# taz.de -- Maler Gustav Wunderwald: Berlin, ein Monster der Moderne | |
> Vor 80 Jahren starb Gustav Wunderwald, Maler der „Neuen Sachlichkeit“. Er | |
> stellte Berlin dar, wie es war – obwohl niemand die Stadt so sehen | |
> wollte. | |
Bild: Lauernd wie ein Reptil: die Liesenbrücke auf Gustav Wunderwalds Gemälde… | |
Berlin taz | Am 27. Februar 1925 gründet Adolf Hitler die seit dem | |
Putschversuch 1923 verbotene NSDAP neu. Einen Tag später stirbt | |
Reichspräsident Friedrich Ebert an einem Blinddarmdurchbruch. Am 26. April | |
wird Paul von Hindenburg zum neuen Reichspräsidenten gewählt. Er wird | |
Hitler den Weg zur Macht ebnen. | |
Doch es gibt Konstanten in diesen unruhigen Zeiten, auch in Berlin. | |
Künstler und Literaten trotzen dem Weg in den braunen Abgrund, indem sie | |
genau diese Zustände aufgreifen und verarbeiten. [1][Da ist zum Beispiel | |
der Reporter Leo Heller,] der durch die anrüchigen Viertel Berlins zieht | |
und seine Erlebnisse journalistisch verarbeitet. Die Ackerstraße im | |
Wedding, die noch heute so heißt, ist ihm wohlbekannt, ist sie damals doch | |
einer der Hotspots des Verbrechens. | |
Aber auch die parallele Gartenstraße ist verrufen. 1921 berichtet Leo | |
Heller im Neuen Wiener Journal über diesen Teil der Stadt: „So ungefähr | |
zwischen Acker- und Gartenstraße liegt das Revier der abenteuerlustigen | |
Damen und ihrer Beschützer.“ Ein klares Statement: „Brave Bürger“ sollt… | |
diese Gegend im Dunkeln besser nicht betreten! | |
Was veranlasste also den Kölner Bühnenbildner und Maler Gustav Wunderwald, | |
sich dort herumzutreiben? Wunderwald „machte morgens seine Fahrten“, bei | |
denen er die ärmeren Stadtteile durchstreifte, wie er an seinen Freund | |
Wilhelm Schmidtbonn schrieb. Und kehrte oft „wie besoffen“ zurück, weil er | |
so viele Eindrücke gesammelt hatte, die er erst einmal in seinem Innern | |
sortieren musste. | |
Dieses tiefste Innere war geprägt von seiner Herkunft aus einer | |
Handwerkerfamilie – Vater Karl war Büchsenmacher – in einer der größten | |
Industriestädte Preußens: Kalk, das am 1. April 1910 zu Köln eingemeindet | |
worden war. Über 600 Kilometer entfernt vom vermeintlich „hässlichen | |
Berlin“ und der Stadt in ihrem Anblick doch so nah. Kindheit und Jugend | |
hatten seine Ideal-Vorstellung von einer Stadt geprägt. | |
Das schillernde Berlin hatte er am Anfang seiner beruflichen Laufbahn | |
kennengelernt, aber als jemand, der nicht wirklich dazugehörte. Nach seiner | |
Lehrzeit bei einem Kölner Malermeister hatte er als Kulissenmaler und | |
Bühnenbildner an verschiedenen Spielstätten im In- und Ausland gewirkt. | |
Hatte dafür gesorgt, dass die Kulisse stimmte. Unter tosendem Applaus | |
gingen die Stars von der Bühne, während das vergängliche Werk des Menschen, | |
der „nur“ die Kulissen geschaffen hatte, nach Ende der Spielzeit | |
eingemottet wurde. | |
Wohl wissend, dass diese „graue Arbeit“ ihn nie erfüllen würde, die er | |
immerhin von 1900 bis 1917 – mit kriegsbedingter Unterbrechung – ausgeübt | |
hatte, bat er nicht um Verlängerung seines Vertrag mit dem Deutschen | |
Opernhaus in Berlin und ließ sich nach Kriegsende mit seiner ostpreußischen | |
Ehefrau Minna, die er 1909 in Düsseldorf geheiratet hatte, als | |
freischaffender Maler in der Reichsstraße 8 in Charlottenburg nieder. Dort, | |
wo er schon während seiner Zeit beim Deutschen Opernhaus gewohnt hatte. | |
Zunächst hauptsächlich als Landschaftsmaler tätig, war er bis circa 1924 | |
