# taz.de -- Kunstausstellung über das Wohnen: Der Quadratmeter reicht tief | |
> Das Wohnen ist privat und politisch zugleich. Das nimmt die Ausstellung | |
> „Our House“ in der Villa Giersch in Frankfurt am Main in den Blick. | |
Bild: Inge Werth, aus der Fotoserie „Im Bett“ | |
Im Herrenzimmer huschen die Schatten namenloser Salongäste von links nach | |
rechts, im Klavierzimmer spielen Tasten wie von unsichtbarer Hand, auf der | |
Treppe nach oben streift eine unheimliche Verewigung der Künstlerin selbst | |
den Weg. | |
Zilla Leutenegger bespielt die Villa am Frankfurter Mainufer, die heute das | |
Museum Giersch ist, mit freundlichem Spuk. „Our House“ heißt die Schau, sie | |
versammelt verschiedene künstlerische Perspektiven auf das Wohnen, vom | |
frühen 20. Jahrhundert bis heute. | |
Zu Leuteneggers Klavierklängen kann der Blick aus dem Erdgeschoss der | |
Villa, die 1910 für eine Unternehmerfamilie im Stil des Neoklassizismus | |
errichtet wurde, hinaus in den Vorgarten auf eine Skulptur fallen: Der | |
Bronzeakt der 19-jährigen Margrit Schlömer, so steht es auf dem | |
Fensterglas, wurde von Bildhauer Fritz Klimsch angefertigt und war einst | |
für [1][Adolf Hitlers „Führermuseum“ in Linz] vorgesehen. | |
Ein nachträglicher Abguss jener Skulptur kam 2009 in die Sammlung des | |
Museums Giersch, ein Jahr später folgte eine kritische Retrospektive zu | |
Fritz Klimsch. Was hier in kuratorischer Klarheit zu lesen ist, gilt | |
generell für „schwierige“ Kunst: Auch von ihrer kritischen Aufarbeitung | |
kann eine Museumssammlung profitieren. | |
## Diebische Freude am Als-ob | |
Einen zweiten Klimsch gibt es dann noch mit dem Blick aus der „WG-Küche“ in | |
den Garten. In dieser erstmalig für BesucherInnen geöffneten Teamküche | |
könnte man auch Platz nehmen und eine Limo trinken. Ohnehin hat die gesamte | |
Schau eine diebische Freude am Als-ob, als ob man hier wohnen könnte, | |
zumindest übergangsweise. Die Großzügigkeit der ehemaligen Privat- und dann | |
Handelsvilla wird fortgeführt. Oft lohnt der Blick auf die | |
Nebenschauplätze, Fenster, Ecken. | |
Von der Freude am Einrichten schlechthin zeugen eine bühnenartige | |
Wohnrauminstallation von Matthias Weischer und kleinformatige Aquarelle von | |
Elizabeth Ravn, die während der Coronapandemie Pflanzen, Pinsel und den | |
Blick aus dem eigenen Fenster festgehalten hat. | |
Wiedersehen mit einer großartigen Fotoserie: Seit Jahrzehnten porträtiert | |
Inge Werth Menschen im Bett, vom lesbischen Paar über das alternative | |
Wohnprojekt bis zum exzentrischen Jugendzimmer. Jetzt hat sie nachgelegt – | |
mit Bekannten aus der [2][Seniorenresidenz, in der die inzwischen | |
93-jährige] Frankfurter Fotografin heute selbst lebt. | |
Wofür in aktuellen Wohndiskursen sonst ein wenig die Vorstellungen fehlen, | |
das ist, was Simpsons-Charakter Bart einmal die „unterste untere | |
Mittelschicht“ genannt hatte: zu „reich“ für die Sozialwohnung, zu arm f… | |
den ganz normalen Wohnungsmarktwahnsinn. | |
Aber vielleicht findet sie sich ja in Susanne Kutters Videoarbeit wieder: | |
Zentimeter für Zentimeter werden da in beklemmender Konsequenz | |
Couchgarnitur, Blumen, Schränke zusammengeschoben, bis nurmehr ein | |
Presswohnzimmer übrig bleibt. Man fühlt sich an „Byt (The Flat)“ von 1968 | |
erinnert, den surrealistischen Kurzfilm des Tschechen Jan Švankmajer, in | |
