| # taz.de -- Diskussion um Mütterrente: Überflüssig oder überfällig? | |
| > Union und SPD wollen die Mütterrente ausweiten – das würde fünf | |
| > Milliarden Euro kosten. Ist das eine gute Idee? Die wichtigsten Fragen | |
| > und Antworten. | |
| Bild: Wer sein Kind im Blick hat, sollte die Rente nicht aus den Augen verliere… | |
| Worum geht es beim Streit um die Mütterrente? | |
| Die Idee ist mehr als ein Jahrhundert alt: Mütter, die nicht oder weniger | |
| arbeiten konnten, weil sie Kinder großgezogen haben, haben Anspruch auf | |
| einen Ausgleich in der Rente. Aber erst 1986 bekamen Mütter in der BRD | |
| zunächst 0,75 Rentenpunkte gutgeschrieben. Danach wurde die Mütterrente | |
| schrittweise ausgebaut. Seit 2019 bekommen Frauen pro Kind, das vor 1992 | |
| geboren wurde, bis zu zweieinhalb Erziehungsjahre angerechnet – das | |
| entspricht 2,5 Rentenpunkten. Für Kinder mit Geburtsdatum ab 1992 werden | |
| bis zu drei Erziehungsjahre angerechnet, was 3 Rentenpunkten entspricht. | |
| Der derzeitige Streitpunkt ist die Frage, ob nicht alle Frauen dieselben | |
| Rentenpunkte bekommen sollten, egal, wann ihre Kinder zur Welt kamen. | |
| Ist die Mütterrente dasselbe wie Kindererziehungszeiten? | |
| Kindererziehungszeit ist gewissermaßen der Überbegriff für die | |
| rentenrechtliche Anerkennung für die ersten Jahre mit Kind. Bei der | |
| Mütterrente geht es vor allem um die Vergangenheit – um eine bessere | |
| Anerkennung von Erziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren wurden. | |
| Können auch Väter die Mütterrente bekommen? | |
| Ja. Wer die Voraussetzungen für die Anrechnungen der | |
| Kindererziehungszeiten erfüllt, hat den Rentenanspruch unabhängig vom | |
| Geschlecht erworben. Dabei spricht es allerdings Bände, dass die | |
| Mütterrente Mütterrente heißt. | |
| Was planen Union und SPD genau? | |
| Auf Seite 7 des Sondierungspapiers von Union und SPD steht: „Wir vollenden | |
| die Mütterrente mit drei Rentenpunkten für alle – unabhängig vom | |
| Geburtsjahr der Kinder –, um gleiche Wertschätzung und Anerkennung für | |
| alle Mütter zu gewährleisten.“ | |
| Welchen Unterschied würde das im Geldbeutel machen? | |
| Laut Rentenversicherung hätten die profitierenden Elternteile durch die | |
| geplante Ausweitung pro Kind rund 20 Euro im Monat mehr. Das ist nicht | |
| nichts, aber auch nicht viel. Etwa 9,8 Millionen Renten würden davon | |
| profitieren. Die Politikwissenschaftlerin Jutta Schmitz-Kießler von der | |
| Hochschule Bielefeld hält die politische Absicht des Vorhabens für | |
| nachvollziehbar. Eine solche Neuregelung hätte aber „eher kosmetische | |
| Effekte“. Die Herausforderungen im Rentensystem [1][„im Allgemeinen und die | |
| der Mütter und Frauen im Besonderen] würden dadurch nicht gelöst.“ | |
| Warum regen sich derzeit alle auf? | |
| Weil sich immer viele gerne aufregen, wenn es um Frauen geht. Aber auch, | |
| weil eine Ausweitung der Mütterrente sehr teuer wäre: Die Deutsche | |
| Rentenversicherung (DRV) schätzt die Kosten auf 5 Milliarden Euro pro Jahr. | |
| Wer soll die 5 Milliarden bezahlen? | |
| Das ist noch unklar. Die DRV möchte, dass, falls die Ausweitung tatsächlich | |
| kommt, das Geld aus dem Bundeshaushalt, also aus Steuermitteln, finanziert | |
| wird. Würde sie aus der Rentenkasse bezahlt werden, müsste der Beitragssatz | |
| für alle steigen, schätzungsweise um 0,25 Prozentpunkte. Derzeit liegen die | |
| Beiträge bei 18,6 Prozent des Bruttolohns. | |
