| # taz.de -- Roman „Die Erweiterung“: Sehnsucht nach Europa | |
| > Albanien und die EU: Das wurde diskutiert bei der Vorstellung der | |
| > albanischen Ausgabe von Robert Menasses Roman „Die Erweiterung“ in | |
| > Tirana. | |
| Bild: Wolkenkratzer in Tirana | |
| Robert Menasse ist fast empört: Sein Roman [1][„Die Erweiterung“] soll eine | |
| Satire sein? Jenes Buch also, das das Geduldsspiel Albaniens bei seinen | |
| Bemühungen um einen EU-Beitritt drastisch und bitterböse beschreibt, die | |
| Sehnsüchte, die vielen Enttäuschungen? Beim Erscheinen 2022 wurde es von | |
| der Literaturkritik als „fesselnde Innenansicht der politischen Dynamik | |
| zynischer Intriganten zwischen Brüssel, Warschau, Tirana und Wien“ gelobt. | |
| Von wegen Satire, von wegen Übertreibung: Menasse widerspricht vehement, | |
| als er am Wochenende in Tirana ist, um die albanische Übersetzung seines | |
| Werkes unter dem Titel „Zgjerimi“ vorzustellen. Er sagt im Gespräch mit der | |
| taz: „Es gibt im Buch keine Satire. Wenn Realität satirehaft wirkt, ist es | |
| das Problem der Realität.“ | |
| Zur Realität gehört neuerdings immerhin, dass die EU offizielle | |
| Verhandlungen mit Albanien über einen Beitritt eröffnet hat. Aber ist das | |
| wiederum nicht nur eine weitere Facette der jahrelangen Hinhaltetaktik? | |
| Menasse beschreibt im Buch die Logik der europäischen politischen Eliten | |
| so: „Das Versprechen wird nicht besiegelt, sondern in den Raum gestellt. | |
| Alles nur eine Frage der Formulierungen.“ | |
| In Tirana beklagt Menasse, wie von oben herab Politik gemacht werde, wenn | |
| Ursula von der Leyen beispielsweise davon spreche, Albanien habe seine | |
| Aufgaben gemacht. Ob dann Albanien der Schüler sei und von der Leyen die | |
| Lehrerin? Und nicht nur im Buch wird Tiranas Plan B beschrieben, er droht | |
| auch in der Realität: eine engere Kooperation mit China. | |
| Der EU-Botschafter in Tirana, der Italiener Silvio Gonzato, versichert bei | |
| der Buchpräsentation am Samstagabend im Europa-Haus in Tirana, dass die | |
| Mahnungen Menasses sehr wohl angekommen seien. Er habe das Buch auf Deutsch | |
| gelesen, was für ihn bei einem Roman trotz seiner guten Deutschkenntnisse | |
| grundsätzlich „seltsam“ und „ein wenig mühsam“ gewesen sei. Aber in d… | |
| Fall eine „richtig angenehme und inspirierende Erfahrung“: Auf | |
| bewundernswerte Weise habe es Menasse geschafft, Realität und Fiktion zu | |
| verbinden. Er habe sich nicht verkneifen können, das Buch zu den | |
| Beitrittsgesprächen im Oktober in Luxemburg mitzunehmen, sagt Gonzato. | |
| „Trotz unserer Widersprüche, unserer manchmal unverständlichen Prozesse“ | |
| werde die Union letztendlich ihre Versprechen halten und „irgendwann“ werde | |
| auch Albanien beitreten. | |
| ## Ein halbes Jahr in Tirana gelebt | |
| Es ist ein schöner Zufall, dass Menasse ausgerechnet Albanien in den | |
| Mittelpunkt seines Romans gerückt hat: „Vielleicht bin ich als Wiener, wo | |
| ja bekanntlich der Balkan beginnt, besonders prädestiniert, hier Empathie | |
| zu empfinden“, sagt er. Er hatte die Region bereist, Kosovo, Montenegro, | |
| Mazedonien, Albanien. Und sei dann in Tirana hängen geblieben, wo er sich | |
| 2019 für ein halbes Jahr eine Wohnung nahm. | |
