| # taz.de -- Vor 100 Jahren Hauptstadt der Fotografie: Berlinerinnen, die mit Li… | |
| > Viele Fotostudios wurde in den 1920er Jahren von Frauen geführt. | |
| > Fotografinnen wie Else Neuländer setzten den Kurfürstendamm & Co. in ein | |
| > neues Licht. | |
| Bild: Sie hat viele Persönlichkeiten der Zeit porträtiert: Frieda Riess mit d… | |
| Berlin taz | Sie gestalteten alles neu: Motivanordnungen und | |
| Bildaufteilungen, Blickwinkel und Belichtungen und das Studio als Raum für | |
| nahezu ikonografische Innovationen. Sie lehnten sich zudem gegen | |
| überkommene soziale Rollenzuweisungen für Frauen auf, schufen | |
| experimentelle bildliche Vorstellungen von emanzipierter Weiblichkeit. Und | |
| das Berlin der 1920er Jahre liebte ihre Kunst mit der Kamera. | |
| Susanne Byk, Frieda Riess, Else Neuländer und Marta Vietz waren | |
| Pionierinnen der Fotografie. Der [1][Kurfürstendamm] wurde ihr Eldorado. | |
| Die wohl bekannteste Straße der Stadt war immer vieles: Prachtboulevard und | |
| Partylocation, Lebensader und Lustmeile, Sehnsuchtsort und Szenelaufsteg – | |
| auch und gerade vor 100 Jahren. Dass damals hier und in den Seitenstraßen | |
| das Herz der Fotografie im Deutschen Reich schlug, ist heute allerdings | |
| eher unbekannt. | |
| Das Berlin der „Goldenen Zwanziger“ lebte mit sich selbst in tiefstem | |
| Kontrast. Der Weg zur Weltstadt verlief rasant, jedoch mit sozialen | |
| Verwerfungen. Eleganz bestimmte die Abendgesellschaften am Kurfürstendamm – | |
| und Elend den Alltag am Alexanderplatz. Josephine Baker eroberte tanzend | |
| die Stadt. Das Publikum im Nelson-Theater bejubelte ihre erotischen Shows. | |
| „Berlin, das ist schon toll! Ein Triumphzug“, so die als „Schwarze Venus�… | |
| gefeierte Künstlerin. | |
| Das Leben in den Mietskasernen, Hinterhöfen und Seitengassen hingegen war | |
| bitter. Glanz und Abglanz einer Stadt: Kinos, Cafés, Varietés mit | |
| funkelnden Leuchtreklamen in Charlottenburg. Baracken, Suppenküchen, | |
| Obdachlosenheime mit verfallenden Mauern im Wedding. | |
| ## Weltwirtschaftskrise traf Berlin mit voller Wucht | |
| Die [2][„Flapper Girls“] mit Bubikopf, Zigarettenspitze und Cocktail waren | |
| kennzeichnend für die Nachtclubs am Hardenbergplatz – und unterernährte | |
| Jugendliche mit leerem Blick und verschlissenen Lumpen für den Kinderstrich | |
| in der Friedrichstraße. „Metropolis“ feierte Premiere, 1927 im Ufa-Palast | |
| am Zoo. Der Film von Fritz Lang wirkt wie ein Spiegel dieser Spannungen. | |
| Publikum fand er kaum. Die Weltwirtschaftskrise ab 1929 traf schließlich | |
| auch Berlin mit voller Wucht. | |
| Susanne Byk, Frieda Riess, Else Neuländer und Marta Vietz gestalteten den | |
| Glamour dieser wechselvollen Zeit mit, meisterten sie als selbstbewusste | |
| Unternehmerinnen. Berlin wurde bis 1930 zur Heimat von mehr als 400 | |
| Fotoateliers. Frauen führten rund ein Viertel dieser Studios, ihr Anteil | |
| in fotografischen Berufen war bemerkenswert hoch. Die Frauenbewegung seit | |
| dem 19. Jahrhundert hatte die Voraussetzungen für ihr Streben nach | |
| beruflicher Selbstverwirklichung geschaffen. Aber auch die Restriktionen | |
| der Kaiserzeit waren eine Ursache für die große Zahl an Fotografinnen. | |
