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# taz.de -- Die Wahrheit: Knuddeln mit dem Wild
> Der Wahrheit-Waldrapport: Auf Pirsch mit Deutschlands erstem
> radikalfeministischen Jagdverein, der nur wenig für männliche Traditionen
> übrig hat.
Bild: Jägerin ohne Kurpfalz, aber mitten in der Heide
Der Finger krümmt sich, der Schuss löst sich und paff, ist ein weiterer
Bock dem modernen Feminismus zum Opfer gefallen. Nur dass es sich nicht um
einen Politiker oder Medienmann, sondern um einen kapitalen Zwölfender
handelt. Denn in dieser ungewöhnlich kalten südbrandenburgischen
Spätwinternacht begleiten wir Katharina Beron, 32, Vorsitzende des ersten
radikalfeministischen Jagdvereins „Diana Rebellis“, auf der Pirsch.
Der Schuss ist noch nicht ganz verklungen, da springt Beron ohne ein Wort
zu verlieren von unserem Ansitz am Waldrand auf das Feld, über das der
jetzt tote Rothirsch eben noch stolz seinen Atem blies. Erst als sie das
Tier in den Kofferraum ihres mit Aufklebern wie „Hoch mit dem Gewehr,
nieder mit dem Kapital“ oder „Kuttert, was euch kaputt macht“ oder „Fli…
für FLINTA*s“ verzierten Land Rover Defender gewuchtet hat, fällt die
Anspannung von ihr ab: „Puh, geschafft. Ein Schwein weniger.“
Unschuldige Tierchen hegen und pflegen, dann erlegen und aufbrechen – die
Mitglieder von „Diana Rebellis“ jagen wie alle anderen auch. Mehr
Gemeinsamkeiten mit dem traditionellen Jagdwesen gibt es allerdings nicht.
Weshalb Katharina Beron uns gebeten hat, ihr Revier nicht zu nennen. Nicht
nur einmal lag ein Schweinekopf als Drohung vor ihrer Haustür. „Immerhin
fachmännisch abgetrennt“, lacht sie trotzig.
Dabei ist die Lage eindeutig. Was sich bei Podcasts durch die Beliebtheit
von True Crime manifestiert, wird auch an der wachsenden Zahl der
Jägerinnen deutlich: Immer mehr Frauen finden Gefallen am Töten. Da war es
nur eine Frage der Zeit, bis sich unter diesen auch eine feministische
Gruppierung bildet. „Aber“, fügt Katharina beim fachfrauischen Aufbrechen
des Rothirsches an, „zum Jagen getragen hat uns sicher keiner.“
## Linke Widerstandszelle
Raus in die Natur, echtes Leben und Überleben lernen, Selbstversorgung,
töten – anfangs planten die mittlerweile 15 Frauen eine linke
Wehrsportgruppe als mögliche Widerstandszelle nach der kommenden
faschistischen Machtübernahme. Doch jetzt wollen sie erst mal das
patriarchale Jagdwesen mit feministischem Bewusstsein durchdringen. „Gerade
in dieser konservativen Männerdomäne tut das Not!“
Es gäbe sogar historische Vorbilder für jagende Frauen: „Schon in der
Steinzeit haben sich die Männer nur aufgeplustert und die Mammuts
abgelenkt, während die Frauen die Tiere dann erlegt haben“, führt Katharina
weiter aus. „Den Stich ins Herz beherrschen wir ja perfekt“, wirft
Mitjägerin Hannah Solbig, 27, ein, die wegen ihres Hobbys gerade von ihrer
Freundin verlassen wurde. Von den antiken Jagdgöttinnen über Calamity Jane
im Wilden Westen bis zu Beate Klarsfeld – „die hat ja immerhin Ratten
gejagt“ – reicht die historische Linie der Jägerinnen, wenn man Katharina
fragt.
Linke Radikalfeministinnen, die jagen, das schmeckt in der Szene allerdings
nicht jedem. Dabei halten sich die Mitglieder von „Diana Rebellis“ an einen
strengen Kodex – sie jagen nur männliche Tiere und das nur mit nachhaltig
und von Frauen produzierter Munition.
Erstmal folgt das Halali, das traditionelle Hornsignal am Ende einer Jagd.
Ein echtes Horn kommt bei „Diana Rebellis“ allerdings nicht zum Einsatz.
Ganz befreit und antitraditionell spielen sie Beyoncés „Run the World
(Girls)“. „Nach einer Treibjagd darf es gerne auch mal ‚Triebtäter‘ von
Östro 430 sein“, erklärt Fem-Punk-Fan Katharina.
## Klimaschutz mit Waffe
Die Frage, wie sie ihren Wunsch nach einer gewaltfreien Gesellschaft mit
dem Jagen unter einen Hut kriegen, wischt Katharina beiseite. Der
landwirtschaftlich-industrielle Komplex habe das Gleichgewicht der Natur
zerstört. Nun müssten die Bäume durch Jagd geschützt werden: „Bis alle
Moore für den Klimaschutz enteignet sind, solange werden wir Wildschaden am
CO2-Speicher Baum verhindern!“, doziert sie mit erhobener Faust.
„Zudem sorgen wir mit unserem Wildbret für weniger Mastfleischkonsum.“ Denn
keine der Frauen isst Fleisch. Stattdessen stellen sie sich regelmäßig vor
Supermärkte und verschenken ihre verarbeitete Beute. „Dümmliches Gesicht,
Bierbauch, kurze Cargo-Hosen unter zu engem T-Shirt, an solche notorischen
Fleischfresser verschenken wir unsere Ware“, flüstert Katharina. Bedingung:
Diese dürfen im Supermarkt dafür kein Fleisch kaufen. „Win-Win“, so sehen
es zumindest die Frauen.
In der verbleibenden Freizeit bauen sie ihre Mitgliederwerbung aus. Eine
Kooperation mit dem neotrotzkistischen Angler*innenverein „Hummer &
Sichel“ trägt bereits Früchte und Aktionen wie „Waldbaden im Blut der
Reaktion“ und „Selbstverteidigung mit dem Jagdmesser“ ziehen verlässlich
Interessierte an. Und „das Waschbärknuddeln finden alle süüüß“.
14 Feb 2025
## AUTOREN
Ernst Jordan
## TAGS
Jäger
Tiere
Feminismus
Kolumne Die Wahrheit
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Bildung
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