# taz.de -- Debatte über Schuldenbremse: Woher kriegt die neue Regierung ihre … | |
> Selbst die Union ist nun bereit, mehr Geld auszugeben – wenn auch nur | |
> über ein neues Sondervermögen. Aber es gibt auch Alternativen. | |
Bild: Baustelle an der Rahmedetalbrücke in Lüdenscheid | |
Berlin taz | Noch bevor der neue Bundestag zusammentritt, erwägt Friedrich | |
Merz offenbar, ein neues Sondervermögen für die Bundeswehr zu | |
verabschieden. Im alten, höchstens 30 Tage nach der Wahl noch bestehenden | |
Bundestag bräuchte er dafür keine [1][Stimmen von Linkspartei] oder AfD, im | |
neuen schon. | |
Nötig sind diese Verrenkungen [2][wegen der Schuldenbremse,] welche die | |
Unionsfraktion nicht antasten will: Die Bundesregierung darf ihr zufolge | |
nur Schulden in Höhe von 0,35 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung | |
aufnehmen – eine weitgehend willkürlich gesetzte Zahl. Das hemmt | |
Investitionen in Verteidigung, [3][Infrastruktur und Klimaschutz]. | |
Die Denkfabrik Dezernat Zukunft (DZ) hat [4][nun einen Reformvorschlag | |
vorgelegt]. Die 0,35 Prozent sollen wegfallen, doch der Staat darf sich | |
nicht unbegrenzt verschulden. | |
Ein Sondervermögen, sagt DZ-Ökonom Florian Schuster-Johnson, reiche einfach | |
nicht. „Es gibt ja auch noch andere Investitionsbedarfe: Infrastruktur, | |
Klima, Daseinsvorsorge zum Beispiel.“ Das neue Sondervermögen soll nur | |
Rüstungsinvestitionen decken. | |
Die bisherige Schuldenregelung, schreiben die DZ-Autor*innen, „reguliert | |
die Finanzpolitik im Blindflug“: Sie berücksichtigt weder die Zinsen, die | |
der Staat zahlt, noch das Wachstum durch kreditfinanzierte Investitionen. | |
„Unser Vorschlag schaut auf die realen wirtschaftlichen Bedingungen“, sagt | |
Schuster-Johnson. | |
## Orientierung an europäischer Schuldenregel | |
Denn wenn die Wirtschaft besser läuft, steigen die Steuereinnahmen. Aus | |
diesen Einnahmen lassen sich die Zinsen für staatliche Investitionen | |
bezahlen. | |
Nimmt der Staat Schulden auf, um das „Produktionspotenzial der Wirtschaft“ | |
zu steigern, kann er aus den Krediten herauswachsen: Investiert er in | |
Schienen, fördert bessere Maschinen oder sorgt für gut ausgebildete | |
Arbeitskräfte, kann die Wirtschaft mehr leisten. | |
Unter der aktuellen Schuldenbremse muss der Staat das nötige Geld anderswo | |
einsparen, die Kosten werden sofort getragen. Sichtbar wird das in maroden | |
Schulen und der kollabierenden Bahn. Nimmt der Staat Schulden auf, verteilt | |
er die Kosten auf zukünftige Generationen, die von der verbesserten | |
Infrastruktur profitieren. | |
„Grundsätzlich begrüßenswert“ findet das Tobias Hentze, Ökonom beim | |
arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Eine flexiblere | |
Schuldenregel, die auch Wachstum und Zinsen berücksichtigt, sei sinnvoll. | |
Die europäischen Schuldenregeln begrenzen zugleich die Kreditaufnahme für | |
Deutschland auch ohne die 0,35-Prozent-Regel auf etwa 1,8 Prozent des BIP. | |
„Das würde die Schleusen für übermäßige Verschuldung auch nach unseren | |
Berechnungen nicht öffnen“, sagt Hentze. | |
## Was sind gute Schulden? | |
Das Problem liegt woanders: Laut DZ-Vorschlag sollen nur „produktive“ | |
Staatsausgaben erlaubt sein, also solche, die die Wirtschaft produktiver | |
