# taz.de -- Schwarz-rote Sondierungen: Auf der Suche nach Milliarden | |
> Größter Knackpunkt in angespannten Zeiten: der Bundeshaushalt. Kommt die | |
> Reform der Schuldenbremse oder ein neues Sondervermögen? | |
Bild: Bis Ostern soll’s was geben – wenn es nach Friedrich Merz geht, eine … | |
Berlin taz | Am Tag nach der Wahl sorgt Friedrich Merz für Verwirrung, | |
wieder einmal. In der CDU-Zentrale fragt eine Journalistin den | |
Kanzlerkandidaten der Union nach der Sperrminorität, die AfD und Linke im | |
Bundestag künftig hätten. Und: Ist eine Reform der Schuldenbremse oder ein | |
neues Sondervermögen für die Bundeswehr noch mit der alten | |
Bundestagsmehrheit möglich? Merz sagt, darüber wolle er zunächst mit SPD, | |
Grünen und FDP sprechen. | |
„Der 20. Deutsche Bundestag ist bis zum 24.3. im Amt. Wir haben also noch | |
vier Wochen Zeit, darüber nachzudenken.“ Die Medienleute in der | |
CDU-Zentrale gucken irritiert. Merz hatte vor der Wahl eine Reform der | |
Schuldenbremse verhindert. Und jetzt schließt er nicht mehr aus, sie | |
durchzusetzen – mit der alten Bundestagsmehrheit? | |
Einen Tag lang beschäftigt diese Frage das politische Berlin. Nach und nach | |
treten mehrere Unionspolitiker zum Dementi an. Am Dienstagnachmittag stellt | |
Merz selbst klar: Eine schnelle Reform der Schuldenbremse wird es nicht | |
geben. Ein neues Sondervermögen aber schließt er nicht aus. | |
Friedrich Merz wird aller Wahrscheinlichkeit nach der nächste | |
Bundeskanzler. Der 69-Jährige ohne Regierungserfahrung inszeniert sich gern | |
als entschlossen und tatkräftig, als Mann mit einem klaren Plan. Weniger | |
Staat, mehr Markt, so will er die Wirtschaft ankurbeln. Mit Härte die | |
Migrationszahlen senken. Mit ihm als Kanzler soll die EU wieder | |
handlungsfähig werden. Doch immer wieder wirkt Merz sprunghaft, unüberlegt. | |
So, als würde er die Dinge nicht bis zum Ende denken. | |
## SPD einzige Option zur Macht für Merz | |
Am Samstag vor der Wahl hat er die SPD noch mal so richtig gegen sich | |
aufgebracht: Er werde künftig Politik für eine Mehrheit der Bevölkerung | |
machen, die noch „alle Tassen im Schrank“ habe, und nicht für „irgendwel… | |
grünen und linken Spinner“. Vergangene Woche kam die Kleine Anfrage hinzu, | |
mit der die Unionsfraktion [1][zivilgesellschaftliche Initiativen unter | |
Druck] setzen will. Merz hat dem noch amtierenden Kanzler Olaf Scholz ein | |
Schreiben zukommen lassen, er solle keine wichtigen Entscheidungen mehr | |
ohne ihn treffen. Am Freitag haben die Sondierungen zwischen Union und SPD | |
begonnen. Der CDU-Mann muss jetzt auf die SPD zugehen. Zusammenführen statt | |
spalten. Aber kann er das? | |
[2][Die Sozialdemokrat*innen sind seine einzige Option für die | |
Macht.] Das Problem: Viele von ihnen misstrauen Merz zutiefst. Doch die | |
Basis muss am Ende einem Koalitionsvertrag zustimmen. Und so hängt es auch | |
davon ab, ob Merz und [3][Lars Klingbeil] miteinander können. Klingbeil hat | |
für die SPD bereits zweimal Koalitionsverhandlungen geführt. Noch in der | |
Wahlnacht hat er nach dem Fraktionsvorsitz gegriffen, sich Beinfreiheit | |
gesichert. Klingbeil ist ein gewiefter Machtpolitiker. Hinzu kommt: Hinter | |
ihm steht eine gedemütigte und hoch verunsicherte Partei. | |
