| # taz.de -- Ringen um den Koalitionsvertrag: In ruhigem Fahrwasser | |
| > Während die Welt bebt, ringen die Parteien um einen gemeinsamen | |
| > Koalitionsvertrag. Warum wir das Warten aushalten sollten. | |
| Bild: Der Koalitionsvertrag, das Fischpapier von morgen. Und die Welt, der tote… | |
| Während Trump und Putin die weltpolitischen Realitäten im Stundentakt neu | |
| definieren, tüfteln Union und SPD noch an einem Koalitionsvertrag, der | |
| vermutlich bald hinfällig sein wird. Mit einer nachvollziehbaren Ungeduld | |
| blicken im In- und Ausland deshalb viele derzeit irritiert auf die weiter | |
| andauernden Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen in | |
| Deutschland. | |
| Hat man die Dringlichkeit der Lage nicht verstanden? Der Koalitionsvertrag | |
| sei das Papier nicht wert, [1][auf dem er geschrieben steht, hieß es so | |
| auch am Montag in der taz]. Der Koalitionsvertrag, das Fischpapier von | |
| morgen. Und die Welt, der tote Fisch? Ein Ausbuchstabieren der politischen | |
| Vorhaben der kommenden Legislatur ist demnach realitätsfern und redundant, | |
| werde sie doch in kürzester Zeit mit voller Wucht auf dem Boden der | |
| Wirklichkeit zerschellen. | |
| Die Coronapandemie oder [2][der russische Angriffskrieg der Ukraine] haben | |
| in den letzten Jahren gezeigt, wie schnell die Politik von der Realität | |
| eingeholt werden kann. Stattdessen erhoffen sich viele mehr Pragmatismus: | |
| Einige Gemeinsamkeiten festlegen, Verfahren klären, den Rest nehmen, wie es | |
| kommt. So schafft man sich zumindest kurzfristig Flexibilität, etwa, um | |
| schnell auf aktuelle Geschehnisse zu reagieren – und doch ist der Preis | |
| dafür langfristig hoch. | |
| Durch diese Forderung wird nämlich ein politischer Kontext geschaffen, in | |
| der Reaktivität als politisches Ziel ausreicht. Eine Koalitionsregierung | |
| ist nicht mehr aufgefordert, tatsächliche Inhalte zu verhandeln, daraus | |
| politische Ziele zu formulieren und ihr Handeln anschließend an diesen | |
| messen lassen zu müssen. | |
| ## Vertrauenswürdigkeit messen | |
| Denn auch wenn die Koalitionsvereinbarung kein rechtlich bindender Vertrag | |
| ist, so ist er doch eine moralische Absichtserklärung, eine an der sich | |
| politische Akteur:innen zumindest in ihrer Vertrauenswürdigkeit messen | |
| lassen müssen. | |
| Das spiegelt sich in der politischen Berichterstattung. Über tausend Mal | |
| wurde alleine in der taz seit Beginn der letzten Legislaturperiode im | |
| Herbst 2021 auf den Koalitionsvertrag Bezug genommen. Ob es dabei in der | |
| Bildungspolitik um die vorgesehene Anpassung des Bafög-Regelsatzes, die | |
| Umlage des CO₂-Preises durch Einführung des Klimageldes oder das | |
| Demokratiefördergesetz geht. | |
| Selbst wenn es nur darauf zielt, die Visionslosigkeit der | |
| Koalitionspartner:innen festzustellen, ist die | |
| Koalitionsvereinbarung ein geeignetes Instrument. Einmal zumindest wird | |
| transparent, worauf und auf wie viel davon sich die gewählten Parteien | |
| einst einig werden konnten. | |
| Ohne sind wir stattdessen allenfalls den persönlichen und uns letztlich | |
| unbekannten Selbstansprüchen der Merzens, Söders und Klingbeils | |
| ausgeliefert. Männern, von denen zumindest einer, trotz vorheriger | |
| ausführlicher Beteuerung des Gegenteils, [3][vor fünf Wochen noch sein | |
| Versprechen brach und zusammen mit der AfD stimmte]. | |
| ## Nicht nur andere kritisieren | |
| Damit würden wir uns nur weiter der inhaltslosen populistischen | |
| Personalisierung annähern, einem Politikstil, den wir an den USA so gerne | |
| kritisieren. | |
| Bahnbrechende Zukunftsvisionen wurden in den recht kleinteiligen | |
| Willensbekundungen zwar noch nie formuliert und die Zeit der Visionen ist | |
| wohl so oder so vorbei. Und würden Politiker:innen in diesen Zeiten | |
| eine heile Welt in ihren Koalitionsvereinbarungen beschwören, müsste man | |
| sich wohl erst recht sorgen, von wem man da regiert wird. | |
| Doch zugleich sollten wir destruktiven und disruptiven Kräften nicht die | |
| aktive Gestaltung der Wirklichkeit überlassen. Der bewährte besonnene | |
| Vorgang einer Regierungsbildung in Deutschland, samt Sondierungs- und | |
| Koalitionsvertrag, sollten wir diskutieren, womöglich verändern, aber nicht | |
| panisch in seiner Gesamtheit infrage stellen. Der um sich greifenden | |
| Wahrnehmung vom herrschenden, akzelerationistischen Chaos würde das sonst | |
| nur ein Stück weit den Weg bereiten. | |
| 12 Mar 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Amelie Sittenauer | |
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