# taz.de -- 551 Fragen im Bundestag: Union attackiert Zivilgesellschaft | |
> Die Union verschärft ihre Drohungen gegen Initiativen gegen rechts: In | |
> einer Anfrage stellt sie 551 Fragen zu deren staatlicher Förderung. Die | |
> reagieren empört. | |
Bild: Attackiert erneut die demokratisch aktive Zivilgesellschaft: Friedrich Me… | |
Berlin taz | Ganze 551 Fragen umfasst die Kleine Anfrage der Union, die sie | |
am Montag im Bundestag einreichte – kurz nach der Bundestagswahl. Es ist | |
die [1][Drucksache 20/15035], unterzeichnet von Unions-Spitzenkandidat und | |
Kanzler in spe Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. | |
Und diese Fragen sind ein Frontalangriff auf zivilgesellschaftliche | |
Organisationen, [2][die zuletzt bundesweit zu Protesten gegen | |
Rechtsextremismus aufriefen] – und sie stellen deren öffentliche Förderung | |
infrage. | |
„Staatlich finanzierte Organisationen müssen ihre politische Neutralität | |
wahren“, heißt es in der Anfrage der Union, die der taz vorliegt. Eine | |
„direkte oder indirekte Wahlkampfunterstützung“ für oder gegen eine Partei | |
sei „nicht vereinbar“. Genau dies moniert die Union in eigener Sache. Denn, | |
so heißt es weiter: „Hintergrund sind Proteste gegen die CDU Deutschlands, | |
die teils von gemeinnützigen Vereinen oder staatlich finanzierten | |
Organisationen organisiert oder unterstützt wurden.“ | |
Dies, so die Union, werfe die Frage auf, „inwiefern sich gemeinnützige | |
Vereine, die zusätzlich noch mit Steuergeldern gefördert werden, | |
parteipolitisch betätigen dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu | |
gefährden.“ Mehr noch wird in der Anfrage von einer angeblichen Debatte | |
geraunt über „eine Schattenstruktur, die mit staatlichen Geldern indirekt | |
Politik betreibt“ – mit Verweis auf einen Welt-Artikel, der über einen | |
„deutschen Deep State“ fabuliert. | |
## Omas gegen Rechts oder Greenpeace im Visier | |
Akribisch wird sodann in den 551 Fragen an die Bundesregierung um Antworten | |
gebeten, wie viele staatliche Fördergelder verschiedene Initiativen | |
erhalten – und wo es Hinweise auf eine „missbräuchliche“ Nutzung dieser | |
Staatsgelder „für parteipolitische Zwecke“ gebe. Explizit gefragt wird nach | |
Förderungen für die Omas gegen rechts, Correctiv, Campact, attac, der | |
Amadeu Antonio Stiftung, Peta, Animal Rights Watch, Foodwatch, Dezernat | |
Zukunft, die Deutsche Umwelthilfe, die Agora Agra GmbH, Greenpeace, BUND, | |
Netzwerk Recherche, Neue Deutsche Medienmacher und Delta. | |
Mehrere dieser Organisationen riefen zuletzt mit zu [3][Demonstrationen | |
gegen Rechtsextremismus] auf, nachdem die Union im Bundestag einen | |
Tabubruch beging und bei einem Antimigrationsantrag auch auf die Stimmen | |
der AfD setzte. Hunderttausende Menschen protestierten daraufhin | |
bundesweit. Andere Gruppen oder Medien wie Correctiv scheinen der Union | |
anderweitig ein Dorn im Auge zu sein. | |
Schon kurz vor der Wahl [4][hatte der CDU-Politiker Mathias Middelberg | |
angekündigt], gemeinnützigen Organisationen, die sich an „parteipolitische | |
Aktionen“ gegen die Union oder Merz beteiligten, künftig Staatsgelder zu | |
entziehen. „Ein solches Agieren ist ganz sicher nicht mehr gemeinnützig und | |
auch nicht förderungswürdig durch Steuermittel der Allgemeinheit.“ | |
Middelberg zielt dabei vor allem auf Fördergelder aus dem Bundesprogramm | |
„Demokratie leben“, das im Bundesfamilienministerium angesiedelt ist. Diese | |
Förderprogramme werde man scharf prüfen „und gegebenenfalls auch ganz | |
streichen“. | |
## „Ein Einschüchterungsversuch, den wir zurückweisen“ | |
Die in der Kleinen Anfragen genannten Initiativen reagierten am Dienstag | |
entsetzt. Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, | |
sprach von einem „Einschüchterungsversuch, den wir entschieden | |
zurückweisen“. Gemeinnützige Organisationen müssten und dürften Missstän… | |
benennen und Debatten anstoßen. „Das ist die Aufgabe einer kritischen | |
