| # taz.de -- Mäßigungsversuch der AfD: Der Arbeitskreis liegt noch am Pool | |
| > Eigentlich versucht sich die AfD in der Selbstverharmlosung. Doch die | |
| > neue Strategie versandet in der Sommerpause, schürt Konflikte in der | |
| > Partei – und nutzt Maximilian Krah. | |
| Gerade hat sich das Gehalt der in der Schweiz lebenden AfD-Vorsitzenden | |
| Alice Weidel auf stattliche 24.000 Euro verdoppelt – der Fraktionsvorstand | |
| hat sich die Gehälter erhöht. Vielleicht wirkt sie deswegen so verstörend | |
| gut gelaunt, als sie in der Generaldebatte des Bundestags am Mittwoch | |
| genüsslich düstere Untergangszenarien für Deutschland heraufbeschwört. | |
| Als hätte die Bundestagsfraktion der extrem rechten AfD sich nicht eben | |
| erst einen neuen Verhaltenskodex zum „gemäßigten Auftreten im Parlament“ | |
| gegeben, hetzt Weidel mit schneidender Stimme rassistisch gegen | |
| Minderheiten und Flüchtlinge, die aus ihrer Sicht an wirklich allen | |
| Problemen schuld seien sollen, und prügelt schrill auf den „Lügenkanzler | |
| Merz“ ein. Das einzig Bürgerliche an Weidels Auftritt ist ihr Landadellook | |
| mit sandfarbenem Jackett und obligatorischer Perlenkette. | |
| ## Keine Spur von Mäßigung | |
| Weidels Rede enthält nicht einmal Spuren von Mäßigung. Sie verbreitet Fake | |
| News von Einbürgerungen per Mausklick, raunt von einer „Transformation des | |
| Staatsvolks“ und rundet das Ganze dann noch mit einer NS-Relativierung ab: | |
| Dass die SPD ein AfD-Verbot fordere, erinnere sie an „dunkle Zeiten“. | |
| Die rüde Rede bildet das Spannungsfeld ab, in dem sich die Partei als | |
| größte Oppositionsfraktion derzeit bewegt. Einerseits ist die Partei | |
| aufgrund der Hochstufung als gesichert rechtsextrem [1][und des Fahrt | |
| aufnehmenden Verbotsantrags] unter enormem Druck, andererseits [2][hat sie | |
| sich seit ihrer Gründung kontinuierlich radikalisiert]. Diese Entwicklung | |
| wollen Leute wie Björn Höcke noch auf die Spitze treiben, sie hat der | |
| Partei – gemessen an Wahlerfolgen vor allem im Osten, aber mittlerweile | |
| auch im Westen – offensichtlich mehr genutzt als geschadet. | |
| Ihr Problem bleibt jedoch: Bisher hat die Partei fast jedes Verfahren gegen | |
| den Verfassungsschutz verloren. Wenn die AfD weiter an ihrem Radikalkurs | |
| und Personen wie dem österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner und | |
| dessen Kampfbegriff „Remigration“ – und damit einer rassistisch motiviert… | |
| Vertreibungspolitik – festhält, könnte das so weitergehen. | |
| Trotz guter Umfragewerte und des gesellschaftlichen Rechtsrucks inklusive | |
| der Übernahme von AfD-Positionen durch die Union führt das intern zu | |
| Streit, Unruhe und erbitterten Kämpfen. Hinzu kommen untereinander nicht | |
| vereinbare Positionen innerhalb der Partei zu Russland, Iran und Israel | |
| sowie ein ambivalentes Verhältnis zu Donald Trump, der Nato und den USA. | |
| ## „Brandmauer umwerfen“ | |
| Gestritten wird über grundsätzliche Fragen: Wie radikal darf es denn nun | |
| sein? Was muss man tun, um weiter die niederen Instinkte des „Volkszorns“ | |
| und der Stammwähler schüren zu können, aber nicht verboten zu werden? Und | |
| wie kann man dabei die selbst gesteckten Ziele erreichen – neue | |
| Wählerschichten erschließen oder gar die Brandmauer einreißen und | |
| koalitionsfähig werden? | |
