# taz.de -- Expressionistin Elfriede Lohse-Wächtler: In den Kaschemmen St. Pau… | |
> Vergleichbar mit Dix und Beckmann, aber zu wenig bekannt: Eine | |
> Wanderausstellung zeigt Elfriede Lohse-Wächtler, die 1940 von den Nazis | |
> ermordet wurde. | |
Bild: Elfriede Lohse-Wächtler: „Das Vergnügen von St. Pauli“ von 1930 (Au… | |
Fotografie galt um 1900 nicht als hohe Kunst – ein Grund, warum gerade | |
Frauen hier früh Fuß fassten. [1][Namen wie Ilse Bing, Germaine Krull] oder | |
Berenice Abbott sind heute fest mit der Geschichte der modernen Fotografie | |
verbunden. Dass sie damals überhaupt wirken konnten, lag auch daran, dass | |
die männlich dominierte Kunstwelt die Fotografie lange Zeit nicht ernst | |
nahm. Künstler, das waren Männer, die malten oder Skulpturen schufen. | |
Künstlerinnen galten als Ausnahme. Und wurden als solche meist übersehen. | |
Das galt etwa für Anita Rée oder [2][Jeanne Mammen], die zu Lebzeiten in | |
Fach- und Kritikerkreisen zwar durchaus eine gewisse Bekanntheit | |
erreichten, denen der breite Publikumserfolg ihrer berühmten männlichen | |
Kollegen jedoch verwehrt blieb. Ihre Werke erfahren seit den 1990er Jahren | |
sukzessive die Aufmerksamkeit, die ihnen künstlerisch zusteht. Auch die | |
expressionistische Malerin Elfriede Lohse-Wächtler gehört in diese Reihe; | |
womöglich sogar ganz nach vorne, aufgrund der markanten Unverkennbarkeit | |
ihres Stils. | |
Lohse-Wächtlers Schicksal ist tragisch. Während ihre männlichen Kollegen | |
wie Otto Dix oder [3][Max Beckmann für ihre Kunst von den Nazis zwar | |
diffamiert], aber nicht persönlich verfolgt wurden, war es in ihrem Fall | |
umgekehrt. Ihr künstlerisches Werk befanden die Nazis für unbedeutend. Als | |
Mensch jedoch verfolgten sie sie aufgrund ihrer psychischen Erkrankung | |
unerbittlich. Elfriede Lohse-Wächtler wurde entmündigt, zwangssterilisiert | |
und schließlich 1940 als „nicht lebenswert“ im Zuge des | |
NS-Euthanasieprogramms ermordet. | |
Die [4][Heidelberger Sammlung Prinzhorn], die historische und aktuelle | |
Kunst von Patient:innen aus psychiatrischen Anstalten zeigt und den | |
Nachlass Lohse-Wächtlers verwaltet, widmete ihr 2023 eine Ausstellung, 2024 | |
folgte eine große Retrospektive im Hamburger Barlach Haus – mit rund 100 | |
ihrer Arbeiten: Gemälde, Zeichnungen, Grafiken. | |
Eine leicht reduzierte Version der Hamburger Ausstellung ist jetzt noch im | |
Franz-Marc-Museum in Kochel am See zu sehen und bald in Heilbronn im | |
Kunsthaus Vogelmann. Im Mittelpunkt von Ausstellung und Werk Elfriede | |
Lohse-Wächtlers stehen ihre eindringlichen Porträts: frühe Zeichnungen von | |
Mitpatienten in der Hamburger Psychiatrie, jener Stadt, wo sie seit 1924 | |
in unglücklicher Ehe mit dem Künstler Kurt Lohse lebte; ebenso wie | |
Gesichter der Hafenarbeiter und Prostituierten in den Kaschemmen St. Paulis | |
– vom Leben gezeichnet, rau und unmittelbar. Anders als Jeanne Mammen, die | |
ähnliche Milieus darstellte, aber in weicheren Linien und einer | |
stilisierten Ästhetik, wählte Lohse-Wächtler den direkten, ungeschönten | |
Blick. | |
Das gilt auch für ihre Selbstporträts, deren genau biografische Zuordnung | |
aufgrund fehlender Datierung nicht möglich ist. In ihnen, oft mit wirrem | |
Haar und verquollenem Gesicht, lassen sich die psychisch-emotionalen | |
Ausnahmezustände der Künstlerin erahnen. Doch wäre es zu kurz gegriffen, | |
ihr Werk als das Psychogramm lebenslanger seelischer Leiden zu begreifen. | |
Ironische, mitunter satirische Brechungen gehören ebenso zu ihrem Schaffen | |
wie Elemente dynamischer Körperlichkeit, etwa in Form des Tanzes. Diese | |
Ausstellung zeigt: Elfriede Lohse-Wächtlers Werk steht dem der großen | |
Expressionisten des 20. Jahrhunderts in nichts nach. | |
4 Jun 2025 | |
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## AUTOREN | |
Florian Keisinger | |
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