Zivilgesellschaft“, so Reinfrank zur taz. „Wer Fragen zu unserer Arbeit | |
hat, kann uns anrufen. Demokratie lebt von Kontroversen, nur dann ist sie | |
lebendig.“ | |
Auch Felix Kolb, Mitbegründer der Kampagnenorganisation Campact, auf die | |
sich 24 Fragen der Liste beziehen, sagte, die Anfrage reihe sich „nahtlos | |
in die jüngsten Versuche der Union ein, die Zivilgesellschaft | |
einzuschüchtern und ihr einen Maulkorb zu verpassen“. Kolb warf der Union | |
in der Anfrage eine „Aneinanderreihung von Halbwahrheiten“ vor, die „ein | |
Zerrbild der rechtlichen Rahmenbedingungen für gemeinnützige | |
Organisationen“ zeichneten. „Gemeinnützige Organisationen dürfen die | |
politische Willensbildung und die öffentliche Meinung beeinflussen und auch | |
Parteien kritisieren – ob es der Union passt oder nicht.“ | |
Noa Neumann von Attac kritisierte ebenso: „Diese Anfrage zeigt: Der zu | |
befürchtende Großangriff auf die emanzipatorische Zivilgesellschaft unter | |
einer Regierung Merz hat begonnen.“ Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit | |
und der Kampf gegen rechts seien der Union offensichtlich ein Dorn im Auge. | |
Sie versuche, Akteure der demokratischen Zivilgesellschaft „gezielt zu | |
diskreditieren und damit schon im Vorfeld der Amtszeit von Friedrich Merz | |
zu schwächen“. | |
Auch die SPD reagierte irritiert über die Anfrage. „Die Union sollte | |
tunlichst keine Praktiken anwenden, die wir von der AfD kennen“, sagte der | |
gerade wiedergewählte Abgeordnete Helge Lindh der taz. „Die Anfrage erweckt | |
den Anschein eines Generalverdachts und einer Einschüchterung der | |
demokratisch aktiven Zivilgesellschaft.“ Dabei seien Gruppen wie die Omas | |
gegen Rechts über jeden Extremismusverdacht erhaben. „Über das | |
Gemeinnützigkeitsrecht kann man sachlich diskutieren. Aber der Union geht | |
es offensichtlich um Gruppen, die sie zuvor kritisiert haben. Das ist nicht | |
nur unsouverän, das ist höchst fragwürdig.“ | |
## Kritik auch aus der SPD | |
Merz hatte gerade erst Kritik der SPD auf sich gezogen, als er kurz vor der | |
Wahl in einer Wahlkampfrede erklärte, er werde künftig Politik machen für | |
eine Mehrheit der Bevölkerung, die noch „alle Tassen im Schrank“ habe, und | |
[5][nicht „für irgendwelche grünen und linken Spinner auf dieser Welt“]. | |
Lindh sagte der taz, diese Äußerung erscheine nun in einem neuen Licht. | |
„Das wirkt jetzt nicht mehr wie ein Ausrutscher, sondern wie ein | |
konzertiertes Vorgehen. Und da sollte sich die Union sehr hüten, in einen | |
AfD-Kulturkampf einzusteigen. Umso mehr, wenn sie gerade eine Regierung | |
bilden will, die sich autoritärer Angriffe auf die Demokratie erwehren | |
muss.“ | |
Scharfe Kritik kam auch von den Grünen. „Die 551 Fragen lesen sich wie eine | |
Abschussliste“, sagte Sven Giegold, stellvertretender Bundesvorsitzender | |
der Grünen, der taz. „CDU und CSU kopieren die Methoden vieler rechter | |
Parteien international, um die kritische Zivilgesellschaft | |
einzuschüchtern.“ | |
Bereits seit Jahren attackiert auch die AfD gemeinnützige Vereine, die sich | |
gegen Rechtsextremismus engagieren und auch gegen die Partei positionieren | |
– [6][teils auch mit Anzeigen beim Finanzamt]. Das rechtsextreme Netzwerk | |
„Ein Prozent“ hatte genau zu solchen Anzeigen aufgerufen und dafür auch | |
einen Leitfaden veröffentlicht. | |
Die Ampelregierung wollte das Gemeinnützigkeitsrecht eigentlich | |
reformieren, um derartige Angriffe auf Vereine zu verhindern, scheiterte | |
damit aber unter anderem an der Blockade der FDP. | |
25 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://dserver.bundestag.de/btd/20/150/2015035.pdf | |
[2] /Demos-gegen-rechts/!6065534 | |
[3] /Schwerpunkt-Demos-gegen-rechts/!t5338539 | |
[4] /Demos-gegen-rechts/!6065534 | |
[5] /Totalausfall-von-Friedrich-Merz/!6071285 | |
[6] /Zivilgesellschaft-unter-Druck/!6016225 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
Sabine am Orde | |
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