# taz.de -- Wahlprogramme zur Rente: Heikle Verteilungsfragen zwischen den Gene… | |
> Sollen Millennials schon an die Rente denken oder ist das eher Thema für | |
> Babyboomer? Ein Vademecum durch die Pläne der Parteien zur | |
> Altersvorsorge. | |
Bild: Umlagefinanzierter Lebensabend: Rentner unterwegs in Bernau | |
Berlin taz | Das Beispiel mit der Krankenschwester sollte die | |
Bürger:innen überzeugen. Wenn eine Krankenschwester, heute 49 Jahre alt, | |
2040 in Rente ginge, bekäme sie im Jahr 1.100 Euro mehr an Rente durch sein | |
[1][Rentenpaket II], sagte Sozialminister Hubertus Heil (SPD). Wer aber 46 | |
Jahre alt sei oder jünger, würde durch höhere Beiträge draufzahlen, rügten | |
Kritiker. Das Rentenpaket II genüge nicht der „Generationengerechtigkeit“, | |
urteilte auch der Bundesrechnungshof. Das Paket wurde nicht umgesetzt. | |
Aber was ist das jetzt genau – Generationengerechtigkeit? Muss man sich nur | |
einfach die Wahlprogramme der Parteien in Sachen Rente genauer anschauen, | |
die Vorschläge mit dem eigenen Geburtsdatum abgleichen und schon ist klar: | |
„Diese Partei ist die richtige für mich und jene nicht“? Ganz so einfach | |
ist es natürlich nicht. | |
Die SPD und die Grünen zum Beispiel wollen das sogenannte Rentenniveau auf | |
dem bisherigen Wert von 48 Prozent festschreiben, so stand es im | |
gescheiterten Rentenpaket II, und so steht es nun in ihren Wahlprogrammen. | |
Das Rentenniveau ist eine statistische Größe, die das Verhältnis einer | |
angenommenen Standardrente zur Lohnentwicklung darstellt. | |
Ohne diese Haltelinie von 48 Prozent würde das Rentenniveau ab 2027 | |
absinken und im Jahre 2040 nur noch bei 45 Prozent liegen. Das | |
Rentenniveau sinkt nach herrschender Gesetzeslage unter anderem deswegen, | |
weil die existierende Rentenformel mit dem sogenannten | |
Nachhaltigkeitsfaktor das Verhältnis von Rentner:innen zu | |
beitragszahlenden Arbeitnehmer:innen berücksichtigt. Je mehr | |
ruheständige Alte es gibt im Verhältnis zu den arbeitenden Jüngeren, desto | |
bescheidener fällt die jährliche Rentenerhöhung aus. Heute und auch in | |
Zukunft. Das liegt an der Rentenformel und am Umlageverfahren, in dessen | |
Rahmen erwerbstätige Junge den Ruhestand der Alten finanzieren. | |
## Die Gerechtigkeitsfrage | |
Mehr Alte, weniger Junge bedeuten damit also weniger Rente. Das klingt | |
einigermaßen generationengerecht. Nur leider lösen sich die künftigen | |
Rentenprobleme für die Jüngeren damit nicht. Denn in einigen Jahrzehnten | |
wird es eher noch mehr Alte und noch weniger Junge geben. Im Jahre 2020 | |
kamen auf 100 Menschen im Erwerbsalter 34 im Rentenalter. Im Jahre 2040 | |
werden es 43 Rentner:innen auf 100 Jüngere sein, im Jahre 2060 dann 44. | |
So die Rechnung der [2][Deutschen Rentenversicherung,] die auf Prognosen | |
des statistischen Bundesamtes beruht. | |
Wer sich heute also als Mittdreißiger, als „Millennial“, über die | |
angeblichen Rentenprofiteure der Babyboomer-Generation beklagt, muss sich | |
im Klaren darüber sein, dass es dann, wenn er oder sie im Rentenalter ist, | |
wahrscheinlich noch weniger Menschen im Erwerbsalter gibt, um dann seinen | |
oder ihren Ruhestand mit ihren Beiträgen zu bezahlen. Die künftige | |
Zuwanderung in den Arbeitsmarkt ist in diesen Rechnungen übrigens | |
eingepreist. | |
Die Union verspricht in ihrem Wahlprogramm nur ein durch „wirtschaftliches | |
Wachstum garantiertes stabiles Rentenniveau“, ohne eine konkrete | |
Prozentzahl zu nennen wie SPD und Grüne. Das Rentenniveau müsste dann laut | |
Union allein durch wirtschaftliches Wachstum und eine hohe | |
Beschäftigungsquote gesichert werden. Auch eine CDU-geführte Regierung kann | |
aber kein hohes Wachstum garantieren. Dieses Rentenversprechen ist | |
unseriös. | |
Womit man bei der Glaubwürdigkeit der Rentenversprechen ist. Die Linke will | |
das Rentenniveau auf 53 Prozent anheben. Die AfD verspricht ein | |
Rentenniveau von 70 Prozent. Das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) hat ein | |
Niveau von 75 Prozent im Auge. Die Gegenfinanzierungen dieser | |
Rentenerhöhungen sind nicht geklärt. | |
Es gibt einige Vorschläge zur Stabilisierung der Rentenkasse, die schon | |
lange kursieren und die sich auch jetzt wieder in den Wahlprogrammen der | |
Parteien finden. SPD, Union, Grüne, Linke und BSW wollen Selbstständige in | |
das Rentensystem auf die eine oder andere Weise einbeziehen. Nicht jeder | |
kleine Selbstständige kann aber mal eben ohne Weiteres fast 20 Prozent | |
