# taz.de -- Zivilgesellschaft unter Druck: Riskante Demokratiearbeit | |
> Im Visier der AfD, unsichere Finanzierung, die Gemeinnützigkeit | |
> gefährdet: Initiativen gegen rechts sehen sich zunehmend in ihrer Arbeit | |
> bedroht. | |
Bild: Sie bieten in Sonneberg dem Rechtsextremismus Paroli. Unterstützt sie de… | |
BERLIN taz | Der jüngste Hilferuf kommt aus Sonneberg in Thüringen. Aus der | |
Stadt, in der seit vergangenem Jahr [1][die AfD mit Robert Sesselmann den | |
Landrat] stellt. Man werde die Social-Media-Profile „sofort einstellen“, | |
erklärte dort am Wochenende [2][„Sonneberg gegen Nazis“]. „Es ist zu | |
gefährlich geworden. Hasskommentare, persönliche Anfeindungen und sogar | |
Morddrohungen sind mittlerweile an der Tagesordnung.“ Seit 11 Jahren | |
betreibe man die Seite. „Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie. Wir | |
müssen letztendlich uns und unsere Familien schützen.“ | |
Die Gruppe war für Nachfragen nicht erreichbar. Aber schon zuletzt hatte | |
die Thüringer Opferberatungsstelle ezra gewarnt, dass sich Sonneberg seit | |
der Wahl des AfD-Landrats [3][zu einem „Hotspot“ rechter Gewalt entwickelt | |
habe]. 20 Angriffe zählte die Stelle im vergangenen Jahr. In Sonneberg | |
werde „wie unter einem Brennglas sichtbar, wie rechte Gewalt dort zunimmt, | |
wo Täter erkennen, dass ihre Taten eine breite Unterstützung der | |
Bevölkerung haben“, warnte ezra-Projektleiter Franz Zobel. | |
Und auch Felix Steiner, Sprecher der Mobilen Beratung Thüringen, zeigt sich | |
alarmiert: „Dass engagierte Menschen wie ‚Sonneberg gegen Nazis‘ sich nach | |
mehr als 10 Jahren Positionierung gegen die extreme Rechte aus | |
Sicherheitsgründen zurückziehen, ist mehr als ein Alarmsignal.“ Wenn | |
Morddrohungen Menschen abhielten, sich für Demokratie einzusetzen, müsse | |
Solidarität die Antwort sein, so Steiner. „Sonneberg ist dabei nur ein | |
aktuelles Beispiel von Bedrohungen gegen Engagierte, das zeigt, welches | |
Klima das neue Selbstbewusstsein extrem rechter Akteure, vor allem in | |
ländlichen Räumen, erzeugt.“ | |
Tatsächlich ist Sonneberg kein Einzelfall. Bundesweit beklagen derzeit | |
Initiativen, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus | |
engagieren, dass sie unter Druck stehen wie lange nicht mehr: Die AfD nehme | |
sie zunehmend ins Visier, die Bundesregierung lasse sie allein. | |
## „Unsere Existenz steht auf dem Spiel“ | |
Gerade erst verschickten gut 100 Initiativen einen Brief an Bundeskanzler | |
Olaf Scholz mit der Forderung, endlich eine im Ampel-Koalitionsvertrag | |
versprochene Reform des Gemeinnützigkeitsrecht umzusetzen – um ihre | |
Existenz nicht zu gefährden, sobald sie sich gegen rechts engagieren. | |
Darunter sind Sportvereine, AWO-Verbände, Naturschutzvereine, Kultur- oder | |
Jugendprojekte. Finanzämter machten Druck, weil sie Demonstrationen | |
organisiert hätten, heißt es in dem Schreiben. Der Landesrechnungshof drohe | |
mit dem Entzug der Gemeinnützigkeit, weil der Einsatz für Grundrechte | |
„einseitig“ sei. Und von der AfD gebe es Anzeigen beim Finanzamt. „Das | |
macht Angst, denn ohne den gemeinnützigen Status steht unsere Existenz auf | |
dem Spiel.“ | |
Man denke daher über jede Aktion zweimal nach, so das Schreiben weiter. | |
Engagement für die Demokratie gehe so verloren. Und die Bundesregierung | |
habe bisher versäumt, [4][mit einer Reform des Gemeinnützigkeitsrechts | |
diese Arbeit zu schützen]. Das aktuelle Jahressteuergesetz 2024 sei dafür | |
