# taz.de -- Zwischenbilanz der Regierung: Merken Sie schon was? | |
> Friedrich Merz versprach: Im Sommer spüre man, dass es im Land vorangehe. | |
> Doch vieles geht nach rechts und zurück. Ein Blick ins schwarz-rote | |
> Kabinett. | |
Bild: Der Reichstag im Sommer 2025: Es wehen keine Regenbogenfahnen, und die Bu… | |
## Der Außenkanzler | |
„Germany is back on track“ – so hat Kanzler Friedrich Merz die Rückkehr | |
Deutschlands auf die internationale Bühne angekündigt. Schluss mit Scholz | |
und dem Zögern und Zaudern. „Machen, machen, machen“ scheint auch | |
außenpolitisch das Motto zu sein. Berlin werde Führungsmacht in der EU sein | |
und die stärkste konventionelle Armee in Europa haben, verkündete Merz | |
vibrierend vor Aufbruchsenergie. Er flog nach Paris und Warschau, | |
schmiedete mit Macron, Starmer und Tusk eine Koalition der Willigen. Man | |
holte per Telefon Trump ins Boot und stellte Putin forsch ein Ultimatum. | |
Das gab schöne Fotos und verzückte Leitartikel. | |
Eher bescheiden ist das Ergebnis dieser Show. Putin ließ das Ultimatum | |
wortlos verstreichen und lässt die Ukraine weiter in Trümmer schießen. Die | |
USA sind als Ukraineunterstützer halb auf dem Absprung. Einen Plan, wie | |
Europa schaffen soll, was schon mit den USA nicht gelang – die Ukraine bis | |
zum Sieg aufzurüsten –, gibt es nicht. | |
Nach J. D. Vance’ Auftritt in München war die außenpolitische Elite in | |
Deutschland kollektiv aus allen Wolken gefallen. Und Merz erklärte | |
entschlossen, Europa solle verteidigungspolitisch eine „Unabhängigkeit von | |
den USA erreichen“. Aber das ist stillschweigend in den Hintergrund | |
gerutscht. Merz hat inzwischen einen Auftritt im Oval Office ohne Blamage | |
überstanden. Und hofft nun, Trump durch Aufrüstung günstig stimmen zu | |
können. Es ist angenehmer, in der Illusion zu leben, dass Trump ein böser | |
Traum sei, den man nur geduldig überstehen müsse, als zu verstehen, dass | |
Europa allein für seine Sicherheit wird zu sorgen haben. | |
Das Prinzip Merz lautet: markige Ankündigungen in business as usual münden | |
zu lassen. Merz ermahnte Israel wegen Gaza, Außenminister Johann Wadephul | |
dachte öffentlich kurz über ein Aus von Waffenlieferungen an Israel nach. | |
Auch davon ist nach ein paar Wochen nichts mehr übrig geblieben. Merz lobte | |
Israels völkerrechtswidrige Bombardierung des Iran als nötige | |
„Drecksarbeit“. Innenminister Dobrindt schüttelte Netanjahu die Hand und | |
beschwor den gemeinsamen Kampf gegen den Terror. Ja zum Völkerrecht – aber | |
nur, wenn es uns gerade passt. Diese Doppelmoral beschädigt das wegen Gaza | |
und Israelunterstützung ohnehin ramponierte deutsche Image noch mal mehr. | |
Schwarz-Rot hat die Möglichkeit geschaffen, fast unbegrenzt Geld in Rüstung | |
und Militär zu pumpen. Eine politische Strategie aber fehlt – außer nett zu | |
Trump zu sein und auf gutes Wetter zu hoffen. Merz ist inhaltlich gar nicht | |
weit von Scholz entfernt ([1][transatlantisch, Israel als Staatsräson]), in | |
der Performance das Gegenteil: viel Schein, wenig Sein. Merz ist der | |
Außen-Kanzler für ein Publikum, das sich nur noch Überschriften merken | |
kann, auf Buzzwörter wie Drecksarbeit kurz anspringt, aber auch die | |
schnell wieder vergisst. Er ist der Blender, dessen Auftritt uns vergessen | |
lässt, dass wir keine Ahnung haben, was Europa nach dem Untergang des | |
Westens tun soll. (sr) | |
## Der Wehrpflichtplaner | |
Wer nach dem 31. Dezember 2007 geboren ist, könnte demnächst Post von der | |
Bundeswehr bekommen. Wenn es nach den Gesetzesplänen von | |
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) geht, sollen Jugendliche | |
