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# taz.de -- Hundert Jahre Neues Frankfurt: Am Menschen orientiert
> Das Neue Frankfurt setzte Maßstäbe für eine moderne und soziale
> Gestaltung der Stadt. Ein Blick auf die Mainmetropole und aktuelle
> Ausstellungen.
Bild: In den 1920ern geplant: Das Fechenheimer Bad (hier auf einer Aufnahme von…
Vor 100 Jahren präsentierte das Neue Frankfurt, was man heute allerorten
ersehnt: einen großen Wurf für die zeitgemäße Gestaltung des Stadtraums,
der seinen BewohnerInnen dienen sollte. Die wirtschaftliche Not war groß,
der gesellschaftliche Zusammenhalt auf die Probe gestellt.
Entsprechend ambitioniert wurde das Projekt angegangen. Binnen fünf Jahren
entstanden 12.000 neue Wohnungen, viele davon außerhalb der Innenstadt, in
praktischer Modulbauweise. „Frankfurt organisierte, finanzierte,
realisierte die Lösung sozialer Probleme, wie Wohnungsmangel und
Investitionsstau, auf einem hohen Gestaltungsniveau,“ sagt Grit Weber,
stellvertretende Direktorin und Kuratorin am Museum Angewandte Kunst, im
taz-Gespräch.
„Die meisten Gebäude“, so führt Weber weiter aus, „sind bis heute im
Dienst, und die meisten Menschen wohnen gern in den Wohnungen und Häusern
von damals, weil die Siedlungen bis heute eine großzügige
Außenraumgestaltung mit viel Grün und sehr viel Wohnqualität anbieten.“
Das Neue Frankfurt war tatsächlich ein zugleich baukulturelles wie
künstlerisches und sozialpolitisches Gesamtvorhaben. Selbst die grafische
Neugestaltung des Stadtwappens gehörte zum Programm. Die Frankfurter Küche,
Urtyp der modernen Einbauküche, [1][gestaltet von Margarete
Schütte-Lihotzky], befindet sich längst in der Designsammlung des New
Yorker MoMa. In der Ernst-May-Siedlung kann man heute noch den
Einfamilienhaus-Prototyp besichtigen, am Bornheimer Hang die fortwährend
modern wirkenden Wohnhäuser von vor einem Jahrhundert bestaunen.
## Alle Lebensbereiche im Blick
Doch gerade in der Omnipräsenz liegt die Gefahr, nur oberflächlich
hinzublicken. Selbst in der Region mag das Schlagwort „Bauhaus“, das im
selben Jahr Jubiläum feiert, noch immer einen viel gewichtigeren Klang
haben. Dabei war das Neue Frankfurt nicht primär eine gestalterische
Schule, sondern ein umfangreiches Stadtplanungsprojekt, das etliche
Lebensbereiche umfasste und somit tatsächlich beim Menschen ankam.
Ein Besuch im Museum Angewandte Kunst empfiehlt sich als Einstieg ins
Jubiläumsjahr. „Was war das neue Frankfurt?“, führt in 16 Fragen kompakt …
das Stadtplanungsprogramm ein.
Neben Infos zu den Begründern (unter anderem SPD-Oberbürgermeister Ludwig
Landmann, [2][Stadtbaurat Ernst May]) und weiteren Beteiligten (Max Bromme,
Margarete Schütte-Lihotzky, aber auch Max Beckmann) lässt sich nachlesen,
wie das Vorhaben finanziert wurde (durch die damalige Hauszinssteuer),
welche bedeutsame Rolle die Frauen des Neuen Frankfurt spielten und ob sich
eine Arbeiterfamilie so eine Wohnung überhaupt leisten konnte (kurze
Antwort: Jein).
## „Yes, we care“
Beide Schauen schärfen das Bewusstsein dafür, dass Stadtgestaltung keine
Frage allein der Ästhetik ist. Dass sich weder Haus noch Kinderwiege aus
dem Nichts materialisieren. Mit der Ausstellung „Yes, we care. Das Neue
Frankfurt und die Frage nach dem Gemeinwohl“ wird der Begriff der
Care-Arbeit auf den Bereich der Stadtgestaltung angewandt. Eine zwingende
Entscheidung, sagt Kuratorin Weber: „Für mich war der Begriff nie allein im
häuslichen Bereich wirksam. Das Private ist politisch und Arbeit – darum
handelt es sich ja bei Care – war und ist gesellschaftspolitisch.“
Das Thema in einem Museum für Angewandte Kunst zu platzieren, begründet sie
mit dem Aspekt des Social Design. „Also Gestaltungslösungen, die das
Gemeinwohl in den Blick nehmen und dabei nicht nur materielle Produkte
hervorbringen, sondern gesellschaftliche Strukturen schaffen:
Genossenschaften, Projekte, Initiativen, ja sogar Protestgruppen, wenn sie
das Wohl vieler zum Ziel haben.“
In der Ausstellung wird deutlich, wie groß das Neue Frankfurt schon vor 100
Jahren gedacht war. Neben Wohnbauten für Familien oder alleinstehende und
berufstätige Frauen gehörten Einrichtungen für kranke und alte Menschen,
Spielplätze oder Kulturstätten zum Programm.