die letzte Chance vor der Bundestagswahl – aber dort stehe dazu „kein | |
Wort“, so die Initiativen. „Wir sind bestürzt.“ Der Einsatz für | |
demokratische Werte müsse gesetzlich „endlich eindeutig gemeinnützig“ sei… | |
Die rechtliche Unsicherheiten in diesem Feld und das Neutralitätsgebot für | |
gemeinnützige Vereine hatte sich zuletzt die AfD zunutze gemacht. So wurde | |
etwa der Verein „München ist bunt“ von der AfD beim Finanzamt angezeigt, | |
nachdem sich dieser wiederholt gegen die Partei positioniert hatte. Er gehe | |
davon aus, dass am Ende die Gemeinnützigkeit aberkannt werde, erklärte der | |
frühere AfD-Abgeordnete Uli Henkel. „Was tut schon mehr weh als der Entzug | |
von Spendengeldern?“ | |
Laut dem Bündnis um den Scholz-Brief, „Zusammen gegen rechts“, gibt es | |
„mehrere“ weitere Initiativen, die zuletzt von der AfD bei Finanzämtern | |
angezeigt wurden. Im Fall einer Gewerkschaftsjugend in Thüringen soll ein | |
Finanzamt auch von sich aus die Gemeinnützigkeit entzogen haben – wegen | |
Unterstützung einer Demonstration zum 1. Mai oder einer gegen den | |
FDP-Politiker Thomas Kemmerich. | |
Auch der Verein Miteinander in Magdeburg hat den Brief unterzeichnet und | |
kennt das AfD-Vorgehen. Dort hatte sich die Partei in einer | |
Enquete-Kommission im Landtag wiederholt über die Finanzen des Vereins | |
erkundigt. „Natürlich zielte das auch auf den Entzug von Geldern und | |
Gemeinnützigkeit“, sagte David Begrich von Miteinander der taz. „In unserem | |
Fall war es nur eine Drohung. Aber für die AfD ist es Teil der politischen | |
Agenda: Wenn sie die Machthebel dafür haben, werden sie diese nutzen, um | |
politische Gegnern die Finanzen und Arbeitsgrundlagen zu entziehen.“ | |
## Unsicherheit besteht seit 10 Jahren | |
Die Unsicherheit um die Gemeinnützigkeit bei politischen Aktivitäten | |
besteht schon seit 10 Jahren – [5][seit diese damals Attac aberkannt | |
wurde]. Das zuständige Bundesfinanzministerium gab sich am Montag bedeckt | |
zur versprochenen Reform des Gemeinnützigkeitsrecht. Ein Sprecher verwies | |
auf laufende Gespräche in der Bundesregierung, „welche konkreten | |
Regelungen“ hier notwendig seien. Schon jetzt sei es laut einer | |
Verwaltungsanweisung für gemeinnützige Organisationen aber möglich, zu | |
Demonstrationen gegen Rechtsextremismus aufzurufen, betonte ein Sprecher. | |
Hier wolle man aber gesetzlich nachsteuern. „Eine gesetzliche Regelung ist | |
gegenüber einer Verwaltungsanweisung sichtbarer und verbindlicher.“ | |
SPD und Grüne aber machen nun Druck. „Der Hilferuf aus der | |
Zivilgesellschaft muss ernst genommen werden“, erklärte die | |
Grünen-Politikerin Sabine Grützmacher. „Es kann nicht sein, dass kleine | |
Vereine, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren, | |
zum Verstummen gebracht werden.“ Wenn man von diesen ein Lautwerden gegen | |
Rechtsextremismus einfordere, müsse man auch die versprochene | |
Rechtssicherheit liefern. „Das Gemeinnützigkeitsrecht braucht ein Update.“ | |
Auch die SPD-Abgeordnete Nadine Heselhaus sagte der taz, sie hätte sich | |
eine schnellere Umsetzung der Reform gewünscht. Der Brief zeige noch einmal | |
die Dringlichkeit. „Vereine und Initiativen brauchen Rechtssicherheit, wenn | |
sie zu Demonstrationen für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufrufen.“ | |
Die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ setzt sich | |
schon seit Jahren für eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts ein, | |