zwischen 18 und 25 Jahren ab dem 1. Januar zu einem „freiwilligen | |
Wehrdienst“ eingeladen werden. Du hast keine Lust, für Deutschland eine | |
Waffe in die Hand zu nehmen? Du hast gehört, dass sich auch ein halbes Jahr | |
bei der Bundeswehr ziemlich lang anfühlen kann, wenn die Duschen in den | |
Kasernen verschimmeln, Ausbilder*innen fehlen und es kein Gerät zum | |
Üben gibt? Da hat sich das Verteidigungsministerium etwas einfallen lassen! | |
Etwa 2.000 Euro netto winken künftig für deinen Einstieg bei der Truppe. | |
Das Bundeskabinett soll Pistorius’ Pläne Ende August beschließen, dann | |
könnte der Bundestag das [2][Gesetz im Herbst verabschieden]. Ziel des | |
„neuen Wehrdienstes“ ist, dass die Zahl der aktiven Soldat*innen | |
innerhalb von zehn Jahren von derzeit 182.500 auf 260.000 steigt – | |
hinzukommen sollen 200.000 Reservist*innen. Kern des Gesetzes ist ein | |
Fragebogen, in dem junge Männer ihre Haltung zur Bundeswehr benennen müssen | |
und je nach ihren Aussagen dann zur Musterung geladen werden, zu der sie | |
dann auch erscheinen müssen. Für junge Frauen soll die Antwort auf das | |
Schreiben der Bundeswehr freiwillig sein. | |
Falls Geld und Appelle an die Kriegsbereitschaft nicht genug junge Menschen | |
für einen Dienst an der Waffe motivieren, sehen Pistorius’ Pläne noch einen | |
anderen Weg vor. Eine militärische Lage oder das Nichterreichen der | |
gewünschten Truppenzahl könnte für junge Männer [3][auch die Reaktivierung | |
des Zwangsdienstes bedeuten]. Für so einen Fall müsste das Parlament erneut | |
zustimmen. | |
Pistorius ist mit seinem Gesetzentwurf eine Art Overachiever in der | |
Bundesregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag den „attraktiven | |
Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert“, versprochen hatte. | |
Allerdings hatte der Verteidigungsminister seinen Entwurf auch schon im | |
vergangenen Herbst vorbereitet und wurde vom Auseinanderbrechen der | |
Ampelregierung aufgehalten. (cem) | |
## Der Rückführungsminister | |
Man darf davon ausgehen, dass Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) | |
seine ersten Monate im Amt als Erfolg wahrnimmt. Und das im Wahlkampf | |
ausgegebene Ziel einer „Asylwende“ hat der CSU-Mann ja auch wirklich mit | |
einer bemerkenswerten Effizienz vorangetrieben. Die von ihm angeordnete | |
Zurückweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen ist ein | |
dramatischer Bruch in der deutschen Migrationspolitik. | |
Aber ist es wirklich ein Erfolg, wenn deutsche Polizist*innen jetzt | |
verzweifelte Menschen auf der Flucht vor Unterdrückung und Terror | |
abweisen? Wenn die Bundesregierung damit offen das Europarecht bricht, das | |
vorsieht, dass jeder Asylantrag geprüft werden muss? Wenn das deutsche | |
Vorgehen [4][die Nachbarstaaten vor den Kopf stößt] und etwa in Polen den | |
rechtsextremen Kräften Aufwind verschafft? | |
Zu solchen Fragen kommt außerdem noch der Umstand, dass die Zurückweisungen | |
bisher hauptsächlich eine symbolische Wirkung haben. Nur wenig mehr als 300 | |
Asylsuchende wurden bisher zurückgeschickt. | |
Genauso zweifelhaft ist der „Erfolg“, dass jetzt die Zahl neuer Asylanträge | |
im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 40 Prozent sank – selbst wenn man | |
Dobrindts Logik übernimmt, nach der es eine positive Entwicklung ist, dass | |
so viel weniger Menschen hier Schutz finden. Denn der Rückgang hat laut | |
einhelliger Meinung von Expert*innen vor allem mit der Stabilisierung | |
der Lage in Syrien zu tun und mit den massiven Verschärfungen des | |
Asylrechts, die Dobrindts Amtsvorgängerin Nancy Faeser (SPD) | |
durchgesetzt hatte. | |