| Die ersten 18 Studentinnen an der Königlichen Akademischen Hochschule für | |
| die Bildenden Künste in Berlin wurden zum Sommersemester 1919 aufgenommen – | |
| im ersten Jahr der Weimarer Republik. Frauen im Studium waren zuvor eine | |
| absolute Ausnahme, allgemeinen Zugang zu Universitäten erhielten sie in | |
| Preußen erst 1908 – gegen harten, männlichen, Widerstand. | |
| Der Traum, etwa die Malerei als Beruf auszuüben, hatte sich zuvor vor allem | |
| an privaten Kunstschulen, im Kontakt mit Malerinnen oder durch | |
| autodidaktisches Talent erfüllt. Für Frauen ließ sich die Hoffnung auf ein | |
| Leben als Künstlerin häufig jedoch nicht verwirklichen. Was blieb waren | |
| Ehe, Haushalt und Mutterschaft. Viele hatten sich damit abgefunden, oft in | |
| einer unzufriedenen Stille. Andere hatten sich abseits der Hochschulen mit | |
| neuen Ideen in der Kunst verwirklicht, etwa durch eine Ausbildung zur | |
| Fotografin. | |
| ## Zwei Starfotografinnen | |
| Die 1884 geborene [3][Susanne Byk] und die sechs Jahre jüngere [4][Frieda | |
| Riess] nahmen dieses Wagnis in jungen Jahren auf sich. Sie gründeten ihre | |
| Ateliers bereits 1911 beziehungsweise 1917 mit 27 Jahren und arbeiteten in | |
| den 20er Jahren am Kurfürstendamm in gegenüberliegenden Häusern: Byk in der | |
| Nr. 230, Riess in der Nr. 14/15. Die Karstadt-Filiale beziehungsweise der | |
| Bürokomplex „Gloria Berlin“ an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche befind… | |
| sich heute dort, wo beide zu Starfotografinnen wurden. | |
| Die Persönlichkeiten, die sie porträtierten, waren oder wurden prominent: | |
| Valeska Gert, Alice Salomon, Max Liebermann und Albert Einstein von Byk, | |
| Josephine Baker, Margo Lion, Marc Chagall und Max Schmeling von Riess. „Die | |
| Riess“, wie sie genannt wurde, war zudem eine vornehme Gastgeberin, ihr | |
| Atelier ein exklusiver Salon. Die High Society verkehrte bei ihr: | |
| Literatinnen und Literaten, Schauspielerinnen und Schauspieler und das | |
| Berlin der Politik, der Diplomatie, der Wirtschaft. | |
| Die Zahl der avantgardistischen Fotografinnen stieg stetig. Die zur | |
| Jahrhundertwende geborene Else Neuländer eröffnete 1925 ihr Atelier. | |
| Bekannter als ihr bürgerlicher Name wurde das Pseudonym, unter dem sie | |
| Berühmtheit erlangte: Yva wurde eine der innovativsten Porträt- und | |
| Modefotografinnen der 20er Jahre, bestach durch synoptische Bilder, die sie | |
| unter anderem mit Mehrfachbelichtung aufnahm. Die Bleibtreustraße 17 war ab | |
| 1930 der Standort ihres Ateliers, das sie 1934 in die Schlüterstraße 45 | |
| verlegte – jeweils in Sichtweite des Kurfürstendamms. | |
| „Selbstmord in Spiritus“: Das Eigenbildnis von 1927 verdeutlichte schon | |
| durch seine Betitelung, dass auch die 26-jährige Marta Vietz mit | |
| Konventionen der Fotografie gerne brach – zum Beispiel, indem sie ihr Haupt | |
| auf dem besagten Bild per Fotomontage in ein Laborglas hineinversetzte. | |
| Standort ihres Studios war in den frühen 30er Jahren die Meinekestraße 22, | |
| nur etwa 150 Meter vom Kurfürstendamm entfernt. | |
| ## Licht und Schatten | |