| Wäre die Ausweitung der Mütterrente also gut oder schlecht? | |
| Da gehen die Meinungen auseinander. Die einen finden, dass der Zeitpunkt | |
| einer Geburt bei der Anerkennung von Erziehungszeiten keinen Unterschied | |
| machen darf. Andere halten das Vorhaben für zu teuer und zu ungenau, um | |
| gezielt Altersarmut zu bekämpfen. | |
| Wer spricht sich denn dafür aus? | |
| Insbesondere die CSU setzt sich seit Langem dafür ein. Auch der größte | |
| deutsche Sozialverband VdK etwa fordert 3 Rentenpunkte für Mütter, | |
| unabhängig vom Geburtsdatum ihrer Kinder. [2][„Das hat etwas mit Respekt | |
| und Gleichberechtigung zu tun“], heißt es auf der VdK-Webseite. | |
| Auch für den Rentenexperten der Linkspartei, Matthias W. Birkwald, ist die | |
| Ausweitung der Mütterrente eine „Frage sozialer Gerechtigkeit“ und zudem | |
| „ein wichtiger Beitrag zur Prävention der Altersarmut von Frauen“. Birkwald | |
| gibt zu bedenken, dass auch die Kindererziehung vor 1992 sehr viel | |
| schwieriger war: „Technische Hilfsmittel wie Waschmaschinen, Spülmaschinen, | |
| Wegwerfwindeln etc. waren sehr viel seltener als später.“ Das Gleiche gelte | |
| für Kitaplätze. | |
| Und wer spricht sich dagegen aus? | |
| Für den rentenpolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Markus | |
| Kurth, stellt der Vorschlag „weder eine nachhaltige noch eine sozial | |
| gerechte Lösung dar“. Es gebe „eine Reihe von Frauen in dieser | |
| Altersgruppe, die zum Beispiel als Ehefrauen von Beamten oder Architekten | |
| gut abgesichert sind“. Mit Blick auf die Zukunft der Rentenversicherung | |
| verbiete es sich, die Leistung ungenau über alle auszuschütten. Auch die | |
| Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Gundula Roßbach, hält die | |
| Ausweitung für „unverhältnismäßig“. Bei den Einzelnen, die vom insgesamt | |
| sehr teuren Vorhaben profitieren würden, käme keine große Summe an und | |
| nicht alle bräuchten es, argumentiert sie. Die Rentenkasse sei „der falsche | |
| Ort, um Ungerechtigkeiten aus der Vergangenheit nachträglich zu heilen“, | |
| sagte sie in einem Interview [3][mit dem Tagesspiegel.] | |
| Ganz abschaffen – ist das auch eine Option? | |
| Die Mütterrente in der derzeitigen Form wieder abzuschaffen, wird immer mal | |
| wieder gefordert, zuletzt 2024, noch vor dem Scheitern der Ampel. [4][Das | |
| DIW hat untersucht, was ein Wegfall bedeuten würde]: Das Einkommen der | |
| einkommensschwächsten Rentnerinnen würde um durchschnittlich 8 Prozent | |
| sinken. Das Armutsrisiko würde um mehr als 14 Prozent, der | |
| Gender-Pension-Gap sogar um mehr als 20 Prozent steigen. Insbesondere träfe | |
| es Frauen aus den unteren Einkommensgruppen, Frauen mit mehr als drei | |
| Kindern und geschiedene Frauen. Kurz gesagt: Die Bundesregierung würde zwar | |
| rund 14 Milliarden Euro sparen. Aber nein, Abschaffen sollte besser keine | |
| Option sein. | |
| Wie hoch ist das Risiko von Altersarmut für Frauen? | |
| Es ist lange bekannt: Frauen werden bei gleicher Arbeit schlechter bezahlt. | |
| Sie übernehmen mehr unbezahlte Sorgearbeit, arbeiten öfter in Teilzeit und | |
| in schlecht bezahlten Jobs (und nein, das ist längst nicht allein ihre | |
| Verantwortung). All das führt dazu, dass ihr Risiko größer ist, später in | |
| Altersarmut zu landen. Das geschlechtsspezifische Gefälle bei der Rente – | |
| der Gender-Pension-Gap – lag laut Statistischem Bundesamt zuletzt bei 27,1 | |
| Prozent. Die Alterseinkünfte von Frauen waren also im Schnitt mehr als ein | |
