# taz.de -- Gesetz zu Gemeinnützigkeit: Mehr Spielraum für Vereine | |
> Die Koalition will steuerlich begünstigten Organisationen mehr politische | |
> Tätigkeit erlauben. Ganz einig sind sich SPD, FDP und Grüne aber noch | |
> nicht. | |
Bild: Seit dem Urteil gegen die globalisierungskritische Organisation Attac fü… | |
Berlin taz | Einen jahrhundertealten Friedhof will der Förderverein für | |
jüdische Kultur in Tübingen vor dem Verfall bewahren. Aber auch in die | |
größeren gesellschaftlichen Diskussionen mischt man sich ein. Um „Gesicht | |
zu zeigen gegen Antisemitismus und Judenhass“ initiierte der Verein ein | |
Aktionsbündnis, nachdem die palästinensische Hamas vergangenes Jahr Israel | |
angegriffen hatte. | |
Doch nun machen sich die Aktiven Sorgen, ob diese Kombination aus konkreten | |
Projekten und politischen Debatten weiterhin möglich sein wird. Zusammen | |
mit [1][über 100 weiteren Organisationen schickten sie deshalb einen | |
offenen Brief] an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Darin wird gefordert, | |
die steuerliche Gemeinnützigkeit, eine wesentliche Basis der | |
Vereinstätigkeit, mit einer Gesetzesänderung abzusichern. | |
Dazu hat das Bundeskabinett mittlerweile gewisse Verbesserungen auf den Weg | |
gebracht. Bei einem größeren Schritt, den auch der Tübinger Verein | |
verlangt, herrscht jedoch Uneinigkeit in der Koalition. Die Grünen sind | |
dafür, die SPD würde wohl mitmachen, die FDP aber sträubt sich. | |
Der Status der Gemeinnützigkeit, über den die Finanzämter entscheiden, hat | |
für viele Vereine und Organisationen große Vorteile. Sie müssen dann | |
weniger Steuern zahlen. Bürgerinnen und Bürger können außerdem ihre Spenden | |
von der eigenen Steuer absetzen. Das erhöht die Spendenbereitschaft – und | |
die Mittel, die den Vereinen zur Verfügung stehen. | |
## AfD nutzt Attac-Urteil | |
Seit zehn Jahren allerdings herrscht unter gemeinnützigen Organisationen | |
eine zunehmende Unsicherheit. Damals entzog das Finanzamt [2][dem | |
globalisierungskritischen Netzwerk Attac den begehrten Status]. In der | |
folgenden juristischen Auseinandersetzung fällte der Bundesfinanzhof 2019 | |
ein weitgehendes Urteil: Der förderfähige Zweck der Volksbildung, auf den | |
Attac seine Gemeinnützigkeit stützte, erlaube keine regelmäßigen | |
„allgemeinpolitischen“ Äußerungen zur Durchsetzung subjektiver politischer | |
Ziele. | |
Dieses Urteil hat mittlerweile auch die hartrechte AfD entdeckt. Mitunter | |
[3][schwärzt die Partei Organisationen beim Finanzamt an], die sie | |
kritisieren. Das Ziel: Die Kritiker sollen ihre politischen Äußerungen | |
gegen die Rechten einstellen – aus Angst, sonst die Gemeinnützigkeit zu | |
verlieren. | |
Dieses Problem aus der Welt zu schaffen, vereinbarten SPD, Grüne und FDP | |
2021 in ihrem Koalitionsvertrag. Einen Schritt in diese Richtung enthält | |
der Entwurf des kürzlich veröffentlichten Gesetzes zur Fortentwicklung des | |
Steuerrechts von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP). Dort heißt | |
es unter anderem, dass sich künftig „eine Körperschaft außerhalb ihrer | |
Satzungszwecke gelegentlich zu tagespolitischen Themen“ äußern dürfe. | |
Mit dieser Formulierung will die Koalition die Handlungsmöglichkeiten der | |
gemeinnützigen Organisationen erweitern. Der Tübinger Verein für jüdische | |
Kultur könnte dann zum Beispiel von Zeit zu Zeit auch gegen die AfD | |
wettern, ohne sich Sorgen machen zu müssen, dass das Finanzamt seinen | |
Steuerstatus infrage stellt. | |
## Organisationen wollen mehr | |
Das halten viele Aktivistinnen und Aktivisten für einen echten Fortschritt. | |
Gleichzeitig plädieren sie jedoch dafür, das Problem grundsätzlicher | |
anzugehen. Gemeinnützige Zwecke sollten nicht nur sporadisch, sondern immer | |
auch „durch die Mitwirkung an der öffentlichen Meinung“ insgesamt verfolgt | |
werden dürfen, verlangt die Allianz „Rechtssicherheit für politische | |
Willensbildung“, ein Bündnis zahlreicher Organisationen. | |
Ihre zweite Forderung lautet, die Liste der förderungswürdigen Zwecke in | |
der sogenannten Abgabenordnung zu ergänzen. Dort ist festgelegt, welche | |
Anliegen als gemeinnützig gelten – zum Beispiel die Förderung von | |
Wissenschaft, Religion, Kunst, Kultur, Umweltschutz oder Volksbildung. Die | |
Allianz plädiert dafür, neue Zwecke aufzunehmen, etwa das Engagement für | |
die Menschenrechte. | |
So sieht es auch die grüne Bundestagsabgeordnete Sabine Grützmacher: | |
„Erstens sollte klargestellt werden, dass gemeinnützige Organisationen ihre | |
politischen Positionen regelmäßig in öffentliche Debatten einbringen | |
dürfen.“ Und zweitens brauche man „zusätzliche förderfähige Zwecke, etwa | |
das Engagement für Menschenrechte und Demokratie“. | |
## Verhandlungen nach dem Sommer | |
Ihre Kollegin Nadine Heselhaus von der SPD ist etwas zurückhaltender, aber | |
offen: „Während des parlamentarischen Verfahrens, das nach der Sommerpause | |
beginnt, werden wir prüfen, ob der Gesetzentwurf unseren Anforderungen | |
gerecht wird oder ob weitere Anpassungen notwendig sind.“ | |
FDP-Parlamentarier Maximilian Mordhorst hält den Vorschlag von | |
Finanzminister Lindner dagegen für ausreichend. Die Möglichkeit | |
regelmäßiger allgemeinpolitischer Äußerungen „würde das rechtliche | |
Abstandsgebot zu Parteien verletzen und der undurchsichtigen Wahlkampfhilfe | |
durch staatlich begünstigte Vorfeldorganisationen Tür und Tor öffnen“, | |
erklärt er. Eine Einigung, die auch die allgemeinpolitische Tätigkeit des | |
Tübinger Vereins für jüdische Kultur grundsätzlich absichern könnte, | |
scheint damit erst einmal fraglich. | |
Vielleicht gibt es aber einen gewissen Verhandlungsspielraum. Mordhorst | |
möchte zusätzlich E-Sport – Wettkämpfe in Computerspielen – in die | |
Zweckliste aufgenommen sehen. Möglicherweise schaffen es auf diesem Weg | |
auch noch die Menschenrechte hinein. | |
16 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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