| # taz.de -- Rechtsextreme im Landtag: Das Gruselkabinett der AfD | |
| > Die AfD hat in Sachsen und Thüringen eine kritische Größe erreicht. Diese | |
| > Politiker zeigen, wie bedrohlich die Partei für die Demokratie werden | |
| > kann. | |
| Bild: Die Abrissbirnen der Demokratie, hier Jörg Urban von der AFD – hier st… | |
| Berlin taz | Die AfD ist in den Landtagen von Sachsen und Thüringen so | |
| stark vertreten wie nie zuvor. Beide Landesverbände sind stramm | |
| rechtsextrem. In den sächsischen Landtag mit 120 Sitzen zieht die AfD mit | |
| 40 Abgeordneten ein, 28 davon direkt gewählt. In Thüringen kommt sie mit 32 | |
| von 88 Abgeordneten sogar auf eine Sperrminorität. | |
| Damit können sie Entscheidungen, für die es eine Zweidrittelmehrheit | |
| braucht, blockieren. Das betrifft zum Beispiel Verfassungsänderungen, | |
| Richterernennungen sowie die Auflösung des Landtags. 29 der Thüringer | |
| Abgeordneten wurden direkt gewählt. | |
| Der für SA-Parolen verurteilte Kopf der völkischen Strömung in der AfD, | |
| Björn Höcke, zog nicht direkt ein. Weil er seinen Heimatwahlkreis in | |
| Eichsfeld in Thüringen immer gegen die CDU verloren hat, trat er diesmal in | |
| Greiz an – [1][unterlag aber auch dort]. | |
| Einen Sitz im Landtag hat er trotzdem, weil er für diesen Fall vorgebaut | |
| hatte: Der Landesvorstand hatte durch die [2][Verweigerung von | |
| Unterschriften] dafür gesorgt, dass zwei aussichtsreiche | |
| AfD-Direktkandidaten im Wartburgkreis nicht aufgestellt wurden. Dadurch | |
| konnte Höcke über die Landesliste in den Landtag einziehen. | |
| ## Sweet Spot in Thüringen | |
| Mit ähnlich viel Machtkalkül und Listenreichtum wird die AfD die Situation | |
| der schwierigen Koalitions- und Regierungsbildungen vor allem in Thüringen | |
| für sich instrumentalisieren. Sie werden mit allen denkbaren | |
| parlamentarischen Taschenspielertricks versuchen, demokratische Prozesse zu | |
| blockieren. Vor allem in Thüringen ist die AfD damit in einem politischen | |
| Sweet Spot – hier kann sie als stärkste Fraktion mit ihrer Sperrminorität | |
| blockieren oder Zugeständnisse erpressen. | |
| Auch wenn die AfD anderes behauptet und als stärkste Kraft formal | |
| Sondierungsgespräche anbietet, will sie gegenwärtig mit ihrem Kurs der | |
| Fundamentalopposition überhaupt keine Verantwortung übernehmen. Zumal alle | |
| anderen Parteien eine Zusammenarbeit ausgeschlossen haben. Diese befinden | |
| sich angesichts unklarer Mehrheitsverhältnisse in einem strategischen | |
| Dilemma. Und zumindest eine CDU-Abgeordnete, Martina Schweinsburg, betont | |
| schon jetzt, unter Umständen [3][auch einen AfD-Landtagspräsidenten | |
| mitwählen] zu wollen. | |
| Gut möglich, dass die AfD mit ihren 32,8 Prozent in Thüringen erneut | |
| versucht, bei der Ministerpräsidentenwahl Unruhe zu stiften. Als die | |
| Höcke-AfD 2020 ihren eigenen Kandidaten durchfallen ließ und überraschend | |
| den überforderten FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten | |
| wählte, löste sie damit wohlkalkuliert eine Verfassungskrise aus. | |
| Aber auch in Sachsen liegt die extrem rechte Partei nur knapp hinter dem | |
| Wahlsieger Michael Kretschmer (CDU). Trotz ihres Rekordergebnisses von 30,6 | |
| Prozent verpasste sie denkbar knapp die Sperrminorität. Ministerpräsident | |
| Kretschmer hat mit der Übernahme rechter Forderungen gezeigt, dass die AfD | |
| auch aus der Opposition den Diskurs regelrecht beeinflussen kann – auch | |
| wenn sie in Sachsen stärkste Kraft werden wollte. | |
| ## Fokus liegt auf 2029 | |
| Der Chef der Bundesparteichef, Tino Chrupalla, zeigte sich bei der | |
| Wahlnachlese in der Berliner Bundesgeschäftsstelle am Montag geduldig: „Der | |
| Apfel ist noch nicht reif. Aber wenn die Sonne genug scheint, können wir | |
| ihn schon bald pflücken“, sagt Chrupalla grinsend. | |
| Das Jahr der Ernte soll nach Ansicht von Chrupalla 2029 sein. Auch andere | |