| Die Frauen spielten mit Licht und Schatten, begriffen Fotografie nicht nur | |
| als abbildende, sondern auch als bildende Kunst. Die Bilder, die sie | |
| schufen, bestimmen unsere Vorstellung der 20er Jahre noch heute. Der | |
| Zerfall der Weimarer Republik jedoch führte zu einschneidenden | |
| Veränderungen. Die Bedrohung durch den Nationalsozialismus wurde für die | |
| Frauen konkret: Byk, Riess und Yva entstammten jüdischen Familien. | |
| Astfalck-Vietz wiederum ging in den Widerstand gegen die Nazis. | |
| Susanne Byk verkaufte 1938 ihr Atelier nach antijüdischen Anfeindungen zu | |
| einem sogenannten „Arisierungspreis“. Sie flüchtete mit ihrem Ehemann | |
| Hellmuth Falkenfeld in demselben Jahr nach New York, wo sie 1943 verstarb. | |
| Frieda Riess ging 1932 nach Paris – aus Liebe zu Pierre de Margerie, der | |
| von 1922 bis 1931 als französischer Botschafter im Deutschen Reich fungiert | |
| hatte. Sie überlebte die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg, da sie | |
| ihre jüdische Familiengeschichte verbarg, und verstarb 1954 in der neuen | |
| Heimat. | |
| Yva wurde 1938 von den Nazis mit einem Berufsverbot belegt und mit | |
| Zwangsarbeit als Röntgenassistentin gepeinigt. Sie wurde mit ihrem Ehemann | |
| Alfred Simon deportiert. Beide wurden im Juni 1942 im deutsch besetzten | |
| Polen als KZ-Gefangene ermordet. | |
| ## Mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet | |
| [5][Marta Astfalck-Vietz] ließ Flugschriften gegen das NS-Regime in ihrer | |
| Dunkelkammer kopieren, verhalf jüdischen Mitmenschen zur Flucht und | |
| betreute deren Kinder als Lehrerin. Sie erweiterte ihr pädagogisches Wirken | |
| nach der NS-Zeit, gründete die „Behindertenwerkstätten Mosaik“ und wurde | |
| dafür 1982 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 1994 verstarb auch | |
| sie. | |
| Für Yva und Alfred Simon wurden vor der Schlüterstraße 45 Stolpersteine | |
| verlegt. Der Yva-Bogen führt zudem als Fußweg von der Kantstraße in die | |
| Jebensstraße am Bahnhof Zoologischer Garten – und damit auch zur „Helmut | |
| Newton Foundation“. Newton, 1920 geboren als Helmut Neustädter, war ab 1936 | |
| von Yva ausgebildet worden – für ihn „der Olymp“, wie er berichtete. | |
| Das Wirken der anderen Frauen dagegen ist im Straßenbild nicht | |
| dokumentiert. Weder an den einstigen Standorten der Studios von Byk, Riess | |
| und Astfalck-Vietz finden sich Gedenktafeln noch dort, wo weitere | |
| Fotografinnen wirkten – etwa Lilli Baruch (Kurfürstendamm 201), Steffi | |
| Brandl (Kurfürstendamm 211), Margarete Karplus (Pariser Straße 27 bzw. | |
| Hektorstraße 4) oder die Jacobi-Schwestern Lotte und Ruth. | |
| Und auch die Bedeutung des Kurfürstendamms als Zentrum der Fotografie ist | |
| eine kilometerlange Leerstelle der Erinnerungskultur geblieben. | |
| 28 May 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://de.wikipedia.org/wiki/Kurf%C3%BCrstendamm | |
| [2] https://de.wikipedia.org/wiki/Flapper | |
| [3] https://de.wikipedia.org/wiki/Suse_Byk | |
| [4] https://de.wikipedia.org/wiki/Frieda_Riess | |
| [5] https://de.wikipedia.org/wiki/Marta_Astfalck-Vietz | |
| ## AUTOREN | |
| Nicolas Basse | |
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