# taz.de -- Soziologe über AbtreibungsgegnerInnen: „Das Ziel ist, liberale R… | |
> Die Union hadert mit Frauke Brosius-Gersdorf als möglicher | |
> Verfassungsrichterin. Soziologe Andreas Kemper sieht dahinter Kampagnen | |
> von AbtreibungsgegnerInnen. | |
Bild: Gegner*innen von Abtreibungen demonstrieren 2023 beim sogenannten „Mars… | |
taz: Herr Kemper, am Freitag wählt der Bundestag drei neue RichterInnen für | |
das Bundesverfassungsgericht. Die Union sträubt sich gegen die von der SPD | |
vorgeschlagene Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf – warum? | |
Andreas Kemper: [1][Frauke Brosius-Gersdorf war Mitglied der Kommission], | |
die in der vergangenen Legislaturperiode die [2][Legalisierung von | |
Schwangerschaftsabbrüchen empfohlen hat]. Das gefällt einer konservativen | |
Partei wie der Union nicht. Vor allem gefällt es antifeministischen | |
Lobbygruppen nicht – die wiederum großen Einfluss in der Unionsfraktion | |
haben. | |
taz: Welche Lobbygruppen meinen Sie? | |
Kemper: Es gibt verschiedene, eng miteinander vernetzte AkteurInnen der | |
organisierten „Lebensschutz“-Bewegung mit sehr guten Kontakten in die | |
Unionsfraktion. Da sind zum Beispiel die „Christdemokraten für das Leben“ | |
(CDL), die schon Anfang Juli die Union aufgefordert haben, die Kandidatur | |
von Frau Brosius-Gersdorf nicht zu unterstützen. | |
taz: Wer steckt hinter dieser Gruppe? | |
Kemper: Die Organisation hat sich nach der Wiedervereinigung gegründet, als | |
es darum ging, das Abtreibungsrecht aus BRD und DDR zu einem gemeinsamen | |
Recht zusammenzuführen. Damals hat sie erfolgreich eine liberale Regelung | |
mitverhindert. Mit bei der Stimmungsmache seit Anfang Juli waren zudem die | |
„Stiftung Ja zum Leben“, der „Bundesverband Lebensrecht“, die „Aktion | |
Lebensrecht für Alle“ – also alles Gruppen aus der Anti-Choice-Bewegung. | |
taz: Wie hängen die zusammen? | |
Kemper: Diese AkteurInnen sind im engen Austausch miteinander und auch | |
personell eng verbandelt. Und es steckt viel Geld dahinter: Bereits 2017 | |
überschritt die jährliche Förderung der „Stiftung Ja zum Leben“ an | |
„Lebensschutz“-Initiativen die Millionengrenze. Auch die verschiedenen | |
Organisationen der AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch und ihrem | |
Mann Sven von Storch gehören in diese Szene. Dazu kommen internationale | |
Netzwerke und Geldflüsse, etwa aus den USA und Russland. Relevant sind hier | |
auch [3][eingespielte Verbindungen des Adels]: Johanna von Westphalen | |
gründete die CDL und die „Stiftung Ja zum Leben“, deren Cousine Elisabeth | |
von Lüninck kämpfte gegen die Ehe für alle, deren Tochter Hedwig von | |
Beverfoerde baute zusammen mit Beatrix von Storch die „Demo für alle“ auf, | |
und so weiter. | |
taz: Wie gehen diese Gruppen nun konkret vor? | |
Kemper: Es ist immer das gleiche Muster: Die Organisationen starten einen | |
Aufruf, in diesem Fall, um die Berufung von Frau Brosius-Gersdorf zu | |
verhindern. „Lassen Sie uns die lebensfeindliche Rechtsprechung | |
verhindern“, heißt es darin. Sie recherchieren die Kontaktdaten der | |
entscheidenden Abgeordneten im Wahlausschuss und stellen eine Excel-Datei | |
zur Verfügung mit Namen, Telefonnummern und Emailadressen – mit einem Klick | |
kann man die Leute dann kontaktieren. Oft gibt es sogar einen | |
vorgefertigten Text, so dass innerhalb von sehr kurzer Zeit eine sehr große | |
Zahl ähnlicher oder wortgleicher Mails an die Abgeordneten geht. | |
taz: Dass Leute ihre Position zum Ausdruck bringen, auch gewählten | |
Abgeordneten gegenüber, ist doch legitim. | |
Kemper: Ein Problem wird es aber, wenn damit Demokratie ausgehebelt wird. | |
Wir wissen aus repräsentativen Befragungen, dass [4][80 Prozent der | |
Bevölkerung für ein liberaleres Abtreibunsgrecht sind]. Sogar die Mehrheit | |
der Katholik*innen sieht das so. Diese Email- und Anrufaktionen aber | |
schlagen ein wie eine Bombe, Abgeordnete können ihre Postfächer wegen | |
Überfüllung teils nicht mehr nutzen. | |
taz: Wozu das Ganze? | |
Kemper: Die Aktion soll aussehen wie eine riesige Graswurzel-Bewegung. Wenn | |
man näher hinschaut, ist es aber eigentlich nur ein Kunstrasen. Aber damit | |
und mit ihren Verbindungen in konservative Parteien sind diese | |
Organisationen extrem erfolgreich. Sie nutzen ihren Einfluss, um Politik zu | |
machen, die sich gegen die eigentliche Mehrheit wendet – und gegen | |
Grundrechte von Minderheiten. | |
taz: Wie meinen Sie das? | |
Kemper: Das Aushängeschild dieser Bewegung ist der Kampf gegen | |
Schwangerschaftsabbrüche. Es gibt aber enge Kontakte und viele | |
Überschneidungen in jene Bewegungen, die auch gegen die Ehe für Alle | |
mobilisiert haben oder gegen das Selbstbestimmungsgesetz. Was sie eint, ist | |
das Beharren auf einer vermeintlich natürlichen Ordnung, in der Männer und | |
Frauen gemeinsam Kinder bekommen in einer patriarchalen Gesellschaft. Dass | |
sich dieser Kampf gerade konkret an der Besetzung von Richterposten zeigt, | |
ist kein Zufall. | |
taz: Warum nicht? | |
Kemper: Bis 2018 gab es in verschiedenen europäischen Großstädten jährliche | |
[5][Geheimtreffen antifeministischer Organisationen unter dem Namen „Agenda | |
Europe“]. Das waren Netzwerk- und Strategietreffen von Personen, die sich | |
gegen emanzipatorische und progressive Politik wenden und an einem Rollback | |
sexueller und reproduktiver Rechte arbeiten. Eine zentrales Vorhaben: | |
Richterposten mit ihren Leuten zu besetzen, vor allem an den obersten | |
Gerichten. Die Ergebnisse sehen wir in Polen, aber auch in den USA. Das hat | |
ganz klar Strategie. | |
taz: Mit welchem Ziel? | |
Kemper: Diese Leute wissen, dass sie Politik gegen die Mehrheit machen. Wie | |
gesagt, 80 Prozent in Deutschland wollen ein liberaleres Abtreibungsrecht. | |
Auf demokratischer Ebene ist für die AntifeministInnen nichts zu holen. | |
Also müssen sie die Politik von oben bestimmen, wenn sie etwas erreichen | |
wollen: Von den Gerichten aus, wenn dort Richter*innen sitzen, die in | |
ihrem Sinne urteilen und Fortschritt verhindern. Deswegen ist es aus ihrer | |
Sicht auch so wichtig, liberale RichterInnen zu verhindern. | |
9 Jul 2025 | |
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## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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