karrieren und | |
Biografien beschädigte, zerbrach, und viele von ihnen zudem, oder gerade | |
dadurch, aus der (deutschen) Designgeschichte verdrängt wurden – zumal als | |
Frauen. Einige konnten ins Ausland fliehen und dort an ihre Tätigkeiten | |
anknüpfen, andere wurden von den Nazis ermordet oder begingen – wie Ida | |
Dehmel – Suizid. | |
Viele konnten nach Emigration oder Flucht ihre ursprünglichen Tätigkeiten | |
nicht mehr ausüben oder passten sich neuen Gegebenheiten an: von der Mode- | |
und Grafikdesignerin Dodo (Dörte Wolff ) werden etwa um 1926 entstandene | |
Zeichnungen von gliederpuppenähnlichen Ball-Kostümen oder eine Illustration | |
von 1929 ausgestellt, die eine Straßenszene mit einer so mode- wie | |
selbstbewussten Frau der Weimarer Zeit zeigt. Mit ihrer Emigration nach | |
England 1936 ändert sich Dodos Stil: sie illustrierte jetzt Kinderbücher, | |
notgedrungen nicht extravagant. | |
Eindrücklich wird „Widerstände“ insbesondere dort, wo den Objekten | |
schriftliche Quellen beigefügt sind: ein Artikel aus der NS-Tageszeitung | |
„Der Angriff“ von 1935 kontrastiert Arbeiten der jüdischen Keramikerin | |
[3][Margarete Heymann-Loebenstein] mit Werken der nicht-jüdischen | |
Keramikerin Hedwig Bollhagen. | |
„Zwei Rassen fanden für denselben Zweck verschiedene Formen. Welche ist | |
schöner?“, lautet eine Bildunterschrift. Die intendierte Antwort entsprach | |
natürlich ideologischen, antisemitischen Kriterien, denn nur Bollhagens | |
Arbeiten seien „aus deutscher, volkstümlicher Empfindung“ entstanden. | |
Bekanntlich war es Bollhagen selbst, die, nachdem die von | |
Heymann-Loebenstein mitgegründeten „Haël-Werkstätten für Künstlerische | |
Keramik“ in Marwitz zu stark reduziertem Preis verkauft worden waren und | |
sie nun deren künstlerische Leitung übernahm, dem „Angriff“ das | |
Bildmaterial mit den Keramiken Heymann-Loebensteins zur Verfügung stellte. | |
Letztere emigrierte 1936 nach Großbritannien; es gelang ihr dort nicht | |
mehr, an ihre Erfolge anknüpfen. | |
24 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Martin Conrads | |
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