Eigene Gesetzesvorhaben hat Dobrindt zwar ebenfalls schon in beachtlicher | |
Zahl angeschoben, im Vergleich zu den Zurückweisungen fanden sie aber eher | |
wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Dabei könnte ihre Wirkung am Ende sogar | |
deutlich mehr Geflüchtete treffen. Gerade am Donnerstag beriet der | |
Bundestag in erster Lesung über einen Gesetzentwurf aus seinem Ministerium | |
zur erleichterten Einstufung von Ländern als sogenannte sichere | |
Herkunftsstaaten. Darüber soll künftig die Bundesregierung allein | |
entscheiden können, ohne dass der Bundestag oder Bundesrat irgendwie | |
eingebunden wären. Wer aus [5][angeblich sicheren Herkunftsstaaten] kommt, | |
hat kaum Chancen auf Asyl in Deutschland. | |
Auch einen ersten Entwurf für die Anpassung des deutschen Rechts an die | |
Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems aus dem letzten Jahr gibt | |
es schon. Dabei will das BMI die von den EU-Regeln vorgegebenen Spielräume | |
bis zum Maximum ausreizen. So sollen möglichst viele Schutzsuchende den | |
beschleunigten Asylverfahren an Flughäfen unter Haftbedingungen unterworfen | |
werden. Außerdem erlaubt der Entwurf Haftzentren für Geflüchtete, deren | |
Asylantrag eigentlich in die Zuständigkeit anderer EU-Länder fällt. Solchen | |
Personen sollen dann auch alle staatlichen Leistungen gestrichen werden | |
können, auch dann, wenn sie gar keine Option haben, in das eigentlich | |
zuständige Land auszureisen. | |
Und die von Dobrindt [6][vorangetriebene zweijährige Aussetzung des | |
Familiennachzugs für Personen mit subsidiärem Schutz] ist sogar schon vom | |
Bundestag beschlossen worden. Hunderttausende Geflüchtete haben damit | |
vorerst keine Perspektive mehr, ihre Liebsten wiederzusehen. Es braucht | |
schon eine beachtliche Gefühlskälte, um darin einen Erfolg zu sehen. (fe) | |
## Der Möchtegerninvestitionsminister | |
Als Finanzminister hat Lars Klingbeil nach neun Wochen bereits mehr | |
erreicht als sein Vorgänger Christian Lindner. Er hat [7][einen Haushalt | |
mit Rekordausgaben] von einer halben Billion Euro aufgestellt, macht – da | |
die Einnahmen nicht reichen – Rekordschulden von rund 82 Milliarden Euro. | |
Und all das ganz ohne Hilfe des Bundeskanzlers. Anders als Lindner, dessen | |
Haushalte am Ende Olaf Scholz ausknobelte. | |
Allerdings hat Klingbeil es auch etwas leichter als Lindner. Dieser pochte | |
auf strikte Begrenzung der Neuverschuldung nahe null (Schuldenbremse) und | |
wollte Steuern senken und damit die Einnahmen für den Staat bei steigendem | |
Bedarf an Investitionen in Rüstung und Infrastruktur – eine Rechnung, die | |
am Ende nicht aufging, auch nicht für die Ampelkoalition. | |
Um einer Bruchlandung vorzubeugen legte Hobbypilot Friedrich Merz gleich | |
nach dem Wahlsieg und noch vor Amtsantritt eine spektakuläre Kehrtwende | |
hin: vom Bewahrer der Schuldenbremse zum Befürworter von Abermilliarden an | |
neuen Schulden. Damit schwenkte er elegant auf den Kurs von SPD, Grünen und | |
Linken ein, den er als Oppositionsführer heftigst kritisiert hatte. Das | |
nennt man wohl anpassungsfähig. | |
Dank der vom Bundestag beschlossen Ausnahmeregelung, die für einen großen | |
Teil der Verteidigungsausgaben, den Zivilschutz, aber auch für die | |
Ukrainehilfen gilt, und neuer Sonderschulden für die Infrastruktur darf | |
Vizekanzler und Finanzminister Klingbeil also richtig buttern. Er nannte | |
während der Haushaltsdebatte im Bundestag deshalb gleich einen neuen Namen | |
für sein Ministerium: Investitionsministerium. Denn allein in diesem Jahr | |
investiere man 115 Milliarden Euro – in Schienen und Schulen, aber vor | |
allem in Schießgewehre. Über die größte Steigerung im Etat darf sich | |