Die Union will bis Ostern eine Regierung bilden. Der Druck ist groß, auch | |
auf die SPD: Die hohen Zustimmungswerte für die AfD, die Wirtschaftsflaute, | |
die prekäre internationale Lage nach dem Wahlsieg von Trump und dessen | |
Annäherung an Putin, die schlecht aufgestellte EU, all das schreit nach | |
einer schnellen Regierungsbildung. | |
In den Sondierungsgesprächen wird es zunächst ums Geld gehen, denn davon | |
braucht die neue Koalition sehr viel. Allein um das Nato-Ziel von 2 Prozent | |
des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung zu erfüllen, sind 80 Milliarden | |
Euro jährlich notwendig. Ebenso für die Unterstützung der Ukraine, sollten | |
sich die USA wirklich zurückziehen. Hinzu kommen Hunderte Milliarden, die | |
in die Infrastruktur investiert werden müssen, in Brücken, Digitalisierung, | |
die Bahn. Aus dem Bundeshaushalt lässt sich das nicht finanzieren, da | |
klafft schon ein großes Loch. An dem war die Ampel zerbrochen. | |
## Knackpunkt Finanzen | |
Die SPD will eine [4][Reform der Schuldenbremse], so steht es in ihrem | |
Wahlprogramm. Doch auch, wenn die Union hierfür die Tür ein bisschen | |
geöffnet hat: Kurzfristig wird das wohl nichts. Zumal man dafür das | |
Grundgesetz ändern muss, was eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag braucht. | |
Gleiches gilt für die Aufstockung des [5][Sondervermögens für die | |
Bundeswehr.] Dazu bräuchte Schwarz-Rot künftig nicht nur die Stimmen der | |
Grünen, sondern auch der Linken. Und mit denen tut sich die Union | |
bekanntlich schwer. | |
Also doch ein Manöver mit der alten Bundestagsmehrheit? SPD-Chefverhandler | |
Klingbeil hat Offenheit signalisiert. Man habe ein Interesse an der | |
Stärkung der Bundeswehr und wolle viel mehr Investitionen. Doch er bekommt | |
Druck vom linken SPD-Flügel. Co-Chefin Saskia Esken, Teil des neunköpfigen | |
Sondierungsteams, schließt ein solches Schnellverfahren aus: „Das zeigt | |
keinen Respekt vor den Wählerinnen und Wählern.“ Zudem warnen | |
Genoss*innen davor, nur ein Sondervermögen einzurichten und die | |
Schuldenbremse unangetastet zu lassen – denn investiert werden müsse | |
überall. | |
Die Wirtschaft will die Union vor allem mit Erleichterungen für Unternehmen | |
ankurbeln, die Energiepreise sollen runter, Unternehmensteuern sollen auf | |
maximal 25 Prozent gesenkt werden. Bei der Einkommensteuer streben CDU und | |
CSU eine Abflachung des Tarifs an, die Einkommensgrenze für den | |
Spitzensteuersatz soll deutlich steigen. Profitieren würden vor allem die, | |
die ohnehin schon viel haben. Die Finanzierung: bislang ungeklärt. | |
Die SPD dagegen will Entlastungen mit höheren Steuersätzen für Topverdiener | |
gegenfinanzieren und an Millionenerb*innen und große Vermögen ran. | |
Dazu einen Deutschlandfonds für Investitionen in die Infrastruktur, die | |
Wirtschaft will man mit Steuerprämien für Investitionen begeistern. Ihr | |
Steuer- und Finanzkonzept hat die SPD schon 2023 erarbeitet, Leiter der | |
Arbeitsgruppe war: Lars Klingbeil. | |
## Merz hat rhetorisch abgerüstet | |
Die Finanzen sind der größte Knackpunkt in den Verhandlungen zwischen Union | |
und SPD. Gibt es hier eine Einigung, wird der Rest deutlich einfacher – in | |
manchen Bereichen deuten sich Kompromisse bereits an. Beim Thema Migration | |
etwa. Hier hatte die Union mit Merz’ Fünfpunkteplan und seiner | |