bestrebt, den Betrachter nicht mit ungewöhnlichen Motiven zu verstören. | |
Erst der dauerhafte Aufenthalt in Berlin brachte neue Motive, und es | |
entstanden Stadtansichten der etwas anderen Art. Seine bevorzugten Themen? | |
Keine Oberflächlichkeiten wie am Theater, sondern die Lebenswirklichkeit | |
eines Großteils der Menschen der Stadt. | |
Denn was sahen die tagtäglich? Endlose Straßen voller schäbiger | |
Mietskasernen, in denen sie zusammengepfercht leben mussten. Wuchtige | |
Bahnschienen, über die die Züge donnerten. Mächtige Brückenkonstruktionen, | |
die dieses Netz wie eine Spinne zusammenhielten. Bestimmt ahnten sie, dass | |
sie diesem Netz und diesem Milieu nie entkommen würden. | |
## Immer in Bewegung | |
Was Gustav Wunderwald damals malte, ist heute mitunter noch gut zu | |
erkennen. Die markante Liesenbrücke auf seinem 1927 entstandenen Werk | |
„Brücke über die Garten- und Ackerstraße“, ist eines seiner monumental | |
wirkenden Bilder. Eine breite Straßenfläche konkurriert mit der riesigen, | |
dunklen Brückenkonstruktion, die sich wie ein überdimensionales Panzertier | |
resolut und lauernd zugleich durch die Stadt schlängelt. | |
Vom Fortschritt gab es zu diesem Zeitpunkt längst kein Zurück mehr. Auch | |
nicht für die Menschen auf Wunderwalds Gemälden, die er konsequent zu | |
Statisten reduziert. Sie haben sich der Technik unterzuordnen, ihre | |
Gesichter lassen sich meist nicht erkennen. Es sind Menschen einer Stadt, | |
die immer in Bewegung war, wie es der Zeitgeist erforderte. Teil der | |
mitunter tristen Milieus, während andernorts flüchtige Vergnügungen | |
dominierten, die nie Bestand haben konnten. Bestand hatte die mächtige | |
Brücke über die Gartenstraße, die heute unter Denkmalschutz steht. | |
Brücken waren ein Motiv, das Wunderwald auch auf anderen Gemälden | |
verewigte. Da ist etwa „Unterführung in Spandau“ (1927). Hier schnauft eine | |
Straßenbahn durch eine Unterführung eine Anhöhe hinauf, während ein – | |
ebenfalls gesichtsloser – Motorradfahrer auf der anderen Seite hinunter | |
braust. Durch diesen Kontrast und auch die unterschiedliche Pinselführung | |
erhält das Bild Leben. | |
Dass Wunderwald unter anderem Fabriken, ungezählte Gartenlauben und | |
überdimensionale Werbeflächen malte, war charakteristisch für seine Gemälde | |
aus der Mitte und dem Ende der 1920er Jahre. Heute sind sie in alle Winde | |
verstreut. [2][Gerade einmal fünf Werke aus jener prägnanten Phase, in der | |
über 180 Werke entstanden, verwahrt die Neue Nationalgalerie.] Sie werden | |
der „Neuen Sachlichkeit“ zugeordnet. | |
Nicht alle Menschen hatten damals Verständnis für diese Kunstform, sahen | |
nicht ihre wirkliche Schönheit. Wollten keinen Zille der anderen Art, der | |
ihnen die Kulissen der Berliner „Milljöhs“ aufzeigte. Für diese Menschen | |
mag Wunderwald ein Hasardeur gewesen sein, ein Leichtsinniger, der seine | |
vielversprechende Karriere für ein schwammiges Projekt aufgab, das keine | |
Erfolgsgarantie bot. Was sogar zu einem Zerwürfnis zwischen ihm und seinem | |
besten Freund Wilhelm Schmidtbonn geführt hatte. | |
Den Dramaturgen kannte Wunderwald bereits aus Düsseldorfer Tagen. Die | |
Freunde schrieben sich regelmäßig, man verreiste in den Ferien gemeinsam | |
mit den Ehefrauen. Bis der Naturliebhaber Schmidtbonn 1929 Wunderwald | |
mitteilte, dass er die Befürchtung habe, Wunderwald könnte als „Maler des | |
hässlichen Berlins“ in Erinnerung bleiben. Der beleidigte Wunderwald | |