dem die prekären Besitz- und Wohnverhältnisse schließlich im physischen | |
Zusammenbruch jener Wohnstruktur münden. | |
## Schlagartige Schwere | |
Von schlagartiger Schwere sind die schwarz-weißen Fotografien von Robert | |
Haas. Auf ihnen sind zunächst nur Wohnzimmer, Treppen oder Esstische zu | |
sehen. Es sind die Wohnungen jüdischer Familien, die den Wiener Fotografen | |
noch 1938 gebeten hatten, ihr Zuhause im Bild festzuhalten. | |
Nichts deutet darauf hin, dass ihre Bewohner wussten, was ihnen bevorsteht | |
– oder ist die erschütternde Aufgeräumtheit auf Haas’ Bildern gerade doch | |
ein Hinweis darauf, dass man in dunkler Vorahnung alles ordentlich | |
hinterlassen wollte? 70.000 Wohnungen wurden über Nacht „frei“, erfährt m… | |
hier, weil ihre BewohnerInnen vertrieben, oftmals ermordet wurden. Dass | |
übrigens die Wandtextvariante in einfacher Sprache die Shoa mit „Krieg“ | |
übersetzt, irritiert. | |
Von hier aus kann es keinen eleganten Übergang geben. In dieser Ausstellung | |
treffen die heiteren und existenziellen Aspekte des Wohnens unmittelbar | |
aufeinander. Wie auch die Familienfotografien via Zoom aus dem | |
Corona-Lockdown und eine Fotoinstallation über die dreieinhalb Quadratmeter | |
Wohnraum, die Geflüchteten 2015 durchschnittlich zur Verfügung standen. | |
Im größten Raum hat Jana Sophia Nolle enorm präzise das Wohnzimmer eines | |
kulturaffinen Durchschnittspublikums nachgezeichnet – von der | |
USM-Haller-Kommode bis zur nach Farben sortierten Bücherwand. Mittendrin | |
installierte sie das Hab und Gut eines obdachlosen Menschen. | |
Der plakative Kontrast zwischen guter Situiertheit und Wohnungslosigkeit | |
hält uns ganz nebenbei [3][einen Blick auf soziales Leid vor, der Armut nur | |
ästhetisiert – „Poverty Porn“ würde man im Englischen sagen.] Doch Nolle | |
lässt auch eine gewisse Widerständigkeit der von Armut Betroffenen | |
erkennen, den Willen zur Gestaltung der Lebensumgebung. Thronend darin ist | |
ein Regenschirm mit dem Aufdruck Xizi Real Estate. So heißt die | |
Immobiliensparte eines der größten Unternehmen Chinas, die handelt freilich | |
auch mit Wohnimmobilien. | |
27 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ausstellung-zu-NS-Raubkunst/!5999857 | |
[2] /Der-Hausbesuch/!6013756 | |
[3] /Architekturmuseum-TU-Muenchen/!5819479 | |
## AUTOREN | |
Katharina J. Cichosch | |
## TAGS | |
Bildende Kunst | |
Alternatives Wohnen | |
Wohnen | |
Frankfurt am Main | |
Stadtplanung | |
Fluxus | |
Kolumne High & Low | |
Kunst | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hundert Jahre Neues Frankfurt: Am Menschen orientiert | |
Das Neue Frankfurt setzte Maßstäbe für eine moderne und soziale Gestaltung | |
der Stadt. Ein Blick auf die Mainmetropole und aktuelle Ausstellungen. | |
Fluxuskünstlerin Alison Knowles: Zum Glück darf man klauen | |
Erfrischend überschreitet New Yorkerin Alison Knowles die Genres der Künste | |
und ist auch sonst nah am Alltag, zeigt ihre Retrospektive in Wiesbaden. | |
Frühe Fotografien von Martin Parr: Die Action findet außerhalb statt | |
Schwarz-Weiß-Film war verfügbar, also nutzte er ihn. In Frankfurt sind | |
frühe Fotos von Martin Parr zu sehen, die nur selten gezeigt werden. | |
Kunst und Einwanderung: Vom Rand aus gesehen | |
„There is no there there“ im MMK in Frankfurt am Main versammelt 30 | |
Kunstschaffende mit Migrationshintergrund. Sie haben viel zu erzählen. |