machen. Doch festzustellen, welche Ausgaben produktiv sind, „ist alles | |
andere als einfach“. Ökonom*innen seien sich uneinig, wie produktiv | |
Subventionen sind. | |
Das ist dem DZ bewusst. Die Studienautor*innen schlagen vor, dass | |
jede Regierung per Gesetz festlegt, wie sie zwischen Wachstum und | |
Zinskosten abwägt – der Bundestag bestimmt, was eine produktive Ausgabe | |
ist. Damit hätte das Parlament mehr Freiheiten als unter der | |
0,35-Prozent-Grenze. Damit die Abgeordneten aber nicht willkürlich | |
definieren, soll ein unabhängiger Rat aus | |
Wirtschaftswissenschaftler*innen die Haushaltsregel kontrollieren. | |
„Es lässt sich gut nachvollziehen, dass man in der derzeitigen Lage dem | |
Parlament weitreichende Möglichkeiten einräumen will“, sagt Achim Truger, | |
Mitglied der sogenannten Wirtschaftsweisen. „Mit einer konkreten Zahl als | |
Schuldenregel kann man sich ökonomisch ein Eigentor schießen.“ | |
Truger ist aber skeptisch, ob die unabhängigen Kontrolleur*innen | |
tatsächlich unabhängig sein können: „Diejenigen, die Staatsverschuldung | |
extrem kritisch sehen, finden vielleicht alles unproduktiv und könnten das | |
Parlament gängeln.“ Auch das Gegenteil sei möglich: „Je nach Messlatte ka… | |
man alles oder nichts als produktiv bezeichnen.“ | |
DZ-Studienautor Schuster-Johnson widerspricht: Das Gremium habe nur | |
beratende Funktion. Aus seiner Analyse und den Berechnungen der | |
Bundesregierung könne sich die Öffentlichkeit ihr eigenes Bild machen. | |
„Derzeit wird überhaupt nicht evidenzbasiert untersucht, wie ökonomisch | |
sinnvoll einzelne Ausgaben sind.“ | |
## SPD-Chefin Esken will kein Schnellverfahren | |
In den kommenden Wochen wird wohl darüber gestritten, wie viel zusätzliches | |
Geld eine mögliche Koalition aus Union und SPD in die Hand nehmen kann – | |
und auf welchem Weg. SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte der taz: „Die | |
Frage, wie wir mehr Geld für unsere Verteidigung sicherstellen, muss Hand | |
in Hand mit der Frage gehen, wie wir mehr Investitionen in Bildung, Straße | |
und Infrastruktur garantieren. Beides ist dringend notwendig, daher darf es | |
kein Entweder-oder geben.“ | |
Darüber müsse jetzt gesprochen werden, aber nicht im Schnellverfahren. „Was | |
ich nicht akzeptiere, ist, dass so weitreichende Entscheidungen noch mit | |
der Mehrheit des alten Bundestages beschlossen werden, wie Herr Merz und | |
die Union es vorschlagen. Das zeigt keinen Respekt vor den Wählerinnen und | |
Wählern“, so Esken zur taz. | |
In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Friedrich Merz wolle noch | |
mit dem alten Bundestag ein Sondervermögen für die Bundeswehr | |
verabschieden. Das hat er nicht ausdrücklich gefordert, es ist aber die | |
einzig verbleibende Option für rasche Rüstungsinvestitionen, weil er eine | |
Reform der Schuldenbremse zunächst ausgeschlossen hat. Wir haben den ersten | |
Satz entsprechend korrigiert. | |
26 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Wahlerfolg-der-Linkspartei/!6068514 | |
[2] /Debatte-ueber-Schuldenbremse/!6068638 | |
[3] /Klimapolitik-nach-der-Bundestagswahl/!6068466 | |
[4] https://dezernatzukunft.org/eine-oekonomisch-sinnvolle-schuldenregel/ | |
## AUTOREN | |
Jonas Waack | |
Anna Lehmann | |
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