| Viertel niedriger als die von Männern. | |
| [5][20,8 Prozent der Frauen ab 65 Jahren gelten als armutsgefährdet,] bei | |
| den Männern derselben Altersgruppe liegt die Quote bei 15,9 Prozent. | |
| Übrigens wird die Mütterrente als Einkommen auf die Grundsicherung im Alter | |
| angerechnet. Wer also Grundsicherung bekommt, hat nichts davon. | |
| Welchen Unterschied macht es für Rentnerinnen, ob sie Kinder haben oder | |
| keine? | |
| In Westdeutschland steigt das Risiko von Frauen, im Alter arm zu sein, mit | |
| der Anzahl ihrer Kinder, so eine [6][aktuelle Studie des DIW.] Untersucht | |
| wurden die Rentenansprüche der Jahrgänge 1952 bis 1959. Interessant ist: In | |
| Ostdeutschland sind die Rentenansprüche von Müttern sogar höher als bei | |
| kinderlosen Frauen. Eine mögliche Erklärung sei, dass Kinderlosigkeit in | |
| Ostdeutschland für diese Jahrgänge insgesamt niedrig war. „Nicht selten | |
| standen hinter der Kinderlosigkeit gesundheitliche Probleme, die auch das | |
| Erwerbseinkommen beeinflusst haben dürften“, heißt es in der Studie. | |
| Kindererziehungszeiten würden Müttern insgesamt zwar helfen, aber „nicht | |
| ausreichend“, sagt Peter Haan vom DIW. Wichtig sei in Bezug auf die Rente, | |
| dass Frauen nach der Geburt eines Kindes in eine Vollzeit- oder | |
| vollzeitnahe Beschäftigung zurückkehrten. Das liegt daran, dass | |
| Kindererziehungszeiten nur für die ersten drei Jahre nach der Geburt des | |
| Kindes geltend gemacht werden. Die Auswirkungen der Mutterschaft gehen aber | |
| weit darüber hinaus: Ab der Familiengründung arbeiten Frauen verstärkt in | |
| Teilzeit. Vor allem dadurch steigen Gender-Pay-Gap und später | |
| Gender-Pension-Gap erheblich. | |
| Was würde denn helfen, um Altersarmut zu bekämpfen? | |
| Es werden – unabhängig vom Geschlecht – Konzepte diskutiert, die arme | |
| Menschen im Alter besser absichern als bisher. Die Grünen wollen etwa die | |
| Grundrente zu einer Garantierente nach 30 Versicherungsjahren | |
| weiterentwickeln. Die Linke fordert eine „solidarische Mindestrente“, also | |
| einen Zuschlag bis zur Höhe der Armutsrisikogrenze von derzeit rund 1.400 | |
| Euro und in sehr teuren Wohngegenden einen Mietzuschuss. | |
| Und was hilft noch auf lange Sicht? | |
| Ungleichheit und Altersarmutsrisiken müssten schon während der Erwerbsphase | |
| angegangen werden, sagt etwa Johannes Geyer vom DIW. Dabei geht es zum | |
| Beispiel um eine gerechtere partnerschaftliche Aufteilung der Sorgearbeit. | |
| Ähnlich sieht das Politikwissenschaftlerin Schmitz-Kießler. Daneben sei | |
| aber auch ein guter Arbeitsmarkt zentral: „Kein Rentensystem der Welt kann | |
| im Nachhinein korrigieren, was auf dem Arbeitsmarkt vorher schon alles | |
| schiefgelaufen ist“, so Schmitz-Kießler. Es brauche „ausreichend | |
| Betreuungsplätze und gute Löhne auch in typischen Frauenbranchen“. | |
| 24 Mar 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Politologin-ueber-Altersarmut-bei-Frauen/!6066327 | |
| [2] https://bw.vdk.de/vor-ort/nachrichten-ov-kv/zur-geplanten-angleichung-bei-d… | |
| [3] https://www.tagesspiegel.de/politik/renten-prasidentin-rossbach-ich-staune-… | |
| [4] https://www.diw.de/de/diw_01.c.909964.de/publikationen/wochenberichte/2024_… | |
| [5] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/04/PD24_N016_12_6… | |
| [6] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.941456.de/25-12.pdf | |
| ## AUTOREN | |
| Patricia Hecht | |
| Jasmin Kalarickal | |
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