| Parteistrategen visieren im Hintergrund bereits dieses Superwahljahr für | |
| eine erste Regierungsbeteiligung auf Länder- oder Bundesebene an – dann | |
| nämlich wird erneut gewählt: das EU-Parlament, der Bundestag – und der | |
| Landtag in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. | |
| Die AfD hofft, bis dahin die Brandmauer abgeräumt zu haben – unter anderem, | |
| indem sie weiter alle demokratischen Mittel nutzt, um das System von innen | |
| heraus zu bekämpfen. Dafür spannt die Partei vor allem im Osten auch das | |
| rechtsextreme politische Vorfeld außerhalb der Parlamente ein. | |
| Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen versteht sich die AfD auch als | |
| Bewegungspartei. Entsprechend fanden sich auf den | |
| Kandidat*innenlisten und in den Kommunalparlamenten Mitglieder der | |
| Identitären Bewegung, Neonazis, Reichsbürger*innen und | |
| Corona-Leugner*innen. | |
| ## Zusammenarbeit mit Freien Sachsen | |
| Durch ihre Mitarbeiter*innenauswahl finanziert die AfD zudem große | |
| Teile der rechtsextremen Szene. Mit seinem Wahlerfolg dürfte Höcke | |
| innerparteilich weitere Argumente für seinen Radikalkurs sammeln und seine | |
| [4][zuletzt eher geschwächte Machtposition] innerhalb der Gesamt-AfD | |
| stärken. Auf lange Sicht will Höcke aus der gesamten Partei eine | |
| [5][rechtsextreme Bewegungs- und Weltanschauungspartei] machen, was ihm | |
| [6][im Wahlkampf zunehmend gelungen] ist. | |
| Der sächsische Spitzenkandidat Jörg Urban war im Wahlkampf zwar etwas | |
| weniger lautstark aufgetreten und doch trennt ihn nach eigener Aussage | |
| inhaltlich nicht viel von Höcke. In Sachsen arbeitet die AfD etwa bei | |
| Protesten mit der extrem rechten Kleinpartei der Freien Sachsen zusammen. | |
| Die betreibt, angeführt von Neonazis und ehemaligen NPDlern, rassistische | |
| Hetze vor Flüchtlingsunterkünften und vor Privathäusern von Politikern. Zum | |
| erweiterten Vorfeld der AfD gehören in Sachsen auch offene Neonazigruppen | |
| wie die Elblandrevolte. | |
| Deren Mitglieder sollen unter anderem im Europawahlkampf den | |
| [7][SPD-Politiker Matthias Ecke krankenhausreif] geschlagen haben. Noch | |
| deutlich fester eingebunden sind die Aktivist*innen der rechtsextremen | |
| Identitären Bewegung, die in der AfD offiziell auf einer | |
| Unvereinbarkeitsliste stehen. Von der aber räumen mittlerweile auch | |
| AfD-Politiker intern ein, dass sie kaum noch Bedeutung entfaltet. | |
| Folgende AfD-Kandidat*innen ziehen in die Landesparlamente: | |
| ## Der rechtsextreme Polizist | |
| Torsten Czuppon, 58, ist Polizist und sitzt bereits seit 2019 im Erfurter | |
| Landtag. Ein Seminar der KZ-Gedenkstätte Buchenwald zum Thema | |
| „Geschichtsrevisionismus und Holocaustleugnung“ besuchte er im Shirt der | |
| Neonazi-Marke Thor Steinar. Die Polizei leitete ein Disziplinarverfahren | |
| ein. Czuppon erstattete daraufhin Anzeige gegen zwei Zeugen und bearbeitete | |
| die Verfahren eigenhändig. Dafür verurteilte ihn 2022 das Amtsgericht | |
| Erfurt wegen Verfolgung Unschuldiger zur Strafzahlung von 30.000 Euro. | |
| Czuppon ist damit vorbestraft. Das Disziplinarverfahren läuft noch. Er | |
| wurde im Wahlkreis Sömmerda II mit 42,8 Prozent direkt gewählt. | |
| Der Burschenschaftler | |
| Torben Braga, 33, hat öffentliches Recht studiert und gilt als | |
| einfallsreicher Jurist. Er gilt seit Jahren als Höckes rechte Hand und | |
| spielt auch in der neuen Fraktion eine Schlüsselrolle. Als ehemaliger und | |
| wohl zukünftiger parlamentarischer Geschäftsführer ist er durchaus versiert | |
| darin, Taktiken und Schlupflöcher aufzutun, um politische Blockaden zu | |
| errichten. Braga ist einer der Strippenzieher der Kemmerich-Wahl 2020 und | |
| der damit ausgelösten Verfassungskrise. Er ist Mitglied schlagender rechter | |
| Burschenschaften, wie unschwer an seinem Schmiss zu erkennen ist. Er holte | |