seines Einkommens in die Rentenkasse abzweigen. | |
Die Grünen, die Linke, das BSW und die AfD möchten die Beamt:innen in | |
die gesetzliche Rente integrieren. Das wäre erst mal sehr teuer für den | |
Staat, der als Arbeitgeber der Beamt:innen ja die Beiträge für die | |
Staatsdienenden bezahlen müsste. Beamt:innen würden zudem Privilegien | |
verlieren. Im Übrigen würden alle Einzahler:innen später auch wieder zu | |
Leistungsbezieher:innen – und Beamte leben lang. Die Vorschläge sind | |
langfristig sinnvoll, haben jedoch ein hohes Verhetzungspotenzial in den | |
Mittelschichtmilieus. | |
## Demographische Misere | |
Einige Parteien setzen auf die Renditen des Kapitalmarktes, um der | |
demografischen Misere des Umlageverfahrens zu begegnen. Die FDP will einen | |
Teil der Rentenbeiträge in eine „gesetzliche Aktienrente“ anlegen. Die | |
Grünen möchten aus Bundesmitteln einen nachhaltigen und klimafreundlichen | |
„Bürger-innen-Fonds“ einrichten und damit einen „Einstieg in eine | |
notwendige ergänzende Kapitaldeckung“ in der gesetzlichen Rente schaffen, | |
wie es im Wahlprogramm heißt. Die Vorlaufzeiten dieser Programme wären | |
allerdings lang, hohe Summen müssten erst mal aus der Rentenkasse oder aus | |
Bundesmitteln dafür abgezweigt werden. Außerdem schwanken die Renditen auf | |
dem Kapitalmarkt stark. | |
Einige Parteien wollen, wie schon bei der Riester-Rente, wenigstens die | |
individuelle private Vorsorge fördern. Die Union verspricht eine | |
„Früh-Start-Rente“. Zehn Euro im Monat sollen 6- bis 18-Jährige künftig … | |
Staat geschenkt bekommen für ein Altersvorsorgedepot. Das erinnert an | |
Sparschweine für Kinder, in die die Oma gerne mal was reinsteckt. | |
Die FDP will die Einführung eines steuerlich geförderten individuellen | |
Altersvorsorgedepots. Die SPD und die Grünen möchten die private | |
Altersvorsorge fördern und die Unterstützung dabei auf „kleine und mittlere | |
Einkommensbezieher“ (SPD) konzentrieren, um wenigstens einen kleinen | |
Umverteilungseffekt zu erreichen. Die Beschäftigung der Alten jenseits des | |
Rentenalters wird zudem von Union, SPD und Grünen in deren Wahlprogrammen | |
gefördert. | |
Große Umwälzungen mit hohem Shitstormrisiko hat keine der Parteien im | |
Programm. In einigen [3][Rentenreformen in Skandinavien] etwa ist das | |
Rentenzugangsalter an die Entwicklung der Lebenserwartung gekoppelt. Je | |
älter die Bevölkerung in Zukunft wird, desto später darf man dann erst in | |
Rente gehen. Das stabilisiert die Rentenkasse. Gerechter als heute aber ist | |
es nicht, wenn dann Jüngere vielleicht in Zukunft erst mit 70 in den | |
Ruhestand wechseln könnten. | |
## Verschleißberufe und geringere Lebenserwartung | |
Die größte Ungerechtigkeit im Rentensystem ist nämlich gar nicht die | |
Tatsache, dass die Jüngeren künftig womöglich weniger oder später Rente | |
bekommen, weil es dann zu wenig Erwerbstätige gibt, die im Umlageverfahren | |
ihren Ruhestand finanzieren. [4][Eine noch größere Ungerechtigkeit] liegt | |
darin, dass Menschen in Verschleißberufen erstens oft eher wenig verdienen | |
und daher nur eine kleine Rente bekommen und zweitens es in der Arbeit | |
nicht bis in ein hohes Renteneintrittsalter schaffen und drittens auch noch | |
eine geringere Lebenserwartung und Rentenbezugsdauer haben als | |
Akademiker:innen zum Beispiel. | |
Die Vorschläge zu Mindestrenten, wie sie die Linke und mit Abwandlung auch | |
die Grünen im Programm haben, zielen zumindest auf dieses Problem. Eine | |
steuerliche Mitfinanzierung solcher Mindestrenten wäre angebracht. | |
Womöglich läuft es nach der Wahl mit der Rente einfach nur so weiter wie | |
bisher. Dann sinkt in den nächsten Jahren das Rentenniveau, die Beiträge | |
steigen dennoch wegen der Demografie. Die Rentenkasse braucht mehr | |
Zuschüsse aus Steuermitteln. Und immer noch wagt es keine Partei, | |
Verteilungsfragen nicht nur zwischen den Generationen, sondern auch | |
innerhalb der Generation der Älteren anzusprechen. Innerhalb der Generation | |
der Alten wachsen die Ungleichheiten, wie der Altersbericht der | |
Bundesregierung feststellte. | |
5 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Rentenpaket/!6010489 | |
[2] https://rentenupdate.drv-bund.de/DE/1_Archiv/Archiv/2023/02_Wie_stark_wird_… | |
[3] /Demografischer-Wandel-in-Deutschland/!6023215 | |
[4] /Politologin-ueber-Altersarmut-bei-Frauen/!6066327 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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