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# taz.de -- Die Wahrheit: Die Regression schreitet voran
> Rückbildung zum Homo stupidus. An einer neuen Akademie in Oberhausen ist
> das nach einem Studiengang von sechs Semestern endlich möglich.
Bild: Die große Aufgabe ist, das ganze Hirn kleinzukriegen
„Ich komme zum Ende meiner Rede. Wo war ich? Ach ja. Wisst ihr, wer hier
heute Abend für euch kocht?“, ruft Jasmin Puderbach mit vor Freude bebender
Stimme ins Mikro. Sie steht auf der Bühne des Festsaals, schaut ins
Publikum. Dreihundert Leute, die Hütte ist voll. „Es sind die Spitzenköche
Leon Kapski und Vincent van Kroot, berühmt für ihren Tiktok-Account … na,
dings … Gott, bin ich blöd, mir fällt der Name nicht ein.“
Aus dem Publikum ruft ein Mann: „Zum Scheißen reicht’s“. – „Richtig,
danke!“, kreischt Puderbach und kneift die Augen zusammen. Ein Lächeln
breitet sich auf ihrem Gesicht aus. „Wisst ihr“, sagt sie, „wer das gerade
gewusst hat? Holmfried von Brink, frisch gebackener Ex-Professor für
Philosophie. Einer unserer ersten Absolventen. Früher konnte er die erste
Meditation von Descartes im Schlaf aufsagen. Heute steht er auf ‚Zum
Scheißen reicht’sss‘. Applaus für Holmfried!“
Die „Hochschule für Dequalifizierung“ (HFD), gelegen inmitten des
Oberhausener Konsumtempels „Westfield Centro“, hat zur Gala eingeladen.
Gefeiert wird der erste Abschlussjahrgang der vor drei Jahren gegründeten
Akademie, an der man sich Studium und akademischen Grad binnen sechs
Semestern offiziell und rückstandsfrei aberkennen lassen kann. Im Laufe der
Dequalifizierung, so verspricht die HFD, gehen die Fähigkeit zu komplexem
Denken und reflektiertem Handeln sowie jeglicher bildungsbürgerliche
Ballast über den Jordan.
Der Vorgang funktioniert ohne Drogen, Elektroschocks oder Gehirnamputation.
Studienschwerpunkte sind Reality-TV-Konsum, Powershopping (Studienjahr eins
und zwei) und Dauershopping (drittes Jahr). Nach anfänglicher
Gehirnerweichung tritt – etwa ab dem fünften Semester, bei manchen früher �…
eine Gehirnverhärtung ein. Woraufhin sich – Masterclass – ein Betonkopf
ausbildet. Irreversibel.
## Welt im Schwitzkasten
Laut Jasmin Puderbach, Gründungsrektorin, ist die Nachfrage nach
Dequalifizierungsangeboten „überwältigend. Die Wahl von Donald Dings zum
CEO der USA war das größte Geschenk. Seitdem explodieren die
Anmeldezahlen.“ Immer mehr Intellektuelle, Medienschaffende,
Kreativkoryphäen und sonstige Berufsdurchblicker ertrügen es nicht mehr,
den grassierenden Irrsinn in allen Facetten zu erfassen, aber nicht ändern
zu können. „Sie wollen nicht mehr realisieren müssen, dass bösartige alte
Männer die Welt im Schwitzkasten halten und mit allem durchkommen, egal wie
irre es ist“, berichtet Puderbach kurz vor der Gala.
Ihr zufolge wünschen „Heerscharen von gebildeten Menschen“ nichts
sehnlicher, als sich runterzuqualifizieren zum Homo stupidus und endlich
wieder unbekümmert Spaß am Leben zu haben. „Dummseinwollen ist der
ultimative Akt des Klugseins“, predigt sie. „Schlau zu sein gilt bereits in
weiten Kreisen als Handicap. Dumm und rücksichtslos zu sein erleichtert
vieles. Man leidet dann nicht mehr an seinem Wissen. Es ebnet den Weg zur
Macht. Mental Downsizing ist ein Gebot der, dings, Vernunft.“
Und darum heißt es an der HFD: Konsumieren geht über Studieren. Die Zukunft
der Bildung ist die Rückbildung. „Mehr shoppen und glotzen, weniger
denken“, trompetet die Rektorin. „Tut auch der Wirtschaft gut, wenn die
Leute das Denken einstellen. Das schafft sowieso mehr Probleme, als es
löst. Drei Jahre bei uns, und Sie können Bushido nicht mehr von Shiseido
unterscheiden, halten eine kaufmännische Lehre für eine Ausbildung im
Shoppen und das Wort Basilika für den Plural von Basilikum.“
## Gerücht über Sponsor
FAZ-Leitartikler Ingo Schotte erhebt sich gewichtig aus einem
11.000-Euro-Poltronova-Sessel und fragt mit investigativer Stimme, was an
dem Gerücht dran sei, Elon Musk würde die HFD mit zig Millionen sponsern.
„Nichts“, entgegnet Puderbach. „Ich möchte das Gerücht hiermit entkräf…
So, entkräftet. Noch Fragen?“ – „Ja“, sagt Nancy Daniels, Korresponden…
der New York Times. „Wo kann ich mich anmelden?“
Im Festsaal, als die Reden gehalten und Rückbildungsdiplome überreicht
sind, richten sich alle Augen auf die Bühnenwand. Eine Live-Schalte – das
Finale der Shopping-Weltmeisterschaft auf der Frankfurter Zeil. Als die
Jury Michaela Bott zur Siegerin kürt, bricht im Saal frenetischer Jubel
aus. Bott studiert im dritten Jahr an der HFD. Einst war sie preisgekrönte
Dichterin und sezierte die Conditio humana in Sonetten. Jetzt versteht sie
es meisterhaft, Schnäppchen einzutüten.
Kurz darauf öffnet sich eine Doppeltür, und Leon Kapski und Vincent van
Kroot schreiten wie Gladiatoren herein, gefolgt von Servicekräften, die
Tabletts tragen, auf denen sich Tellerchen mit blassem Brei befinden. Er
erinnert an Babynahrung und schmeckt, da ist man sich einig, wie noch nie
etwas geschmeckt hat. Alle sind ganz aus dem Häuschen, dass sie das erleben
dürfen.
3 Dec 2024
## AUTOREN
Frank Lorentz
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Bildung
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