verschickte am Montag mit 53 Vereinen ebenso einen Brief an Scholz. Der AfD | |
und allen, die ein autoritäres System wollten, seien zivilgesellschaftliche | |
Gruppen ein Dorn im Auge, betonte Sprecher Stefan Diefenbach-Trommer. Oft | |
erfolge das Vorgehen scheibchenweise. Erst werde nur Transparenz verlangt, | |
später eine Prüfung beim Finanzamt, dann eine Aberkennung der | |
Gemeinnützigkeit. „Das bedeutet immer bürokratische Belastung, welche die | |
Arbeit der Engagierten ausbremst“, so Diefenbach-Trommer. „Das Ziel ist, | |
einen politischen Gegner über Formalien vom Spielbrett zu schieben. Das ist | |
antidemokratisch.“ Ziel einer Gesetzesreform müsse deshalb sein, dass | |
demokratisches Engagement immer als gemeinnützig anerkennt werde, so | |
Diefenbach-Trommer. Und dies müsse sowohl für Vereine gelten, die sich nur | |
gelegentlich politisch engagierten – aber auch für diejenigen, die das | |
dauerhaft tun, wie etwa die Omas gegen rechts. | |
## Bis heute kein Demokratiefördergesetz | |
Mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen beklagen aber auch, dass das von | |
der Ampel ebenfalls versprochene Demokratiefördergesetz [6][bis heute nicht | |
da ist], das eine Finanzierung der Projekte langfristig absichern würde. | |
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesfamilienministerin Lisa | |
Paus (Grüne) hatten hier bereits Ende 2022 einen Gesetzentwurf vorgelegt. | |
Seitdem blockiert es die FDP, die das Gesetz für zu weitgehend hält und auf | |
die Wiedereinführung einer „Extremismusklausel“ pocht. | |
Und erst vor wenigen Tagen startete eine Petition, mit der Projekte | |
verhindern wollen, dass ihnen im Zuge der Haushaltsdebatte die Förderung | |
gestrichen wird, etwa im Bundesprogramm „Demokratie Leben“. Es drohten | |
„massive Kürzungen oder gar das Aus“, heißt es dort. Ebenfalls an Scholz | |
wird appelliert, in den Haushaltsverhandlungen hier die Finanzierung zu | |
sichern. „Sparen Sie nicht am falschen Ende. Gerade jetzt brauchen wir | |
diejenigen, die sich für unsere Gemeinschaft einsetzen.“ 73.500 Personen | |
unterzeichneten die Petition bisher. | |
Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, warnt, dass | |
sich die Situation für zivilgesellschaftliches Engagement gegen | |
Rechtsextremismus durch die Erfolge der AfD in Ostdeutschland immer weiter | |
zuspitze. In vielen Städten und Gemeinden könne die Partei jetzt mit | |
darüber bestimmen, welche Träger gefördert oder welches Engagement | |
eingestellt werden soll. „Deswegen wäre eine Unterstützung vonseiten des | |
Bundes jetzt ein wichtiges Signal“, so Reinfrank. „Der Bund muss endlich | |
sicherstellen, dass das Engagement für die Ziele unseres Grundgesetzes mit | |
dem Gemeinnützigkeitsrecht vereinbar ist.“ | |
Und er dürfe auch keine Kürzungen bei der Demokratieförderung vornehmen. | |
„Im Gegenteil“, so Reinfrank. „In die Demokratie muss investiert werden.�… | |
24 Jun 2024 | |
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[1] /Erster-AfD-Landrat-Deutschlands/!5940162 | |
[2] https://www.instagram.com/p/C8jtPLKIr3q/?igsh=MWxxZG1uMXVhZ3Fxdw%3D%3D | |
[3] /Statistik-zu-rechter-Gewalt-in-Thueringen/!6003827 | |
[4] /Attac-ohne-Gemeinnuetzigkeit/!6000705 | |
[5] /Attac-ohne-Gemeinnuetzigkeit/!6000705 | |
[6] /Demokratiefoerdergesetz-gefordert/!6006075 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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