# taz.de -- Die Malerei von Simin Jalilian: Mit einem feinen Nerv für politisc… | |
> Simin Jalilian kam 2016 aus dem Iran nach Deutschland. Ihre expressive | |
> Malerei zeigt die Beobachtungen einer Künstlerin zwischen Integration und | |
> Abschiebung. | |
Bild: Simin Jalilian: „The Wow effect“, 2024, Öl auf Leinwand (Ausschnitt) | |
Sie malte im Iran vor allem Frauen und erreichte damit schnell die Grenzen | |
dessen, was im Mullah-Regime öffentlich zeigbar ist. Und nach fast zehn | |
Jahren in Deutschland hat die Künstlerin Simin Jalilian einen bildlichen | |
Scharfsinn für die hiesige Gesellschaft entwickelt. Mit ihren | |
ausdrucksstarken, figurativen Malereien – gern in dreckigen, erdigen Farben | |
– greift sie Momente aus den Medien oder alltägliche Beobachtungen auf und | |
zeigt dabei einen feinen Nerv für politische Stimmungen. | |
Vier skurrile Figuren mit 3-D-Brillen sitzen in knallroten Kinosesseln auf | |
dem Bild mit dem Titel „The Wow Effect“. In groben, zackigen | |
Pinselstrichen, deren dick aufgetragene, fast schon wie ein abstraktes | |
Ornament wirkende Ölfarbe aber Konturen und Kontraste ziemlich exakt | |
wiedergibt, lässt Jalilian sie derart gebannt auf die Kinoleinwand | |
starren, dass ihnen der Strohhalm von den Trinkbechern aus den geöffneten | |
Mündern fällt. „Es sind Menschen, die sich von der Leinwand euphorisieren | |
lassen, aber die Realität nicht sehen“, sagt Jalilian der taz. | |
„L’art pour l’art trifft auf politische Kunst“, schreibt die | |
Kunstwissenschaftlerin Larissa Kikol zu Jalilians Malerei. Es ist eine | |
expressive Malerei. Unverkennbar orientiert sich Jalilian, die 1989 in | |
Teheran geboren wurde, an einem Stil der „Neuen Wilden“. Die waren ihr | |
schon im Iran auf der Kunstakademie ein Vorbild: [1][Martin Kippenberger], | |
Jörg Immendorff. | |
Bei Werner Büttner, einem ihrer prominenten Vertreter, studierte sie dann | |
in Hamburg an der Kunsthochschule. Simin Jalilian erhielt seitdem viele | |
Auszeichnungen, die Kunsthalle Hamburg hat sie in ihre Sammlung | |
aufgenommen. Solch ein Erfolg sichert ihr vorab auch den Aufenthaltsstatus | |
in Deutschland, nach vielen Jahren der Unsicherheit, wie sie erzählt. | |
Aber ihre ungestüme, [2][häufig humorvolle Malerei] ist immer auch von | |
einem Gefühl der Melancholie und der Furcht durchzogen, davon, dass ihr | |
Leben als Hinzugekommene in Deutschland gar nicht so sicher ist, sie immer | |
auch in einem Schwebezustand ist. „Integration“, mit diesem Begriff, der | |
nach Merkels „Wir schaffen das“ so viel beschworen wurde, mittlerweile aber | |
immer weniger zu hören ist, betitelt sie ein ungewöhnliches Selbstporträt. | |
Darauf versucht sie, mit dem Feuerzeug eine Bierflasche zu öffnen. Wenn sie | |
das schafft, sei sie integriert, soll eine Kommilitonin in Hamburg | |
gefrotzelt haben. Fast schon verbissen arbeitet sich die Porträtierte am | |
Flaschenhals ab, derweil verschwimmt der Boden unter ihr, braunrote | |
Rinnsale durchspülen ihn. | |
Kurze Zeit später malt sie sich, von Sicherheitskräften mit | |
Maschinengewehren umringt, vor einem Abschiebeflugzeug. „Ich habe Angst. | |
Das Bild zeigt meine dunklen Tagträume“, sagt Jalilian dazu. | |
Dass auch im Exil die Erinnerungen aus der Heimat bleiben, zeigt ihr Bild | |
mit dem zynischen Titel „Free up storage space“. Gemalt in einem | |
drastischen Stil, der an einen [3][20er Jahre-Expressionismus denken | |
lässt], drängen darauf Wärter neue Insassen in ein vollkommen überfülltes | |
Iraner Gefängnis, die Gesichter verblassen in der Anonymität der | |
Menschenmenge. | |
Aus der Erinnerung zu malen und nicht nach Fotos, das hat Simin Jalilian im | |
Iran gelernt, als sie sich privat einen Aktmalkurs organisierte, weil es | |
offiziell nicht erlaubt war. Sie weiß sich Beobachtungen gut einzuprägen. | |
20 Aug 2025 | |
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## AUTOREN | |
Sophie Jung | |
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