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# taz.de -- Wahl von Verfassungsrichter*innen: Gegen die Wand
> Die Wahl der Richter:innen zum Bundesverfassungsgericht scheitert
> vorerst. Die Chronologie eines politischen Versagens.
Bild: Die Drei von der Regierungsbank auf der niemand zufrieden oder in Kontrol…
Die Wahl der Richter:innen zum Bundesverfassungsgericht ist
normalerweise kein Termin, der Gemüter in Wallung versetzt. Ein Thema, das
die Justiziare beschäftigt. Die Hälfte der 16 Richter:innen wird im
Bundestag gewählt, die andere Hälfte im Bundesrat. Erforderlich ist jeweils
eine Zweidrittelmehrheit.
Dass es am Freitag anders läuft, [1][ahnt man bereits vor der
entscheidenden Sitzung.] Vor dem Reichstagsgebäude demonstrieren
Lebensschützer:innen, halten Plakate von Föten im Mutterleib hoch. Statt
‚business as usual‘ ist Kulturkampf angesagt.
Denn gegen eine der drei Kandidat:innen, [2][die Potsdamer
Rechtsprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf], machen rechte Netzwerke und
Lebensschützer:innen seit gut zwei Wochen mobil. Die Juristin war
Mitglied einer Expert:innenkommission zur Legalisierung von
Schwangerschaftsabbrüchen. Sie hält dies teilweise für geboten. So wie 80
Prozent der Bevölkerung.
Als die SPD der Union Brosius-Gersdorf und eine zweite Kandidatin,
Ann-Katrin Kaufhold, vor zweieinhalb Monaten vorschlug, stimmte die Union
zu. Die Union hatte ihrerseits einen eigenen Kandidaten, Günter Spinner,
nominiert. Alle drei sollten zusammen gewählt werden. So war es mit der SPD
besprochen.
## Kulturkampf, Plagiatsvorwürfe, Morddrohungen
Aber [3][dann läuft die Kampagne an]. In sozialen Medien wird behauptet,
Brosius-Gersdorf wolle Babys im Mutterleib zerstückeln, sie erhält
Morddrohungen. Am Freitagmorgen tauchen dann auch noch Plagiatsvorwürfe
auf. Demnach habe Brosius-Gersdorf in ihrer Doktorarbeit an 23 Stellen bei
der Habilitation ihres Mannes abgeschrieben. Die Vorwürfe wirken schon
deshalb konstruiert, weil ihre Doktorarbeit ein Jahr vor der Habilitation
ihres Mannes erschien. Die Plagiatsvorwürfe werden wenige Stunden später
wieder zurückgezogen.
Aber: Die Kampagne wirkt. Immer mehr Unionsabgeordnete melden Bedenken und
Redebedarf bei Fraktionschef Jens Spahn an. Er wirbt bis zuletzt für den
Vorschlag der Koalition, schafft es aber nicht, die eigene Fraktion
zusammenzuhalten. Obwohl der 12-köpfige, vertraulich tagende Wahlausschuss
am Montag mit Zweidrittelmehrheit die Kandidat:innen vorgeschlagen
hatte, obwohl Merz sich am Mittwoch in der Regierungsbefragung auch
persönlich hinter Brosius-Gersdorf gestellt hatte.
Am Freitagmorgen trifft sich die Union um 8 Uhr zur Sondersitzung. Merz und
Spahn fällen eine Entscheidung: Sie wollen der SPD vorschlagen, nur zwei
Richter:innen zu wählen und die Wahl von Brosius-Gersdorf zu vertagen.
Man informiert SPD-Fraktionschef Matthias Miersch und Parteichef Lars
Klingbeil. Die Bundestagssitzung wird kurz darauf unterbrochen, die SPD ist
empört. Sie trifft sich ihrerseits um 10.30 Uhr. Die Entscheidung fällt
schnell und einmütig: Die Wahl aller drei Kandidat:innen wird von der
Tagesordnung abgesetzt, nur so lässt sich ein Koalitionscrash in letzter
Minute abwenden.
## Führungsversagen von Spahn und Merz
In der SPD ist man sauer. Sieht ein Führungsversagen von Spahn und Merz.
„Wir werden gerade Zeuge, wie eine hochqualifizierte Kandidatin mit
makellosem Werdegang und breiter fachlicher Anerkennung [4][Opfer einer
Schmutzkampagne] wird, die haltlos ist“, erklärt der Erste Parlamentarische
Geschäftsführer Dirk Wiese. „Das Problem heute ist, dass die Unionsführung
die nötige Mehrheit in ihren eigenen Reihen nicht sicherstellen konnte.“
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann wird grundsätzlicher: „Dieser Tag
ist ein absolutes Desaster für das Parlament, für die Demokratie und das
Bundesverfassungsgericht“, sagt sie im Bundestag. In der Verantwortung
dafür sieht sie Friedrich Merz, vor allem aber den
Unionsfraktionsvorsitzenden Spahn. Er habe es nicht geschafft, in seiner
Fraktion die Mehrheiten für die gemeinsamen Richterkandidat*innen zu
organisieren. So sieht es auch die Fraktionsvorsitzende der Linken, Heidi
Reichinnek: „Die Absetzung der Wahlen ist ein absolutes Armutszeugnis für
Sie, Herr Spahn.“
## Frust sitzt tief
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Union, Steffen Bilger, übernimmt
die Deutungshoheit anstelle von Spahn, der sonst kein Mikrofon auslässt.
„Wir wären bereit gewesen, die beiden anderen Kandidaten zu wählen.“ Doch
eine Verständigung sei an diesem Tag nicht mehr möglich gewesen, deshalb
habe auch die Union die Streichung des Tagesordnungspunkts beantragt. Es
ist der Versuch, die Kontrolle ein wenig zurückzugewinnen und der SPD eine
Teilschuld zuzuschieben.
Doch dort sitzt der Frust tief. Man werde an Brosius-Gersdorf festhalten,
heißt es am Freitag. Wann und ob sie gewählt wird, ist unklar.
Möglicherweise nach der Sommerpause, vielleicht auch nie.
11 Jul 2025
## LINKS
[1] /Wahl-fuer-das-Bundesverfassungsgericht/!6096030
[2] /Wahl-neuer-Verfassungsrichterinnen/!6098392
[3] /Soziologe-ueber-AbtreibungsgegnerInnen/!6096111
[4] /Wahl-von-Verfassungsgrichterinnen/!6100607
## AUTOREN
Anna Lehmann
Cem-Odos Güler
Christian Rath
## TAGS
Richter:innenwahl
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SPD
CDU/CSU
Feminismus
Schwerpunkt Abtreibung
Jens Spahn
GNS
Kanzler Merz
Schwerpunkt Abtreibung
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