kompromisslosen Rhetorik zuletzt einen Radikalkurs eingeschlagen. Die SPD | |
setzt allerdings längst ebenfalls auf Abschreckung und Abschiebung. | |
Innenministerin Nancy Faeser hat schon vor der Wahl deutlich gemacht, dass | |
sie ihre Partei und die Union bei Zuwanderung nicht weit auseinander sieht. | |
Merz hat zudem rhetorisch zuletzt abgerüstet. Eine seiner fünf Forderungen | |
hat er bereits selbst abgeräumt: alle 40.000 Menschen, die vollziehbar | |
ausreisepflichtig sind, in Abschiebehaft zu stecken. Als Hauptstreitpunkt | |
bleibt die Zurückweisung von Geflüchteten an der Grenze, was die SPD | |
europarechtlich für nicht zulässig hält. Auf Nachfrage sagt Merz nun nicht | |
mehr, das er das Innenministerium am ersten Tag seiner Kanzlerschaft | |
entsprechend anweisen werde. Er sagt: Er sei sicher, auch die SPD sei an | |
Lösungen interessiert. Und verweist auf den Brandenburger | |
Koalitionsvertrag, wo von allen „geeigneten und rechtssicheren Maßnahmen“ | |
zur Eindämmung „illegaler und irregulärer Migration“ die Rede ist. Ein | |
Formelkompromiss. | |
Auch beim Bürgergeld könnte die Einigung leichter werden als gedacht. Im | |
Wahlkampf forderte die Union: abschaffen! Jetzt ist von einem neuen Namen | |
die Rede, sogenannten Totalverweigerern will sie die Bezüge vollständig | |
streichen. Das betrifft nur eine sehr kleine Gruppe. Trotzdem will die | |
Union hier Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht in Kauf nehmen, das eine | |
komplette Streichung verworfen hatte. „Neue Grundsicherung? Ein neuer Name, | |
meinetwegen“, heißt es in der SPD. Aber es gibt Befürchtungen, dass die | |
Union den Vermittlungsvorrang wieder einführen will, also | |
Bürgergeldbezieher*innen zur Arbeit verpflichten, egal ob diese | |
gerade eine Aus- oder Weiterbildung machen. Das ist mit der SPD nicht zu | |
machen, berührt es doch den Kern der Reform. | |
## Welche Rolle spielt die Weltlage? | |
Beim Thema Rente könnte es Konflikte geben. Die SPD will ein Rentenniveau | |
von mindestens 48 Prozent dauerhaft garantieren, CDU und CSU wollen, viel | |
flexibler, Rentenniveau und Beitragssatz „durch wirtschaftliches Wachstum“ | |
stabil halten. Wichtig für die SPD: Der Mindestlohn soll auf 15 Euro | |
spätestens ab 2026 steigen. Die Ampel hat den Mindestlohn eigenhändig | |
erhöht, ein No-go für die Union. Sie will die Entscheidung bei der | |
unabhängigen Mindestlohnkommission belassen. Die wird Mitte des Jahres | |
einen neuen Vorschlag erarbeiten. Den könnte man erst einmal abwarten. | |
Seit der Wahl hat Merz ein neues Thema scharfgestellt: eine Korrektur der | |
Wahlrechtsreform der Ampel. Ohne die hätte die Unionsfraktion 18 | |
Abgeordnete mehr. „Ein solches Wahlrecht beschädigt die Demokratie“, sagte | |
Merz. „Das muss auch Gegenstand der Koalitionsvereinbarung sein.“ | |
Aber daran angesichts der Weltlage eine Koalition scheitern lassen? Am | |
Freitagnachmittag sprachen die Sondierer*innen von einer „offenen und | |
konstruktiven“ Runde – die Gespräche gehen in der kommenden Woche weiter. | |
Dennoch: Ein Selbstläufer werden die Sondierungen zwischen Union und SPD | |
auf keinen Fall. | |
28 Feb 2025 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Sabine am Orde | |
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