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# taz.de -- Die Pflege im Wahlkampf: Toxisches Thema
> Die Kosten für die Pflege steigen. Doch die Finanzierungsvorschläge der
> Parteien in ihren Wahlprogrammen werfen Fragen zu Gerechtigkeit auf.
Bild: Teure Betreuung: Hightech in der Tagespflege der Caritas-Sozialstation Er…
Berlin taz | Die FDP macht es sich leicht. Pflege? Das fahren wir am besten
klein, ganz klein. Das Thema Pflege füllt nicht mal eine halbe Seite im
Entwurf des Wahlprogramms der FDP. Eine „kapitalgedeckte Komponente“ zur
gesetzlichen Pflegeversicherung schlagen die Freien Demokraten vor. Mehr
„Anreize“ für private Pflegevorsorge will die Partei setzen, ohne genauer
zu werden. Tja.
Das Thema Pflege möglichst klein zu fahren, ist eine Art Selbstschutz für
jede Partei. [1][Denn die Pflege ist ein toxisches Thema.] Die Gesellschaft
altert, Pflege ist eine der teuersten Dienstleistungen überhaupt, die
Eigenanteile steigen, die Pflegeversicherung hat im vergangenen Jahr ein
Defizit von 1,5 Milliarden Euro angehäuft. Die Beiträge der gesetzlichen
Pflegekassen sind erst jetzt wieder auf 3,6 Prozent für Eltern und 4,2
Prozent für Kinderlose gestiegen. Einen weiteren Anstieg prophezeien
Experten. Wer soll die Pflege bezahlen?
Die SPD verspricht in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025, die
sogenannten Eigenanteile bei einem Aufenthalt im Pflegeheim auf maximal
1.000 Euro im Monat zu begrenzen, das wäre dann der „Pflegedeckel“. Das ist
ein konkretes, teures Versprechen, denn die Eigenanteile bei einem
Heimaufenthalt machen derzeit im ersten Jahr des Aufenthalts rund 2.800
Euro pro Monat für die Bewohner:innen aus, so Zahlen des Verbandes der
Ersatzkassen. Dieser Eigenanteil muss aus dem eigenen Einkommen oder
Vermögen finanziert werden, den Rest zahlt die gesetzliche oder die private
Pflege-Pflichtversicherung.
Andere Parteien wie das BSW und die Linke wollen eine
„Pflegevollversicherung“ einführen. Dann würden keine oder nur wenig
Eigenanteile beim Heimaufenthalt fällig.
Die Union macht sicherheitshalber kaum neue Vorschläge, sondern möchte
lediglich einen „Finanzierungsmix“, „bestehend aus der gesetzlichen
Pflegeversicherung, der betrieblichen Mitfinanzierung, Steuermitteln“ sowie
einer eigenen privaten Vorsorge durch eine „bezahlbare
Pflegezusatzversicherung“ einführen.
## Vage Ideen zur Finanzierung
Wie man die Pflege künftig finanzieren könnte, wird unterschiedlich
beantwortet. Die SPD schlägt vor, das bisherige „Nebeneinander“ von
gesetzlicher und privater Pflegeversicherung zu beenden und ein
„gemeinsames, solidarisches Pflegesystem“ zu schaffen, so wie es in den nie
umgesetzten alten SPD-Plänen zu einer „Bürgerversicherung“ schon vor 20
Jahren stand. Die SPD will die private Pflegeversicherung in einem ersten
Schritt „in den Risikostrukturausgleich zwischen allen Pflegekassen
einbeziehen“. Einen solchen Finanzausgleich fordern auch die Grünen in
ihrem Wahlprogramm.
„Risikostrukturausgleich“ würde bedeuten, dass die privaten Pflegekassen,
die in der Regel über jüngere und gesündere Mitglieder verfügen, an die
gesetzlichen Pflegekassen mit den kränkeren und älteren Mitgliedern einen
gewissen Finanzausgleich zahlen müssten. Die Finanzsituation der
gesetzlichen Pflegekassen würde sich damit verbessern, die der privaten
Kassen käme mehr unter Druck.
Ein erst kürzlich vorgestelltes [2][Gutachten] des Gesundheitsökonomen
Heinz Rothgang für eine Pflegebürgervollversicherung verwies auf die großen
Unterschiede in Gesundheitszustand und Einkommen zwischen Privat- und
gesetzlich Versicherten. Aus „Gerechtigkeitsüberlegungen“ bestehe hier
„dringender Reformbedarf“, so Rothgang.
Im Konzept der Bürgerversicherung war früher immer auch vorgesehen, alle
Einnahmen, auch die Einnahmen aus Kapitaleinkünften, mit Beiträgen zur
Kranken- und Pflegekasse zu belegen. In den Wahlprogrammen der Linken und
der Grünen findet sich dieser Vorschlag auch jetzt wieder. Als der grüne
Kanzlerkandidat Robert Habeck dies aber im Interview vorschlug, erntete er
einen Shitstorm. Ganz so ungewöhnlich ist der Gedanke übrigens nicht:
Bereits heute müssen Selbstständige, die freiwillig in der gesetzlichen
Kranken- und Pflegeversicherung sind, auf alle ihre Einkünfte, auch die
Kapitaleinkünfte aus der Steuererklärung, Krankenkassenbeiträge zahlen.
Die Linke fordert kurzerhand in ihrem Wahlprogramm, dass die
Beitragsbemessungsgrenze wegfällt. Damit müssten Hochverdiener:innen
auf ihre gesamten Einkommen den prozentualen Pflegebeitrag entrichten und
nicht nur bis zur bisherigen Bemessungsgrenze der gesetzlichen
Versicherung. Diese Maßnahme hätte einen sehr starken Umverteilungseffekt.
Das wäre aber nur dann der Fall, wenn das System der Privatversicherung,
die die Beiträge ja nach Pflegerisiko und nicht nach dem Einkommen bemisst,
aufgelöst und mit der gesetzlichen Kasse zusammengelegt würde.
Expert:innen sind sich einig, dass der Finanzbedarf in der Pflege
zunimmt. Die Wirtschaft protestiert aber gegen den Anstieg der
Lohnnebenkosten durch immer weiter steigende Beiträge. Das arbeitgebernahe
[3][Institut der deutschen Wirtschaft (IW)] hat nun ein Gutachten im
Auftrag der privaten Krankenkassen erstellt, nach dem gut 70 Prozent der
Rentnerhaushalte mit einem pflegebedürftigen Haushaltsmitglied fünf Jahre
der stationären Pflegekosten aus eigenem Einkommen und Vermögen bezahlen
könnten, wobei eine selbstgenutzte Immobilie dabei womöglich beliehen
werden müsste.
Eine Deckelung der Eigenanteile im Pflegefall würde also bedeuten, Vermögen
und Erbschaften nicht nur der sehr Reichen, sondern auch der
Mittelschichtmilieus zu schützen durch eine Versicherung, in die alle
einzahlen müssten, zu diesem Schluss kommt die IW-Studie. [4][Aber ist
dieser Schutz wirklich fair?] Und wenn ja, bis zu welcher Vermögenslage?
Eine solche Frage wird derzeit nicht offen diskutiert.
7 Feb 2025
## LINKS
[1] /Die-Wahrheit/!6063517
[2] https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Fachinfos/doc/Pflege…
[3] https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Gutachten/PDF/2024/Gut…
[4] /Wahlprogramme-zur-Rente/!6062816
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Gerechtigkeit
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