| # taz.de -- Ergebnis der Sondierungen: Auf dem Rücken der Schwächsten | |
| > Auf den ersten Blick konnte die SPD einiges durchsetzen, wie 15 Euro | |
| > Mindestlohn. Doch das täuscht und der Preis ist hoch: Solidarität muss | |
| > dran glauben. | |
| Bild: Für eine Koalition mit Union verkauft die SPD einen Teil ihrer Seele | |
| Berlin taz | Die Verstimmung in der Union war groß, als die | |
| Sondierungsteams von Schwarz und Rot in der vergangenen Woche eine erste | |
| Einigung in Finanzfragen vorstellten: Diese trug klar die Handschrift der | |
| SPD. [1][CDU-Politiker forderten, nun müsse die SPD Zugeständnisse machen.] | |
| Und das hat sie getan, wie das am Samstag vorgestellte Gesamtergebnis der | |
| Sondierungen zeigt. | |
| Für die, wie Parteichef Lars Klingbeil sie nennt, „hart arbeitende Mitte“, | |
| konnten er und die anderen acht sozialdemokratischen Verhandler:innen | |
| zwar Punkte herausholen. Der wohl wichtigste: Aufträge der öffentlichen | |
| Hand sollen nur noch an Firmen vergeben werden, die nach Tarif zahlen. | |
| Dafür soll ein Bundestariftreuegesetz sorgen. Ein Vorhaben, das in der | |
| Ampel an der FDP gescheitert war. Gerade im Osten Deutschlands, [2][wo 56 | |
| Prozent der Arbeitnehmer:innen ohne Tarifvertrag arbeiten,] dürfte | |
| sich das günstig auf die gesamte Lohnentwicklung auswirken. | |
| Einen nur symbolischen Erfolg hat die SPD beim Mindestlohn von 15 Euro | |
| errungen, einer Kernforderung im Wahlkampf. Laut Sondierungspapier sei ein | |
| Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 erreichbar. Doch tatsächlich will die | |
| Politik die Festlegung wie bisher der Mindestlohnkommission überlassen. Für | |
| den Fall, dass die [3][Arbeitgeberseite wie 2023 nur eine Minimalerhöhung | |
| gegen das Arbeitnehmerlager durchdrückt], ist kein politisches Handeln | |
| beschrieben. Im Gegenteil: „An einer starken und unabhängigen | |
| Mindestlohnkommission halten wir fest“, heißt es. Also bitte keine | |
| Einmischung. | |
| Der Druck auf die Beschäftigten soll dagegen erhöht werden. Die tägliche | |
| Höchstarbeit soll durch eine wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzt werden. | |
| Start frei für den 16-Stunden-Tag! Dafür sollen Überstunden aber steuerfrei | |
| sein. Beide Vorschläge kommen aus der Union, | |
| Gewerkschaftsvertreter:innen hatten beides heftig kritisiert. | |
| „Verrückte Ideen wie steuerfreie Überstunden laden gerade dazu ein, | |
| entweder Vollzeitarbeit zu verdrängen oder die geschlechterungleiche | |
| Verteilung von Arbeit noch weiter anzukurbeln“, meinte die DGB-Vorsitzende | |
| und ehemalige SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi dazu schon vor knapp | |
| einem Jahr. | |
| ## Die Rente ist sicher – aber welche? | |
| Immerhin haben sich die Sondierer:innen darauf geeinigt, das | |
| Rentenniveau zu sichern, was der SPD im Wahlkampf sehr, sehr wichtig war. | |
| Allerdings findet sich die Untergrenze von 48 Prozent als Zahl nicht im | |
| Sondierungsergebnis. Auch fehlt der Verweis, dass es sich um das | |
| gesetzliche Rentenniveau handelt. Da wird in den Koalitionsverhandlungen | |
| wohl noch viel um Formulierungen gefeilscht. | |
| Vielleicht können die Arbeitnehmer:innen ja schon bald mehr für die | |
| private Rente ansparen – diese soll reformiert werden. Denn Union und SPD | |
| bekennen sich dazu, „die breite Mittelschicht durch eine | |
| Einkommensteuerreform (zu) entlasten und die Pendlerpauschale (zu) | |
| erhöhen“. Gegenfinanzierung? Fehlanzeige. Dass Topverdienende und | |
| Millionenerb:innen sich stärker beteiligen sollen, wie es die SPD | |
| wollte, ist laut Sondierungspapier nicht geplant. | |
| Immobilienhaie können aufatmen, [4][die weitgehend wirkungslose | |