Verteidigungsminister Pistorius freuen, dessen Haushalt um zehn Milliarden | |
auf 62 Milliarden steigt. | |
Trotz des neuen Füllhorns – Schulden – reicht das Geld nicht, wie der | |
Streit über die Stromsteuer zeigt. Die CSU wollte unbedingt die | |
Mütterrente, die SPD eine Garantie des Rentenniveaus und Merz einfach | |
Ruhe im Karton. Also musste Klingbeil die im Koalitionsvertrag | |
[8][versprochene De-facto-Abschaffung der Stromsteuer für die | |
Bürger:innen wieder abblasen]. Und zusätzlich noch sparen. Bis 2029 | |
sehen seine Beamten einen „Handlungsbedarf“ wegen 144 Milliarden Euro, | |
sprich, die müssen irgendwo gekürzt werden. In diesem Jahr geht’s schon | |
los, etwa mit zweistelligen Millionenbeträgen bei der Kinder- und | |
Jugendhilfe, erneut einer Milliarde bei der Entwicklungshilfe, und die | |
humanitäre Hilfe wird halbiert. Entwicklungsministerin Reem Alabali Radovan | |
(SPD) nannte die Kürzungen hart und schmerzhaft und kann sie beim besten | |
Willen nicht erklären: Angesichts der tektonischen Verschiebungen und der | |
sich verändernden Lage in der Welt müsse Deutschland doch ein verlässlicher | |
Partner bleiben. | |
Tja, offenbar kann der Parteichef Lars Klingbeil auch vielen potenziellen | |
Wähler:innen gerade nicht erklären, warum die SPD unbedingt das | |
Finanzministerium besetzen musste. Die Sozialdemokraten liegen in Umfragen | |
bei 13 Prozent. (ale) | |
## Die Fossilministerin | |
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche hat bis zur Sommerpause | |
systematisch Duftmarken gesetzt und klar gemacht, wohin die Reise mit ihr | |
gehen wird. Die Christdemokratin hat im Kabinett die Rolle von Christian | |
Lindner übernommen und das Erbe der destruktiven FDP angetreten. Schon | |
während ihres Antrittsbesuchs in Frankreich irritiert sie den | |
Koalitionspartner SPD, als sie die Atomkraft lobt und den Eindruck | |
hinterlässt, die Bundesregierung habe ihre Position zu der Frage geändert, | |
ob EU-Gelder für neue AKWs fließen sollten. | |
Für Verstörung sorgt auch ihre Teilnahme an einem Treffen der Europäischen | |
Nuklearallianz, eines 2023 gegründeten Zusammenschlusses von elf | |
EU-Ländern, die die Nutzung der Atomenergie voranbringen wollen. | |
Deutschland gehört nicht dazu, die Koalition hält am Ausstieg aus der | |
Atomkraft fest. | |
Das Misstrauen der Opposition und vieler Umweltverbände und NGOs gegen | |
Reiche ist groß, weil sie bis zu ihrem Amtsantritt Chefin eines | |
Tochterunternehmens des Energiekonzerns Eon war. Ihre Kritiker:innen | |
fürchten, dass sie im Interesse der fossilen Energiebranche unterwegs ist. | |
In ihrem [9][Vorstoß für den massiven Ausbau von Gaskraftwerken,] die nicht | |
auf Wasserstoff umrüstbar sein müssen, sehen viele eine Bestätigung dieser | |
Befürchtung. Der Kraftwerksbau ist wichtig, damit der Kohleausstieg nicht | |
gefährdet wird. Aber Umweltschützer:innen halten Reiches Pläne für | |
überdimensioniert und fürchten ein Festschreiben fossiler Strukturen. Das | |
ficht die Ministerin nicht an. | |
Doch offenbar läuft es nicht so, wie sie sich das vorgestellt hat. | |
Unmittelbar nach Amtsantritt spricht Reiche noch von einem Ausbau der | |
Kapazitäten von „mindestens“ 20 Gigawatt, einige Woche später nur noch von | |
„bis zu“. Dazwischen liegt ein Besuch bei der EU-Kommission. | |
EU-Vizekommissionschefin Teresa Ribera, früher sozialistische | |
Umweltministerin in Spanien, sperrt sich auch mit Blick auf die | |
europäischen Klimaziele gegen die Pläne. | |
Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD zu dem Ziel bekannt, dass | |
Deutschland bis 2045 klimaneutral wird. Auf einem Kongress des | |
