| # taz.de -- Wahl der VerfassungsrichterInnen: Was Brosius-Gersdorf vorgeworfen … | |
| > Manche in der CDU/CSU wollen die Rechtsprofessorin Frauke | |
| > Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin verhindern. Doch die Gründe | |
| > überzeugen nicht. | |
| Bild: Keine Radikale: Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf | |
| Freiburg taz | Die SPD hält an der Rechtsprofessorin Frauke | |
| Brosius-Gersdorf als Kandidatin für das Amt einer Verfassungsrichterin | |
| fest. Ihre Wahl [1][war am Freitag] auf Wunsch der CDU/CSU von der | |
| Tagesordnung des Bundestags genommen worden. Allerdings hat die SPD für | |
| diesen Richterposten das Vorschlagsrecht und die CDU/CSU kann einen | |
| Vorschlag nach der üblichen Praxis nur ablehnen, wenn die vorgeschlagene | |
| Person oder die von ihr vertretenen Inhalte völlig inakzeptabel sind. Dafür | |
| gibt es keine Anzeichen. | |
| Doktorarbeit: Vordergründing ging es der Union am Freitag um mögliches | |
| wissenschaftliches Fehlverhalten. Der österreichische „Plagiatsjäger“ | |
| Stefan Weber hatte 23 Textstellen in der Doktorarbeit von Brosius gefunden, | |
| die mit der Habilitationsschrift ihres Mannes Hubertus Gersdorf | |
| übereinstimmen. Inzwischen hat Weber klargestellt, dass er Brosius-Gersdorf | |
| keinen Plagiatsvorwurf macht. Es ist auch keineswegs naheliegend, dass sie | |
| in den 1990er-Jahren bei der Arbeit ihres Mannes abgeschrieben hat, denn | |
| sie hat ihre Arbeit zuerst veröffentlicht. Wahrscheinlicher ist, dass das | |
| damals schon verheiratete Paar manche Gedanken gemeinsam entwickelt hat, | |
| ohne das ausreichend zu kennzeichnen. Falls sich dieser Lapsus überhaupt | |
| belegen lässt, dürfte er Brosius-Gersdorf nicht unwählbar machen. | |
| Abtreibung: In Wirklichkeit ging es der CDU/CSU aber vor allem um | |
| Brosius-Gersdorfs Position zu Schwangerschaftsabbrüchen. Die | |
| Rechtsprofessorin war in der letzten Wahlperiode [2][Mitglied einer | |
| Regierungskommission], die eine mögliche Reform des Abtreibungsrechts | |
| prüfen sollte. Brosius-Gersdorf verfasste dabei das Kapitel zu den | |
| verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen und kam zum Schluss, dass eine | |
| weitgehende Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nicht gegen das | |
| Grundgesetz verstoßen würde. | |
| ## Gegen die bisherige Rechtsprechung | |
| Damit stellte sie sich gegen die bisherige Rechtsprechung des | |
| Bundesverfassungsgerichts, das 1975 und 1993 verlangte, dass | |
| Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten und als „Unrecht“ | |
| eingestuft sein müssen. Daraus folge eine grundsätzliche „Pflicht“ der | |
| Frau, „das Kind auszutragen“. Diese Grundannahmen des Karlsruher Gerichts | |
| gerieten etwas in Vergessenheit, weil das Gericht dem Gesetzgeber immerhin | |
| erlaubte, Abtreibungen in den ersten 12 Wochen „straffrei“ zu lassen, wenn | |
| die Frau eine Lebensschutz-Beratung erhalten hat. | |
| Heute, mehr als 30 Jahre später, würde das Bundesverfassungsgericht, aber | |
| wohl auch ohne Brosius-Gersdorf anders argumentieren, wenn es entsprechende | |
| Fälle gäbe. Schließlich ist der Frauenanteil am BVerfG heute deutlich höher | |
| und auch in der Gesellschaft gilt das Selbstbestimmungsrecht der Frau über | |
| ihren Körper mehr als damals. Möglicherweise würde Brosius-Gersdorf mit | |
| ihrer Position in Karlsruhe offene Türen einrennen. | |
| Brosius-Gersdorf argumentierte im Kommissionsbericht, dass es gute Gründe | |
| gebe, dem Embryo/Fetus nicht den Schutz der unabwägbaren Menschenwürde | |
| zuzusprechen, sondern erst dem geborenen Menschen. Allerdings solle der | |
| Embryo/Fetus grundrechtlich nicht schutzlos sein. Für ihn soll Artikel 2, | |
| das Grundrecht auf Leben, gelten. Je näher die Geburt rückt, um so stärker | |
| solle der grundrechtliche Schutz des Ungeborenen in der Abwägung mit den | |
