# taz.de -- Die Wahrheit: Altern im Allzeitglück der Fürsorge | |
> Der Wahrheit-Randgruppenreport: Was passiert, wenn Gnadenhöfe nicht mehr | |
> können? Sie kommen auf den Gnadenhof für Gnadenhöfe. | |
Bild: Die gnadenreichen Svea und Beate reiten auf ihrem humanitären Altersanwe… | |
Brauchen auch Zuhause ein Zuhause? In der südwestpfälzischen Gemeinde | |
Waldfischbach-Burgalben am Südrand des Pfälzerwaldes beantwortet das | |
Ehepaar Svea und Beate Mommsen diese Frage mit einem eindeutigen: „Ja“. | |
Auf ihrem weitläufigen, mit etlichen Bungalows, Häusern, Höfen und Gehegen | |
gesprenkelten Grundstück kümmern sie sich aufopfernd um halterlose | |
Tierwohleinrichtungen. | |
„Oaahh, die Erdmännchen!“ oder „Hier, gib dem Elefanten mal von deiner | |
Banane, guckt grad keiner!“, ruft Svea in Richtung der Gehege des erst vor | |
wenigen Monaten hier anonym abgegebenen Tierparks. Das Nachbarskind auf | |
ihren Schultern, das gern zum Spielen vorbeikommt, weil seine Eltern ihm | |
keinen eigenen Gnadenhof erlauben, macht begeistert mit. Die Freude der | |
beiden lässt beinahe vergessen, dass hinter den blind gewordenen Scheiben | |
und rostigen Gittern des Tierparks schon lange keine Tiere mehr leben. Auf | |
Sveas und Beates Gnadenhof „Burgfrieden“ bekommt er sein Gnadenbrot. | |
Diesen Gnadenhof für Gnadenhöfe betreiben die in der DDR geborenen Frauen | |
noch nicht lange. Früher boten sie Bitcoins in ihren Wallets ein sicheres | |
Zuhause, als – abgesehen von Drogendealern – niemand die Digitalwährung | |
haben wollte. Sobald der Bitcoin für sich selbst sorgen konnte, verkauften | |
sie alles. Ihre Liebe zu Geschöpfen, die niemand mehr liebt, blieb. | |
Angeregt durch eine gemeinsame Reise, auf der sie gut versorgt mit | |
Hawaii-Toast und Soleiern alle noch bestehenden Galeria-Kaufhof-Filialen | |
besuchten, entschlossen sie sich, nicht mehr gewollte Gnadenhöfe zu retten. | |
„Tja, und das war letzten Monat genau sieben Jahre her“, führt Beate | |
sichtlich bewegt aus. Und weil die beiden nur schwer Nein sagen können, | |
gibt Sveas und Beates Hof mittlerweile drei Gnadenhöfen, zwei Tierheimen, | |
vier Tierhorter-Wohnungen, sieben Wildtier-Auffangstationen, zwei Tierparks | |
und einem Zoo und sogar einer Heuler-Station eine zweite Chance. Nur einem | |
serbischen Naturschutzgebiet, das dem Lithium-Abbau weichen musste, haben | |
sie schweren Herzens abgesagt. Es fehlte einfach der Platz. | |
## Trauer und Rage | |
Emotional werden die beiden bei ihrer Arbeit allerdings nur noch selten. Es | |
gibt einfach zu viel zu tun, um lange über die Schicksale der verlassenen | |
Auffangstationen zu trauern. „Aber wenn ich die Schwimmbecken der | |
Heuler-Station schrubbe und mit einem glücklichen Schwappen belohnt werde | |
oder alte Joghurtbecher in meinen mittlerweile handzahmen | |
Tierhorter-Wohnungen verteile, muss ich doch manchmal schlucken“, gesteht | |
Beate. Ob zugemüllte Wohnungen, tetanustriefende Gehege oder karge Ausläufe | |
– das alles sei mal das Wichtigste im Leben eines Menschen gewesen. Dann | |
redet Beate sich in Rage. | |
„Bei ausgesetzten Tieren, da überschlagen sich alle mit Mitgefühl. Dem | |
letzten Dackel mit Hüftgelenks-Dysplasie wird über Social Media noch eine | |
Spendenaktion organisiert!“ Aber was passiert, wenn Tierheime einfach so | |
zurückgelassen werden, das interessiere niemanden. Tierheime dürften nie | |
Schwäche zeigen. Das sei, erklärt Beate aggressiv, während sie mit einem | |
Besenstiel zornig an den Gitterstäben entlangklackert, in einer | |
Gesellschaft, die Gebäude nur über ihren geldwerten Nutzen definiert, nicht | |
vorgesehen. | |
„Umso glücklicher sind wir aber“, wirft Svea entschärfend ein, „wenn wir | |
wieder einem Gnadenhof oder einer noch streng nach Katzen riechenden | |
Wohnung Ytong für Ytong ein neues Zuhause geben können.“ | |
Gerade wollen Svea Tränen in die Augen steigen, da stürmt sie plötzlich in | |
Richtung des kleinen Wäldchens am Rand ihres Grundstücks davon. „Nicht | |
schon wieder!“, ruft sie. Als wir sie einholen, ist die Gefahr bereits | |
gebannt. Svea richtet den Zaun, während der uneinsichtig vor sich hin | |
knarzt. | |
## Schaden und Wiederaufbau | |
„Dieses Wildgehege kam vor zwei Wochen erst an, hat sich noch nicht an die | |
neue Umgebung gewöhnt. Ist aber auch ein schwieriger Fall …“ Svea deutet | |
die Geste für Alkoholproblem an und macht glucksende Geräusche. „… | |
Wasserschaden, Sie verstehen. Der Besitzer hat sich nach einem Hochwasser | |
doch tatsächlich für den Wiederaufbau seines Hauses entschieden und das | |
Gehege einfach sich selbst überlassen.“ | |
Aber bereits zum vierten Mal habe das Gehege versucht, sich die | |
Eulen-Auffangstation nebenan einzuverleiben, erklärt Svea weiter. Nur mit | |
einem ausgestopften Luchs, den sie gerade unter dem Arm trägt, habe sich | |
das Wildgehege bislang beruhigen lassen. „Dann zäunen wir es jetzt halt | |
ein!“, ruft ihr Beate entschlossen zu. „Das hat es jetzt davon!“ | |
Als wir später gemeinsam in der vor zwei Jahren einfach am Straßenrand | |
freigelassenen Frankfurter Küche zu Abend essen, erkundigen wir uns nach | |
den Zukunftsaussichten der beiden Gnadenreichen. Noch würfen die Einnahmen | |
des Bitcoin-Verkaufs genug Zinsen für Unterhalt und Pflege der vielen | |
Immobilien ab, doch langsam müssten sie über alternative | |
Finanzierungsmodelle nachdenken, erklärt Beate. | |
Die in einigen Fällen bereits stark verwitterten Gebäude auf ihrem | |
Grundstück wieder mit Tieren zu füllen, das wollen sie den alten Herren und | |
Damen einfach nicht zumuten. Führungen für Studierende der Architektur | |
kämen da schon eher in Frage. Aktuell planen Svea und Beate Mommsen | |
allerdings etwas anderes: Sie wollen eine dem Strukturwandel in der | |
Landwirtschaft zum Opfer gefallene Ferkelzucht zu sich holen. „Für einen | |
Mehrgenerationenhof sozusagen.“ Und über der Südwestpfalz geht die sanft | |
strahlende Abendsonne unter. | |
3 Feb 2025 | |
## AUTOREN | |
Ernst Jordan | |
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