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# taz.de -- Grund für Scheitern: Unions-Probleme verhindern Wahl
> Weil 50 bis 60 Abgeordnete der CDU/CSU von der Linie der Fraktion
> abweichen wollten, wurde die Wahl der drei Verfassungsrichter:innen
> vertagt.
Bild: Erfüllungsgehilfen der Rechten: Merz, Spahn und die Union
[1][Die Wahl von drei Verfassungsrichter:innen im Bundestag ist
vorerst gescheitert.] Der Bundestag hat an diesem Freitag auf alle drei
Wahlen verzichtet, um ein völliges Desaster zu verhindern. Die
Richterwahlen werden nun wohl nach der Sommerpause nachgeholt.
Normalerweise gehen Verfassungsrichter-Wahlen glatt und geräuschlos über
die Bühne. Die Hälfte der 16 Richter:innen wird im Bundestag gewählt,
die andere Hälfte im Bundesrat. Erforderlich ist jeweils eine
Zwei-Drittel-Mehrheit. Diese wird darüber sichergestellt, dass die
Parteien, die für die Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich sind,
Vorschlagsrechte erhalten. Zuletzt galt die Formel 3:3:1:1. Das heißt, dass
CDU/CSU und SPD je drei Verfassungsrichter:innen pro Senat
vorschlagen können, Grüne und FDP haben je ein Vorschlagsrecht.
Damit der 3:3:1:1-Proporz erhalten bleibt, lag für die frei werdenden drei
Richterposten das Vorschlagsrecht einmal bei der CDU/CSU und zweimal bei
der SPD. Die Union schlug Günter Spinner vor, einen Vorsitzenden Richter am
Bundesarbeitsgericht. Die SPD nominierte die Rechtsprofessorinnen
[2][Frauke Brosius-Gersdorf] und Ann-Katrin Kaufhold.
Dass die anstehenden Verfassungsrichter-Wahlen schwierig werden, hat sich
schon länger angedeutet. Denn nach dem Ausscheiden der FDP bei der
Bundestagswahl haben CDU/CSU, SPD und Grüne gemeinsam keine
Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag. Es fehlen sieben Stimmen, die von
Linken oder AfD kommen müssen.
## Druck von Abtreibungsgegner:innen
Die Linke war bereit, Spinner mitzuwählen, unter der Bedingung, dass die
CDU/CSU mit ihr das Gespräch sucht. Ein solches Gespräch verweigerte aber
die CDU/CSU unter Verweis auf ihren Unvereinbarkeits-Beschluss. Dies nutzte
die AfD zur Ankündigung, dass sie Spinner mitwählen werde.
Damit war die Wahl Spinners gesichert und es ging nur noch um die Frage, ob
es gelingt, eine Zwei-Drittel-Mehrheit ohne die AfD hinzubekommen. Die
CDU/CSU hoffte, dies durch eine besonders disziplinierte Anwesenheit des
Regierungslagers zu erreichen. Einige Linke wie Bodo Ramelow wollten
Spinner aber auch ohne Gegenleistung wählen.
Dazu kam es nicht mehr. Denn im Lauf der Woche wurde dieser Konflikt immer
mehr durch einen unionsinternen Brandherd überlagert. Lange nachdem die
CDU/CSU zugesagt hatte, die SPD-Vorschläge Brosius-Gersdorf und Kaufhold
mitzuwählen, regte sich Widerstand in der Fraktion, insbesondere gegen
Frauke Brosius-Gersdorf. Die Rechtsprofessorin, die bisher allseits als
renommiert und wissenschaftlich herausragend galt, wurde plötzlich als
„ultralinks“ und als „Aktivistin“ beschimpft.
Im Mittelpunkt der Vorwürfe stand Brosius-Gersdorfs Position zum
Abtreibungsrecht, die sie 2024 auch in einer Reformkommission der
Bundesregierung vertreten hatte. Sie hält es für verfassungsrechtlich
möglich, Abtreibungen zu entkriminalisieren. Da das
Bundesverfassungsgericht dies in den 1970er- und 1990er-Jahren anders
entschieden hat, ist die Unruhe in der Union teilweise nachvollziehbar. Die
CDU/CSU steht auch unter massivem Druck von Abtreibungsgegner:innen, die in
der Bevölkerung schon lange keine Mehrheit mehr haben und nun ihre letzte
Bastion, das Bundesverfassungsgericht, in Gefahr sahen.
## Plagiatsvorwürfe wirken konstruiert
Einige Abweichler in der Union hätten die Zwei-Drittel-Mehrheit für
Brosius-Gersdorf aber nicht gefährdet, da auch die Linke für sie stimmen
wollte. Als am Freitag aber plötzlich 50 bis 60 Unions-Abgeordnete von der
Fraktionslinie abweichen wollten, wurde es eng und es drohte ein Eklat,
auch für Fraktions-Chef Jens Spahn und Kanzler Friedrich Merz.
In der offensichtlichen Not griff die CDU/CSU-Fraktionsführung am
Freitagmorgen Vorwürfe des umstrittenen Plagiats-Jägers Stefan Weber auf,
die er erst am Vorabend publiziert hatte. Danach habe Brosius-Gersdorf in
ihrer Doktorarbeit an 23 Stellen bei der Habilitation ihres Mannes Hubertus
Gersdorf abgeschrieben. Die Vorwürfe wirken schon deshalb konstruiert, weil
die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf ein Jahr vor der Habilitation ihres
Mannes veröffentlicht wurde.
SPD und Grüne lehnten daher den Vorschlag der CDU/CSU ab, die Wahl von
Brosius-Gersdorf abzusetzen und nur Spinner und Kaufhold zu wählen. Man
einigte sich schließlich, alle drei Richterwahlen abzusetzen. Dem stimmte
auch die Linke zu. Nur die AfD wollte sofort wählen, um zu zeigen, dass die
CDU/CSU „links-grüne“ Politik unterstützt, wie der AfD-Abgeordnete Bernd
Baumann sagte.
Einen Erfolg hatten die Kritiker von Brosius-Gersdorf aber schon vorab
erzielt. Anders als geplant soll sie nicht mehr Vizepräsidentin und ab 2030
Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden. Darauf hatten sich
CDU/CSU und SPD im Lauf der Woche geeinigt. Diese Funktionen wird dann wohl
die andere SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold übernehmen.
Auch wenn die Wahlen nun vertagt sind, bleibt das Bundesverfassungsgericht
voll arbeitsfähig. Die Richter, deren Amtszeit abgelaufen ist, bleiben
kommissarisch im Amt.
11 Jul 2025
## LINKS
[1] /Soziologe-ueber-AbtreibungsgegnerInnen/!6096111
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## AUTOREN
Christian Rath
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