Bundesverbands der Deutschen Industrie relativiert Reiche das. Sie ist | |
für eine Angleichung an die Marke der EU, die Klimaneutralität bis 2050 | |
vorsieht. Aber in die europäische Vorgabe ist eingepreist, dass Deutschland | |
als wirtschaftlich stärkstes Land schon 2045 klimaneutral geworden sei. | |
Eine Verschiebung hier würde zu einer Verschiebung dort führen. | |
Bei der Amtsübernahme lobt Reiche ihren Vorgänger Habeck überschwänglich | |
als guten Krisenmanager. Wenig später rammt sie seine Energiewende in Grund | |
und Boden. Die Energiewende nennt sie „völlig überzogen“. Mit Sorge blick… | |
Grüne, Umweltverbände und Klimaaktivist:innen auf das Projekt, dass | |
die Basis für Reiches weiteres Vorgehen sein soll: das Energiemonitoring. | |
Damit will die Ministerin, die am 16. Juli ihren 52. Geburtstag feiert, die | |
Energiewende einem „Realitätscheck“ unterziehen. | |
Ursprünglich sollte das Ergebnis bereits vor der Sommerpause vorliegen. | |
Doch [10][Reiche hat es erst Ende Juni geschafft, den Auftrag dafür zu | |
vergeben]. Und zwar ausgerechnet an das Energiewirtschaftliche Institut an | |
der Universität Köln (EWI), das ursprünglich von fossilen Energiekonzern | |
RWE und Eon finanziert wurde. Eine entscheidende Größe für den Ab- oder | |
Ausbau der Energiewende ist der künftige Strombedarf, den die Gutachtenden | |
prognostizieren. Setzen sie ihn gegenüber der von der Ampelregierung | |
angenommenen Menge herunter, könnte der Ausbau der Erneuerbaren | |
eingeschränkt werden. | |
Genau diesen Auftrag hat das Institut de facto bekommen, sagt die Deutsche | |
Umwelthilfe (DUH), die die Leistungsbeschreibung für das Gutachten bekommen | |
und ins Internet gestellt hat. „Katherina Reiche hat ideologische | |
Scheuklappen auf“, sagt der Bundesgeschäftsführer der DUH, Sascha | |
Müller-Kraenner. Das Gutachten soll Ende August vorliegen. Danach wird | |
Reiche ihre Pläne für die Zukunft der Erneuerbaren vorlegen – und das | |
Ringen um die Zukunft der Energiewende beginnen. (akr) | |
## Die Ministerin der Herzen | |
Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) muss ausführen, was vor | |
allem Herzensanliegen der Union sind. Zum Beispiel die [11][Reform des | |
Bürgergelds]. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat Milliarden Euro an | |
Einsparungen beim Bürgergeld in den nächsten Jahren versprochen, aus dem | |
SPD-Finanzministerium kursierten unlängst die Zahl von 4,5 Milliarden Euro | |
an Einsparungen in den kommenden zwei Jahren. Das Problem: Es ist sehr | |
unwahrscheinlich, dass diese Einsparungen durch etwas mehr Sanktionen der | |
Jobcenter gegen Terminsäumige, durch niedrigere Freibetragsgrenzen bei | |
Vermögen und eine Limitierung der Übernahme hoher Wohnkosten für | |
Antragssteller:innen zustande kommen. | |
Auch die Abschaffung des Bürgergelds für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine | |
dürfte nach Schätzung von Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für | |
Arbeit, nur 900 Millionen Euro Einsparungen bringen. Ukrainer:innen, die | |
nach dem 1. April 2026 einreisen, sollen in den ersten Jahren nur noch die | |
niedrigeren Leistungen für Asylbewerber:innen erhalten. Einen | |
Gesetzentwurf zum Bürgergeld hat Bas noch für dieses Jahr angekündigt. | |
Neues Geld verteilt die Sozialministerin wohl vor allem durch die 4 | |
Milliarden Euro teure [12][Erweiterung der Mütterrente] ab 2027. Das ist | |
ein Herzensanliegen der CSU. (bd) | |
## Die Ungesundministerin | |
Als Gesundheitsministerin musste sich die Juristin Nina Warken (CDU) erst | |
einmal einarbeiten, ihr Ressort gilt als besonders komplex. Zum Einstieg | |
ging es für sie aber nicht um zukunftsgerichtete Reformen, sondern um | |