| Einen Teil der Antworten gibt eine geleakte PowerPoint-Präsentation der | |
| Bundestagsfraktion: Die Brandmauer will die AfD umwerfen, indem die | |
| Gesellschaft weiter mit Kulturkampfthemen („Gender“) in | |
| „bürgerlich-konservativ“ und „linksradikal“ gespalten werden soll, als… | |
| Gräben zwischen Union, SPD und Grünen vertieft würden. Die Union will sie | |
| vor allem in deren Kernkompetenzen Wirtschaft und Finanzpolitik angreifen, | |
| sie mit den Kompromissen mit der SPD packen und so langfristig eine | |
| AfD-CDU/CSU-Koalition erzwingen. | |
| Viele Expert*innen gehen allerdings davon aus, dass die AfD derzeit ihr | |
| Potenzial nahezu vollends ausgeschöpft und ohne eine inhaltliche | |
| Neuausrichtung wenig Chancen hat, neue Wählergruppen zu erschließen. Hinzu | |
| kommt, dass die Partei trotz aller Kraftmeierei selbst im Osten bisher nur | |
| einmal stärkste Partei geworden ist – in Thüringen. Und so groß scheint der | |
| Elan dann auch nicht: Die Arbeitsgruppe „Brandmauer umwerfen“ soll ihre | |
| erste Sitzung irgendwann nach der Sommerpause haben. | |
| ## Mittelfinger auch von Björn Höcke | |
| Erst mal versucht die AfD das Mindeste: nicht verboten zu werden. Anfang | |
| der Woche hat der im Bundesvorstand für die Gerichtsverfahren gegen den | |
| Verfassungsschutz zuständige ehemalige Oberstaatsanwalt Roman Reusch | |
| einvernehmlich mit der Parteispitze [3][vor weiterer Zusammenarbeit mit | |
| Sellner gewarnt], nachdem kürzlich das Urteil zu Compact [4][Sellners | |
| Positionen als verfassungsfeindlich einstufte]. | |
| Prompt folgten zahlreiche Solidaritätsadressen an Sellner, Widerstand gegen | |
| den verordneten Mäßigungskurs wurde laut: „Wir machen genau so weiter wie | |
| bisher“, hieß es aus dem besonders radikalen Brandenburg. Einen | |
| Mittelfinger gab es auch von Höcke selbst, der auf seinen Kanälen lächelnd | |
| mit einem Sellner-Buch posierte und den kleinen österreichischen | |
| Rechtsextremen als „Till Eulenspiegel“ lobte, dem die AfD nicht in den | |
| Rücken fallen dürfe. Der Burgfrieden zwischen Höcke und der Parteispitze | |
| scheint seither aufgekündigt. | |
| Denn dies sind direkte Provokationen gegen jene in der Partei, die | |
| zumindest öffentlich für ein gemäßigtes und seriöseres Auftreten werben. Je | |
| näher die Partei der Macht kommt, desto professioneller wollen Leute | |
| auftreten, die auf Machtoptionen vor allem in Ostdeutschland hoffen. So | |
| wünscht sich Parteichef Tino Chrupalla seit Wochen mehr „Konstruktivität“ | |
| und Lösungskompetenz statt [5][plumpen Gepöbels]. | |
| In Chrupallas Landesverband Sachsen hat der Landesvorsitzende Jörg Urban im | |
| vergangenen Jahr einen [6][für AfD-Ost-Verhältnisse] zurückhaltenden | |
| Wahlkampf geführt. Aber auch hier wirkte das nicht wirklich glaubwürdig: | |
| Bereits in der Ebene unter der Spitze gibt es Abgeordnete, [7][die 2020 | |
| beim Sturm auf den Reichstag] dabei waren, [8][Terrorverdächtige in ihren | |
| Landtagsbüros beschäftigten] oder Männer ins EU-Parlament schicken, die | |
| [9][mit der Hand auf dem Herzen vor Hitlers Wolfsschanze posieren]. | |
| Die Gegner eines Mäßigungskurses dürften also zahlreich bleiben: Sie warnen | |
| schon jetzt im Hinblick auf die rechtsradikale italienische | |
| Ministerpräsidentin Giorgia Meloni wegen ihrer aus AfD-Sicht zu | |
| EU-pragmatischen Haltung vor einer „Melonisierung“ oder gar einer | |