Geplant, aber nicht mehr realisiert, wurden zum Beispiel Schwimmbäder, eine
Kunstschule, die Zentralbibliothek, Wohnheime für Studierende oder
Gemeinschaftshäuser – eine überraschende Entdeckung auch für die
Kuratorin. Ebenso, welchen hohen Stellenwert die Pflege- und
Wohlfahrtstätigkeit gesellschaftlich genoss. Oder auch, auf welch hohem
professionellen Niveau die jüdische Krankenpflege in den 1920er Jahren in
Frankfurt gearbeitet hat.
## Jüdische Persönlichkeiten
Ob es nun einen Zusammenhang zwischen der jüdischen Tradition der Pflege
von Gemeinsinn und dem Modernisierungsvorhaben des Neuen Frankfurt gegeben
hat, das fragt aktuell das Jüdische Museum auf der anderen Seite des Mains.
Denn tatsächlich war ein Großteil jener Persönlichkeiten, die das Neue
Frankfurt initiiert und vorangetrieben haben, jüdisch – unter anderem
Landmann, May oder der Architekt und Designer Ferdinand Kramer. Dieser
Umstand wird gewöhnlich allenfalls kurz erwähnt. Das säkulare Judentum war
ja geradezu unsichtbar geworden, zumindest dem Anschein nach. Mit dem
Nationalsozialismus sollte sich zeigen, dass ebenjene Säkularisierung oder
gar Christianisierung keine Rolle mehr spielten für den antisemitischen
Wahn.
Vor dem Jüdischen Museum begegnet man einigen ProtagonistInnen jetzt in
Lebensgröße. Pappaufsteller verweisen auf einen Pop-up-Parcours, der sich
durchs gesamte Haus zieht. Auch Künstlerinnen trugen zum Gesamtprojekt bei
– wie die Fotografin Ilse Bing oder die Künstlerin Erna Pinner, deren
fantastische Tierillustrationen man hier schon vor einigen Jahren in der
Schau „Zurück ins Licht“ entdecken konnte.
Viele ProtagonistInnen des Neuen Frankfurt waren im Exil, gewaltsam
vertrieben, verfolgt oder gerade rechtzeitig ausgereist. Mit ihnen gingen
bahnbrechende Ideen – und ein Blick auf das Gemeinwohl, der in dieser Form
nicht wiederkehren sollte.
## Raum für Utopien
Im Jubiläumsjahr stehen in Frankfurt noch weitere Ausstellungseröffnungen
an. Das Deutsche Architekturmuseum wird fantastische Stadtmodelle
präsentieren. Im Museum Angewandte Kunst geht es im Herbst mit einem
Jazz-Schwerpunkt weiter, ebenfalls einst Zeichen der Moderne am Main.
Wohnraummangel ist in den Städten derzeit die globale Herausforderung
schlechthin, neben dem Klimawandel. Im Historischen Museum Frankfurt sollen
beide Aspekte zusammen betrachtet werden. „Alle Jahre Wohnungsfrage. Vom
Privatisieren, Sanieren und Protestieren“ nimmt den Abgesang auf die
Wohngemeinnützigkeit 1990 in dieser Stadt zum Anlass für eine kritische
Betrachtung ab Mitte Juni, die in einem Stadtlabor auch Raum für konkrete
Utopien schaffen soll.
Wird der Neubau von Wohnraum, so ökologisch er geplant sein mag, nun aber
Emissionen, Mangel an Frischluft und Grünflächen nicht zwangsläufig erst
einmal verschärfen?
„Ja, das ist die Crux“, bestätigt Katharina Böttger, die die Schau
gemeinsam mit Angelina Schäfer, Noah Nätscher und Tabea Latocha konzipiert
hat. „Wir wollen mit der Ausstellung einen Diskursraum eröffnen und nicht
die eine Lösung präsentieren. Erstmal ist es wichtig, mit den
Bestandsgebäuden, die wir haben, gut umzugehen, sie instand zu halten und
im Bestand Lösungen für den Siedlungs- beziehungsweise Wohnungsbau von
morgen zu planen.“
## Schön, bezahlbar und klimagerecht
Für Angelina Schäfer soll es in dieser Schau ums Ganze gehen: „Wir
verbinden die Forderungen nach klimagerechtem, bezahlbarem und
städtebaulich ansprechendem Wohnen mit dem zunehmenden Wunsch nach
Mitbestimmung und Demokratisierung. Bei einem Großteil der Instrumente geht
es um politischen Willen.“
Instrumente, dem Wohnraummangel akut zu begegnen, sollen in der Ausstellung
ebenfalls vorgestellt werden. Es verspricht bei aller Utopie, konkret genug
zu werden.
Grit Weber kannte das Neue Frankfurt gut. Trotzdem hat sie noch einiges
während der Vorbereitung auf die Ausstellungen im Museum Angewandte Kunst
überrascht. Neben den bereits erwähnten Aspekten vor allem dies: „Mit
welcher Energie und welchem Pragmatismus die soziale Not gemildert werden
sollte. Von diesem Optimismus könnten wir heute auf jeden Fall mehr
gebrauchen.“
31 May 2025
## LINKS
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[2] /Stadtplaner-Ernst-May/!5114609
## AUTOREN
Katharina J. Cichosch
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