antwortete nicht. Zu diesem Zeitpunkt waren seine Landschaftsbilder, aber | |
vor allem auch seine für diese Zeit ungewöhnlichen Motive bereits in den | |
wohlwollenden Fokus von Kunstkennern gerückt. Unter anderem hatte ihn 1927 | |
der einflussreiche Kunstkritiker Paul Westheim in der von ihm | |
herausgegebenen Zeitschrift „Das Kunstblatt“ gewürdigt. | |
Die Neue Sachlichkeit wirkte auf manche Menschen kühl. Doch wenn Wunderwald | |
so konsequent die Berliner Fabriktürme und Gasometer und die typischen | |
Laubenkolonien mit warmen Farben überzog, sandte er damit eine andere | |
Botschaft aus: Hingabe. Wunderwald hatte sich mit seiner ganzen | |
Schaffenskraft Berlin hingegeben und sich nicht den mahnenden Stimmen | |
ergeben. So schuf er seiner Wahlheimat ein einzigartiges künstlerisches | |
Denkmal und für die Nachwelt etliche Ansichten des alten Berlins, die es in | |
dieser Form heute nicht mehr gibt. | |
## Kitsch und Kommerz | |
Ab 1933 herrschte auch in der Kunstszene ein neuer Wind. Kitsch und | |
Kommerz, fragwürdige Ideale, einfach gestrickte Botschaften, die auf die | |
Leinwand gebannt werden sollten. Kein Platz für einen Gustav Wunderwald, | |
der einsehen musste, dass die Zeit seiner Berlin-Bilder vorbei war. Dabei | |
waren sie nie politisch motiviert, nie als Anklage gemeint gewesen. | |
Lediglich sein Gemälde „Fabrik in Moabit“ zeigte auf einer Mauer im linken | |
Bildteil ein Hakenkreuz. Der Schriftzug „Hingabe“, der im rechten Bildteil | |
auf die Mauer geschmiert wurde, gab nicht den Zustand des Künstlers wieder, | |
sondern war die Bezeichnung einer rechtsradikalen Gruppe. Dass sein Gönner | |
Paul Westheim – der ihm 1933 zum letzten Mal im Kunstklub eine Ausstellung | |
namens „Berlin, wie es ist und wie es keiner sehen will“ widmete – Jude | |
war, trug auch dazu bei, dass Wunderwald in der Folge vom Kunstbetrieb | |
ignoriert wurde. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich fortan mit dem | |
Kolorieren von Filmen, unter anderem für die UFA. | |
Am 24. Juni 1945 starb Gustav Wunderwald im Alter von 63 Jahren an einer | |
Harnvergiftung sowie – laut Sterbeurkunde – einem | |
„Vorsteherdrüsengeschwulst (Krebs?)“. So schnell der Verfall des Malers | |
gewesen sein muss, so langsam geriet er nach dem Zweiten Weltkrieg | |
überhaupt erst wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Seine zweite Ehefrau | |
Berta, die er nach dem Tod seiner ersten Frau 1941 geheiratet hatte, | |
verwaltete viele Jahre lang seinen Nachlass. 1962 zeigte das Haus am | |
Lützowplatz eine umfassende Einzelausstellung. | |
Zurück in der Gartenstraße in Mitte, im Park am Nordbahnhof. Der | |
neugotische Kirchturm von Sankt Sebastian grüßt den Stadtwanderer, der das | |
Stadtgrün, das das Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs erobert hat, | |
durchquert. An der mächtigen Stahlkonstruktion der vier parallelen | |
Liesenbrücken, die dem heutigen Besucher die Ingenieurskunst vergangener | |
Zeiten vor Augen führt, endet der Gang. Dort bestimmt ein Kreisverkehr, an | |
dem mehrere Straßen sternförmig zusammentreffen, das Stadtbild. Jetzt gilt | |
es, sich für eine Richtung zu entscheiden. | |
19 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Einblicke-ins-kriminelle-Milieu-Berlins/!5737283 | |
[2] https://smb.museum-digital.de/objects?persinst_id=56291 | |
## AUTOREN | |
Bettina Müller | |
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