| „Merkelisierung“ der Partei. Entsprechend groß war der Aufschrei, nachdem | |
| die Bundestagsfraktion ein folgenloses Positionspapier verabschiedet hatte, | |
| in dem nach kontroverser Debatte bei der letzten Fraktionsklausur auf die | |
| Nutzung des Worts Remigration verzichtet wurde. Im Bundestagswahlkampf | |
| hatte Weidel es noch selbst von der Bühne gerufen und damit die Völkischen | |
| versöhnt. | |
| ## Krah positioniert sich strategisch | |
| Maximilian Krah sieht in diesem Chaos seine zweite Chance. Nach einem | |
| slapstickhaften EU-Wahlkampf als Spitzenkandidat zwischen SS-Verharmlosung, | |
| Spionage- und Korruptionsskandalen war er isoliert. Dann wurde er per | |
| Direktmandat aus Sachsen in den Bundestag gewählt und versteht es seither | |
| geschickt, sich ins Zentrum der innerparteilichen Debatte zu stellen. | |
| Obwohl er noch vor gut einem Jahr als Speerspitze der Völkischen selbst | |
| Sellner-Positionen vertreten hat und ein ultraradikales Pamphlet im | |
| rechtsextremen Verlag Antaios veröffentlicht hat, plädiert der Jurist | |
| mittlerweile aus strategisch-pragmatischen Gründen für eine Abkehr vom | |
| Remigrationsbegriff und von der Idee der völkischen Reinheit. | |
| Daraufhin musste Krah prompt als „Feindzeuge“ zum Podcast-Rapport bei | |
| seinem rechtsextremen Verleger Götz Kubitschek antreten. Das Streitgespräch | |
| ging für Kubitschek nach hinten los, weil er gegen Krahs juristische | |
| Ausführungen blass wirkte und Krah ihm vor Augen führte, dass Sellners und | |
| Kubitscheks Volksverständnis verfassungsfeindlich ist. „Der Staat passt | |
| nicht zu dem, was unserer politischen Überzeugung entspricht“, sagte Krah | |
| dort, „aber wir werden mit ihm auskommen müssen.“ Sein Sinneswandel beruht | |
| auf der Angst vor einem Verbot, weniger auf Überzeugungen. | |
| Dafür spricht, dass Krah sich nun zwar für die Akzeptanz von Staatsbürgern | |
| mit Migrationshintergrund ausspricht, aber dezidiert gegen die | |
| Durchmischung von autochthonen deutschen mit migrantischen Milieus ist. | |
| Krah plädiert dafür, jegliche Integrationsmaßnahmen des Staats einzustellen | |
| – was nach Ghettoisierung klingt. Ob mit seinem Kursschwenk auch eine | |
| Abkehr vom Ziel der „Zerstörung der CDU“ einhergehe? Nicht wirklich: „Ac… | |
| das passiert schon von selbst.“ | |
| ## Gespaltene Radikale | |
| Mit dem Konfrontationskurs gegen Kubitschek und Sellner hat sich Krah | |
| jedoch in manchen Parteikreisen rehabilitiert: Jüngst schipperte er mit den | |
| AfD-Landesvorsitzenden von Hessen, Sachsen und Nordrhein-Westfalen über den | |
| Rhein. Parteifreunde nennen Krah bereits den neuen „Tanzbären“ des | |
| NRW-Landesvorsitzenden Martin Vincentz, der als Gegenspieler Höckes gilt | |
| und mit dem Parteiausschluss des ultraradikalen Matthias Helferich Aufsehen | |
| erregte. | |
| Auf taz-Anfrage bestätigt Krah, dass er trotz des Disputs mit Kubitschek an | |
| dessen Sommerfest in Schnellroda teilgenommen hat. Ein dort geplantes | |
| Streitgespräch mit Martin Sellner hatte der Österreicher abgesagt. Krah | |
| bezichtigte ihn daraufhin der Feigheit, Sellner stichelte zurück. Krah | |
| sagte der taz, auch beim Sommerfest habe Sellner ihn gemieden, und legte | |
| erneut nach: „Martin Sellner ist eine Pussy.“ | |
| 11 Jul 2025 | |
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