| Mietpreisbremse] wird nicht verschärft, sondern soll nur zwei Jahre | |
| verlängert werden. | |
| ## Aus Bürgergeld wird Hartz IV | |
| Ihre überschaubaren Erfolge haben die Sozialdemokrat:innen teuer | |
| erkauft. Und Dinge preisgegeben, die sie in der Vergangenheit unter | |
| Schmerzen erarbeitet haben und die fachlich eigentlich unstrittig sind. So | |
| soll das Bürgergeld praktisch zu Hartz IV rückabgewickelt und der | |
| „Vermittlungsvorrang“ wieder eingeführt werden. Das würde bedeuten, dass | |
| Leistungsempfänger:innen in jeden miesen Job vermittelt werden | |
| können, egal, ob sie gerade eine Aus- oder Fortbildung machen. Nachhaltig | |
| ist das sicher nicht, aber man kann Menschen so gehörig unter Druck setzen. | |
| Wer „zumutbare Arbeit“ wiederholt verweigert, dem soll das Geld komplett | |
| gestrichen werden. Ob das rechtlich überhaupt durchsetzbar ist, ist | |
| zweifelhaft. Zudem sind die sogenannten [5][Totalverweigerer unter allen | |
| Bürgergeldempfänger:innen mit 0,4 Prozent] eine Splittergruppe. Aber | |
| das Signal an alle Leistungsempfänger:innen ist deutlich: Die faulen | |
| Langzeitarbeitslosen sollen endlich ihre Hängematten verlassen und | |
| arbeiten. Populismus wirkt. | |
| Die Solidarität mit den vulnerabelsten Gruppen der Gesellschaft hat die SPD | |
| auch beim Thema Migration aufgegeben. Nicht nur, dass die Union jetzt | |
| behaupten darf, künftig gebe es Zurückweisungen von Asylsuchenden an der | |
| Grenze – „in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn“ freilich, was | |
| vermuten lässt, dass es eben nicht so einfach geht. Auch der | |
| Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte soll bis auf Weiteres | |
| ausgesetzt werden. Das heißt, Menschen, die nachweisbar vor Krieg und | |
| Gewalt geflüchtet sind und als anerkannte Flüchtlinge in Deutschland leben, | |
| sollen künftig auf unbestimmte Zeit von ihren Familien abgeschnitten | |
| werden. Das ist weder human noch integrationsfördernd. | |
| ## Solidarität mit afghanischen Frauen passé | |
| Etwas unter dem Radar, aber genauso beschämend ist, dass die | |
| Sozialdemokraten einwilligten, dass freiwillige Aufnahmeprogramme, etwa für | |
| Menschen, die in Afghanistan verfolgt sind, beendet werden. Ein Land, in | |
| dem Mädchen und Frauen weder weiterführende Schulen noch Hochschulen | |
| besuchen dürfen, wo sie jederzeit zwangsverheiratet werden können und sich | |
| in der Öffentlichkeit nicht mehr zu Wort melden dürfen. | |
| [6][Verschleppt wurden die freiwilligen Aufnahmen von der | |
| sozialdemokratischen Innenministerin Nancy Faeser] ohnehin schon, es kamen | |
| kaum noch Menschen nach Deutschland. In dem Flugzeug, das vor einer Woche | |
| mit 132 Afghan:innen landete, saßen laut Bundesinnenministerium 74 | |
| Frauen und 58 Männer. 57 von ihnen waren minderjährig, davon sieben Kinder | |
| unter zwei Jahren. Ausgerechnet am Internationalen Frauentag hat die SPD | |
| nun den Weg dafür frei gemacht, dass eine Flucht nach Deutschland für | |
| Mädchen und ihre Familien künftig nicht mehr möglich sein soll. | |
| So wenig Rückgrat muss man sich als Sozialdemokrat:in vermutlich hart | |
| erarbeiten. Die Union kann dagegen mit breiter Brust in die | |
| Koalitionsverhandlungen gehen. Einige ihrer populistischen Wahlversprechen | |
| werden wahrscheinlich bald umgesetzt. | |
| 9 Mar 2025 | |
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| [2] https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dime… | |
| [3] /Erhoehung-des-gesetzlichen-Mindestlohns/!5942909 | |
| [4] /App-gegen-Mietwucher/!6065703 | |
| [5] /Neue-Zahlen-zum-Buergergeld/!6003214 | |
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| Anna Lehmann | |
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