| Fasziniert war er auch wegen des [2][Ministerpräsidenten Edi Rama,] der | |
| nicht nur Politiker, sondern als einziger Staatsmann in Europa auch | |
| Künstler sei, mit Dichtern in seinem Beraterstab. Auch wenn Edi Rama in | |
| „Die Erweiterung“ zuweilen als jähzornig und erratisch erscheint, hält | |
| Menasse große Stücke auf diesen „ungewöhnlichen, originellen Politiker“. | |
| Kritisch merkt er an, dass er das [3][von Edi Rama und Giorgia Meloni | |
| geschlossene Flüchtlingsabkommen] für „kompletten Irrsinn“ hält. Und: �… | |
| sagt mir ja auch, dass die Regierung Edi Rama deutliche Anzeichen von | |
| Korruption nicht verbergen kann.“ | |
| Dass es die Erweiterung nun in einer albanischen Ausgabe gibt, mache ihn | |
| stolz, sagt Menasse. Und dass ihm albanische Leser bescheinigt hätten, | |
| „keine gröberen Fehler“ gemacht zu haben. Albaner seien schließlich nicht | |
| „irgendwelche exotischen Wesen“: „Der Reichtum Europas besteht in seiner | |
| Vielfalt.“ | |
| Das Gefühl, der Wunsch, die Hoffnung, zu Europa gehören: Es gibt sie in | |
| Albanien sehr lange schon. 1962, der Bruch von Diktator Enver Hoxha mit der | |
| Sowjetunion lag erst gut ein Jahr zurück, gab die albanische Post eine | |
| Briefmarkenserie mit Europa-Motiven heraus. Im Juli 1990 besetzten mehr als | |
| 3.000 Menschen die bundesdeutsche Botschaft in Tirana, im August 1991 | |
| flüchteten mehr als 10.000 Albaner mit dem Schiff „Vlora“ über die Adria | |
| nach Bari. | |
| ## Kurze Zeit der Begeisterung | |
| Der Münchener Albanologe Florian Kienzle erinnert sich an die 90er Jahre, | |
| als er im Teenageralter als Sohn eines bundesdeutschen Diplomaten jahrelang | |
| in Tirana lebte, an die damals „fehlende Verbindung zwischen Albanien und | |
| dem restlichen Europa“. Der kurzen Begeisterung über die Öffnung Albaniens | |
| sei schnell die Abwehrreaktion gefolgt: „Die Menschen in Albanien hatten | |
| dann nicht das Gefühl, zu Europa zu gehören, und der Rest des Kontinents | |
| hat sie das auch spüren lassen.“ | |
| Inzwischen stellt Olaf Scholz in einem Schaukasten im Kanzleramt unter der | |
| Überschrift „Ausbau Europas“ eine traditionelle albanische Weste aus, die | |
| ihm Edi Rama 2022 bei einem Besuch in Berlin als Gastgeschenk überreicht | |
| hatte: Im Gespräch habe der Bundeskanzler den Beginn von | |
| EU-Beitrittsverhandlungen befürwortet, heißt es dazu. | |
| Einen Termin für den EU-Beitritt gibt es noch immer nicht. Und nicht nur | |
| für Menasse bleibt der krasse Widerspruch: „Albanien ist nicht in der EU. | |
| Und die überwältigende Mehrheit der Bürger will hinein. Ungarn ist Mitglied | |
| der Europäischen Union. Und blockiert die Union, wo es nur kann, mit der | |
| Zustimmung der Hälfte der Bevölkerung.“ | |
| Nach „Die Hauptstadt“ über das EU-Machtzentrum Brüssel 2017 war „Die | |
| Erweiterung“ 2022 der zweite Band von Menasses europäischem Roman-Konzept. | |
| Der dritte Teil ist in Vorbereitung: Aktuell sucht der Österreicher eine | |
| Wohnung in Ungarn. | |
| 28 Oct 2024 | |
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| [2] /Frauen-in-der-albanischen-Regierung/!5798150 | |
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| ## AUTOREN | |
| Matthias Meisner | |
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