Rückblick: Warken beschäftigt der Untersuchungsbericht zu den | |
milliardenschweren [13][Maskendeals ihres Vorgängers und Fraktionschefs | |
Jens Spahn]. Trotz Kritik auch vom Koalitionspartner hält Warken zum | |
Parteifreund und attackiert lieber [14][SPD-Sonderermittlerin Margaretha | |
Sudhof]. Das sorgt für ein Knirschen in der Koalition. Dabei stehen im | |
Gesundheitsbereich große Reformen an. | |
Die Kassen sind leer, sowohl die der sozialen Pflegeversicherung als auch | |
die der gesetzlichen Krankenkassen, Kosten und Beiträge steigen. | |
[15][Reformen] werden seit Jahren verschleppt, weil sie so kompliziert | |
sind. Eine Kommission aus Bund, Ländern und Kommunen soll jetzt als Erstes | |
Vorschläge einer Pflegereform erarbeiten, mit einem straffen Zeitplan. | |
Schon Ende des Jahres sollen die Ergebnisse kommen. Wie die Reform dann | |
aussehen wird, ist noch offen. Warken will der Kommission jedenfalls keine | |
„Denkverbote“ erteilen. In welche Richtung sie selbst denkt, hat sie schon | |
klargemacht: Bürger*innen sollen mehr privat vorsorgen, eine | |
verpflichtende Zusatzversicherung ist möglich. Und auch über | |
Leistungskürzungen wird nachgedacht. (lf) | |
## Die Schnellbauministerin | |
Mit Worten ist Verena Hubertz (SPD) schon vorgeprescht. Bauen soll | |
schneller und billiger werden. Mit dem kürzlich vorgelegten Gesetzentwurf, | |
dem [16][sogenannten Bauturbo], will sie den lahmenden Wohnungsbau wieder | |
ankurbeln. Das sei die dringend benötigte „Brechzange“, um die Verfahren in | |
den Kommunen zu beschleunigen, erklärte sie. Die Planungszeit soll künftig | |
nur noch zwei Monate dauern. Die Baukosten sollen sich halbieren. Abgesehen | |
von den berechtigten Sorgen – Spekulation, Naturzerstörung und | |
eingeschränkter Bürgerbeteiligung –, sind das waghalsige Versprechen. | |
7,4 Milliarden Euro Etat hat das Bauministerium in diesem Jahr. Davon | |
fließen 3,5 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau. Die Mittel werden | |
in den Folgejahren schrittweise erhöht. Die Regierung nennt das | |
Rekordmittel, der Deutsche Mieterbund hält aber 12,5 Milliarden pro Jahr | |
für nötig. Er kritisiert auch, dass aus dem 500-Milliarden-Sondervermögen | |
für Infrastruktur bis 2029 nur 11 Milliarden Euro für den Wohnungsbau | |
vorgesehen sind – das sind nur 2 Prozent. Was wird sich also in diesem Jahr | |
spürbar verändern? Vermutlich wenig. Baupolitik lässt sich nicht in | |
schnellen Erfolgen messen. Umso trauriger, dass in der Mietenpolitik so | |
wenig passiert. Zwar wurde von der zuständigen Justizministerin Stefanie | |
Hubig (SPD) die Mietpreisbremse um vier Jahre bis 2029 verlängert. Weitere | |
Verbesserungsvorschläge im Mietrecht müssen aber noch ausgehandelt werden. | |
(jak) | |
11 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Kriege-in-der-Ukraine-und-Iran/!6092601 | |
[2] /Gesetzentwurf-fuer-neue-Wehrpflicht/!6100010 | |
[3] /Verteidigungsminister-Pistorius/!6095699 | |
[4] /Deutsch-polnische-Einreisekontrollen/!6096275 | |
[5] /Migrations-Debatte-Dobrindt-will-Gespraeche-mit-der-Taliban/!6094906 | |
[6] /Familiennachzug-ausgesetzt-/!6096907 | |
[7] /Klingbeil-stellt-Haushaltsentwurf-vor/!6092979 | |
[8] /Schwarz-rotes-Stromsteuer-Fiasko-/!6094818 | |
[9] /Rollback-ins-fossile-Zeitalter/!6094322 | |
[10] /Energiewende/!6090326 | |
[11] /Soziale-Kuerzungen/!6092978 | |
[12] /Diskussion-um-Muetterrente/!6077956 | |
[13] /Masken-Affaere-um-Jens-Spahn/!6095813 | |
[14] /Spahn-und-die-Maskenaffaere/!6095984 | |
[15] /Bund-Laender-Kommission-zur-Pflegereform/!6095916 | |
[16] /Bauministerin-Verena-Hubertz/!6095515 | |
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