| das Direktmandat im Wahlkreis Altenburger Land II mit 42,8 Prozent. | |
| Die „ echte Frau“ | |
| Wiebke Muhsal, 38, hat den CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt hauchdünn | |
| besiegt. Sie saß bereits von 2014 bis 2019 im Erfurter Landtag. In ihrer | |
| ersten Legislatur wurde sie wegen Betrugs zu 8.000 Euro Strafe verurteilt. | |
| Sie hatte Arbeitsverträge vordatiert und so unrechtmäßig Geld für eine | |
| Mitarbeiterin kassiert. Für die AfD ist sie vor allem ein | |
| Social-Media-Aushängeschild und erreicht damit auch ein jüngeres Publikum. | |
| Die AfD nennt sie dort die Partei für „echte Frauen“. Mit ihren fünf | |
| Kindern bewirbt sie auf ihren Kanälen ihren zum völkischen Weltbild | |
| passenden Lebensstil. Sie gewann den Wahlkreis Saale-Holzland II mit 38,9 | |
| Prozent. | |
| ## Der völkische Richter | |
| Jens Maier, 62, zieht wieder in den Bundestag ein. Weil der sächsische | |
| Abgeordnete Mike Monczek bei der Landtagswahl erfolgreich als | |
| Direktkandidat angetreten ist, gibt er sein Mandat zurück. Für ihn rückt | |
| der suspendierte AfD-Richter und altbekannte Rechtsextremist Jens Maier | |
| nach. Maier nennt sich selbst „kleiner Höcke“ und äußerte Verständnis f… | |
| den norwegischen Rechtsterroristen Breivik, der schließlich nur „aus | |
| Verzweiflung über Kulturfremde im Land zum Massenmörder geworden“ sei. | |
| Ansonsten redete Maier vom Schuldkult und lobpries die NPD als „einzige | |
| Partei, die immer entschlossen zu Deutschland gestanden hat“. | |
| ## Das radikale Rundumpaket | |
| Jörg Urban, 60, gibt sich gern bürgerlich-konservativ, seine Positionen | |
| sind allerdings überaus radikal: Der sächsische Landesvorsitzende ist | |
| regelmäßiger Gast beim ehemaligen Institut für Staatspolitik des | |
| rechtsextremen Strategen Götz Kubitschek. Urban hielt vielfach rassistische | |
| Reden, trat bei Pegida auf, spricht vom „Bevölkerungsaustausch“ und raunt | |
| antisemitisch von „Globalisten in Politik, Medien und Konzernen“. Das Volk | |
| will er „homogen“ halten und das „derzeitige Regime“ zum „Einsturz | |
| bringen“. Ach so: Putinfreundlich und islamfeindlich ist Urban natürlich | |
| auch. Er klagte erfolglos dagegen, Neonazi genannt zu werden. Urban wurde | |
| als Direktkandidat im Wahlkreis Bautzen 5 mit 42,4 Prozent gewählt. | |
| ## Der Mann fürs Grobe | |
| Arthur Österle, 51, war beim Sturm auf den Reichstag 2020 dabei und lief | |
| bei der neonazistischen Kleinstpartei III. Weg mit. 2020 war es noch ein | |
| Skandal, dass der damalige Bundestagsabgeordnete Ulrich Oehme den | |
| „bekannten Rechtsextremen“ als Personenschützer eingestellt hatte. Zuvor | |
| war er Chefordner des extrem rechten „Bürgerbündnisses“ Pro Chemnitz. Sie | |
| sind bekannt für rassistische Gewalttaten. Bisher war er für „Sicherheit“ | |
| auf AfD-Parteitagen zuständig. Österle trägt strammen Scheitel und | |
| Rauschebart, sein Facebook-Profilbild zeigt ihn beim Trinken aus einem mit | |
| Runen verzierten Trinkhorn. Er hat seinen Wahlkreis Erzgebirge 5 mit 38,3 | |
| Prozent gewonnen. | |
| ## Der Soldat mit Ehrenkreuz | |
| André Wendt, 52, war in der vergangenen Legislatur Vizepräsident im Landtag | |
| und nahm als Berufssoldat an mehreren Auslandseinsätzen teil. Dafür bekam | |
| er das Ehrenkreuz. Weniger ehrenhaft: Im Landtag erkundigte er sich per | |
| Anfrage nach den Kosten für die Sterilisation „unbegleiteter minderjähriger | |
| Ausländer“ und befürchtete, dass „Homosexuelle aus aller Welt“ an „un… | |
| Geldtöpfe“ dürften. Er nahm an Pegida-Demos teil und sprach von einer | |
| „rechtswidrigen Flutung Europas, Deutschlands und Sachsens mit Millionen | |
| Menschen, darunter viele Analphabeten, Kriminelle, Antisemiten, Islamisten, | |
| Vergewaltiger, Messerstecher und Armutsmigranten“. Er zieht über die | |
| Landesliste in den Landtag. | |
| 3 Sep 2024 | |
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