| Grundrechten der Schwangeren sein. Spätabtreibungen sollen deshalb | |
| grundsätzlich rechtswidrig bleiben, so Brosius-Gersdorf. | |
| ## Polemische Fehlinterpretation | |
| Es ist also eine polemische Fehlinterpretation, dass Brosius-Gersdorf | |
| ungeborene Kinder rechtlos stellen will. Sie will verfassungsrechtlich vor | |
| allem die Rechte der Frau gegenüber dem Ungeborenen stärken, insbesondere | |
| in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft. Dieses Ziel ist in der | |
| Rechtswissenschaft keineswegs randständig und angesichts der bisher wenig | |
| frauenfreundlichen Karlsruher Rechtsprechung durchaus angemessen. Ein Veto | |
| gegen Brosius-Gersdorf kann die Union hierauf schwerlich stützen. | |
| Impfpflicht: Als es im dritten Jahr der Pandemie endlich einen Impfstoff | |
| gegen Covid gab, diskutierte die Gesellschaft auch über eine Impfpflicht. | |
| Brosius-Gersdorf hielt eine Impfpflicht, wie die meisten | |
| Rechtsprofessor:innen, für verfassungskonform, da die Interessen der | |
| Allgemeinheit den Grundrechtseingriff rechtfertigten. Eingeführt wurde dann | |
| aber keine allgemeine Impfpflicht, sondern nur eine kurzzeitige Impfpflicht | |
| für den Gesundheits- und Pflegesektor. | |
| Brosius-Gersdorf ging damals allerdings weiter als ihre Fachkolleg:innen. | |
| Sie hielt es sogar für denkbar, dass es eine „verfassungsrechtliche Pflicht | |
| zur Einführung einer allgemeinen Impfpflicht“ gebe. Der Gesetzgeber hätte | |
| dann gar keine Wahl gehabt, er hätte eine Impfpflicht einführen müssen, um | |
| die Gesellschaft zu retten. Nun, im Nachhinein, hat man gesehen, dass die | |
| Pandemie auch ohne allgemeine Impfpflicht beendet werden konnte. Es ist | |
| verfassungsrechtlich auch unüblich, aus Schutzpflichten des Gesetzgebers so | |
| konkrete Handlungspflichten abzuleiten. Allerdings wollte Brosius-Gersdorf | |
| über diese Position auch nur „nachdenken“ und hat sie nicht mit Nachdruck | |
| vertreten. Sie hat sich damit also nicht „unwählbar“ gemacht, wie jedoch | |
| die Brandenburger CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig postulierte. | |
| ## Vom Grundgesetz gedeckt | |
| AfD-Verbot: Vorgeworfen wird Brosius-Gersdorf auch, dass sie im Vorjahr in | |
| der Talk-Show von Markus Lanz für ein AfD-Verbotsverfahren plädiert hat, | |
| „wenn es genügend Material gibt“. Es ist unklar, warum diese Position gegen | |
| Brosius-Gersdorf als Verfassungsrichterin sprechen soll, denn sie ist vom | |
| Grundgesetz gedeckt, das eine „Wehrhafte Demokratie“ vorsieht und | |
| Parteiverbote ausdrücklich ermöglicht. | |
| Bei einem AfD-Verbotsverfahren wäre Brosius-Gersdorf vermutlich nicht | |
| einmal befangen. Denn die Entscheidung, ob ein Verbotsantrag gestellt wird, | |
| muss politisch entschieden werden, insbesondere im Bundestag. Wie das | |
| Gericht dann letztlich entscheidet, ist eine rechtliche Frage. bei der sich | |
| die Professorin mit ihren Lanz-Äußerungen nicht festgelegt hat. | |
| Wie geht es nun weiter? Die Grünen haben eine Sondersitzung des Bundestags | |
| in der anstehenden Woche gefordert, um die Wahl von Brosius-Gersdorf (und | |
| der beiden anderen Kandidat:innen Günter Spinner und Ann-Katrin | |
| Kaufhold) nachzuholen. Die Koalition ist aber wohl noch nicht soweit. | |
| Bundestagspräsidentin Julia Klöckner sprach von einem neuen Anlauf in der | |
| nächsten Sitzungswoche. Das wäre ab dem 10. September. | |
| ## Miersch: keine „ultralinke Aktivistin“ | |
| SPD-Fraktions-Chef Matthias Miersch hat der Union angeboten, dass | |
| Brosius-Gersdorf sich vorher den Fragen der CDU/CSU-Abgeordneten stellt, um | |
| zu zeigen, dass sie keine „ultralinke Aktivistin“ ist, wie manche | |
| CDU/CSU-Abgeordneten behaupteten. Auf diesen Vorschlag ist die Union | |
| zunächst nicht eingegangen. | |
| 13 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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