# taz.de -- Wahl neuer Verfassungsrichter:innen: Zu links für Karlsruhe? | |
> Frauke Brosius-Gersdorf ist die SPD-Kandidatin für das | |
> Bundesverfassungsgericht. Abtreibungsgegner:innen versuchen | |
> mithilfe der Union ihre Wahl zu verhindern. | |
Bild: Frauke Brosius-Gersdorf bei der Pressekonferenz, die den Abschlussbericht… | |
Berlin taz | Der Bundestag soll in der kommenden Woche drei neue | |
Verfassungsrichter:innen wählen, doch unklar ist, ob das klappt. | |
Besonders gegen die Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf, die auf | |
Vorschlag der SPD neue Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden | |
soll, regt sich Widerspruch – und zwar ausgerechnet in der CDU/CSU. | |
Die 16 Richter:innen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) werden je | |
zur Hälfte im Bundestag und im Bundesrat gewählt. Erforderlich ist jeweils | |
eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Zufälligerweise sind nun gleich drei | |
BVerfG-Posten im Bundestag zu besetzen. Für einen Posten hat die CDU/CSU | |
das Vorschlagsrecht, für zwei Posten die SPD. | |
Die CDU/CSU schlägt Günter Spinner vor, einen Vorsitzenden Richter am | |
Bundesarbeitsgericht. Die SPD schlägt die beiden Rechtsprofessorinnen | |
Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold vor. Die Position von | |
Brosius-Gersdorf ist herausgehoben, weil sie vermutlich Vorsitzende des | |
Zweiten Senats und ab 2030 auch Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts | |
würde, also Nachfolgerin von Stephan Harbarth, einem Ex-CDU-Abgeordneten. | |
Wie die [1][Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet], gibt es in der | |
CDU/CSU nun Widerspruch gegen Brosius-Gersdorf, insbesondere wegen ihrer | |
Position zu Schwangerschaftsabbrüchen. Die Juristin war [2][Mitglied einer | |
Regierungskommission zur Reform des Abtreibungsrechts] und verantwortete | |
2024 im Kommissionsbericht das Kapitel zum „verfassungsrechtlichenRahmen“. | |
Dort kam sie zum Ergebnis, dass eine Entkriminalisierungdurchaus möglich | |
ist. Die Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus den 1970er- und | |
1990er-Jahren, in denen die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs | |
vorgegeben wurde, seien nicht mehr maßgeblich. | |
## Radikale Abtreibungsgegner mobilisieren | |
In CDU-Kreisen wird Brosius-Gersdorf nun als „ultralinks“ geschmäht. Auch | |
radikale Abtreibungsgegner machen gegen Brosius-Gersdorf mobil. Unter | |
anderem rufen die Aktionen Lebensrecht für Alle (Alfa) und die Deutsche | |
Vereinigung für eine Christliche Kultur (DVCK) dazu auf, [3][sich per Mail | |
an die Mitglieder des Wahlausschusses zu wenden] und besonders die | |
christdemokratischen Abgeordneten unter Druck zu setzen, um die | |
„Pro-Choice-Juristin“ zu verhindern. Dabei hatte die CDU/CSU-Fraktion dem | |
SPD-Vorschlag bereits zugestimmt. | |
Denn Brosius-Gersdorf, die in Potsdam lehrt, ist eine hoch angesehene | |
Rechtsprofessorin und galt wegen ihrer wirtschaftsliberalen Ansichten | |
bisher nicht als besonders links. Wie groß der Widerstand in der Union | |
tatsächlich ist, kann derzeit schwer abgeschätzt werden. Denn fast alle | |
Kritiker:innen in der Fraktion wollen bisher anonym bleiben. | |
Nur die Brandenburger Abgeordnete Saskia Ludwig hat offen erklärt, dass sie | |
Brosius-Gersdorf für „unwählbar“ hält. Allerdings steht Ludwig am rechten | |
Rand der CDU und ist damit wohl nicht repräsentativ. Zum anderen ist | |
Ludwigs Hauptkritikpunkt, dass Brosius-Gersdorf in der Corona-Pandemie für | |
eine Impfpflicht eingetreten ist. | |
Bei der Verfassungsrichterwahl wird das Vorschlagsrecht der Fraktionen und | |
Länder in der Regel akzeptiert. Nur wenn eine Person oder ihre Positionen | |
völlig indiskutabel sind, blockieren die anderen Fraktionen. Es dürfte | |
derzeit ohnehin schwer sein, SPD-nahe Jurist:innen zu finden, die die | |
Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen weiterhin als | |
verfassungsrechtliches Dogma behandeln wollen. | |
Ende letzten Jahres scheiterte allerdings der CDU/CSU-Vorschlag Robert | |
Seegmüller, Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, am Veto der | |
Grünen. Die Grünen hatten das Veto jedoch nicht mit Seegmüllers | |
migrationskritischen Positionen begründet, sondern mit seiner | |
„inkonsistenten“ Argumentation bei einem Vorstellungsgespräch. | |
## Entscheidung des Wahlausschusses am Montagabend | |
Bis Montagabend muss sich nun entscheiden, ob die drei Kandidat:innen | |
Spinner, Brosius-Gersdorf und Kaufhold über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im | |
Bundestag verfügen. Dann wird der zwölfköpfige Wahlausschuss des Bundestags | |
die Kandidat:innen offiziell nominieren. Die Wahl im Plenum des | |
Bundestags soll dann am Donnerstag stattfinden. | |
Die mediale Aufregung um Frauke Brosius-Gersdorf hat allerdings das | |
eigentliche Problem der anstehenden BVerfG-Richterwahlen in den Hintergrund | |
gedrängt, dass die Zwei-Drittel-Mehrheit für die drei Kandidat:innen | |
noch keineswegs gesichert ist. | |
Denn seit der Bundestagswahl, bei der die FDP ausschied, kommt eine | |
Zwei-Drittel-Mehrheit nur noch mit Stimmen der Linken (oder der AfD) | |
zustande. Die Linken sind grundsätzlich bereit, die drei Kandidat:innen | |
zu wählen, warten aber vor allem darauf, dass die CDU/CSU das Gespräch mit | |
ihnen sucht. Das versucht die Union aber nach Möglichkeit zu vermeiden, | |
weil es gegen ihren Unvereinbarkeitsbeschluss verstoßen könnte. | |
Bisher zeichnet sich noch keine Lösung ab. Nach Informationen der taz gab | |
es bislang kein Gesprächsangebot der CDU/CSU an die Linken. Wie die | |
Abstimmung am Donnerstag ausgeht, ist deshalb offen. Im schlimmsten Fall | |
könnte erneut die AfD der Union als Mehrheitsbeschafferin dienen. | |
4 Jul 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.faz.net/einspruch/bundesverfassungsgericht-warum-die-spd-kandid… | |
[2] /Schwangerschaftsabbrueche-in-Deutschland/!5919262 | |
[3] https://www.alfa-ev.de/keine-pro-choice-juristin-ans-bundesverfassungsgeric… | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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