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# taz.de -- Theaterfestival in Tirana: „Theater ist Lärm gegen die eigene An…
> Die Theaterszene Albaniens drängt heraus aus der Isolation. Ein Weg führt
> über ein Festival in Tirana mit Produktionen aus sieben Ländern.
Bild: „Six Against Turkey“ von Jeton Neziraj erzählt von dem eklatanten Fa…
Tirana ist in Bewegung, nicht nur wegen der Touristen, die nach Aussage von
Bürgermeister Erion Veliaj mit mittlerweile 250 Flügen täglich seine Stadt
erreichen. Vor allem die Einwohner*innen machen mobil. Vor dem Büro von
Premierminister Edi Rama protestieren erboste Rentnern gegen zu niedrige
Pensionen. Auch Bürgermeister Veliaj bekam sein Fett weg. Vor seinem
Amtssitz, unmittelbar in der [1][Nähe des abgerissenen Nationaltheaters],
brandeten Sprechchöre, die seinen Rücktritt forderten, gegen eine Wand aus
Schild- und Helm-bewehrten Polizisten.
„Wir versammeln uns einmal die Woche hier, um gegen den Bürgermeister zu
protestieren, gegen die ganzen Diebe, die in der Regierung sitzen“, sagt
Alessandro, 75 Jahre alt. Der alte Herr hat eine bewegte
Protestvergangenheit, gehörte zu den Aktivisten, die das Nationaltheater
besetzten, um es vor dem Abriss zu schützen. „Drei Jahre lang haben wir
Veranstaltungen organisiert, Künstler aus vielen Ländern kamen. Eines
Nachts rückten aber etwa 2.000 schwerbewaffnete Polizisten an. Die
Abrissmaschine begann schon ihre Arbeit, als noch zehn Leute von uns im
Gebäude waren“, erzählt er.
Die Ereignisse machen ihn noch heute, vier Jahre später, wütend: „Jetzt
organisieren einige von uns aus der Theaterinitiative gemeinsam mit der
Oppositionspartei die aktuellen Proteste gegen den Bürgermeister.“ Der
hatte damals den Abriss verfügt, aktuell gibt es Korruptionsvorwürfe gegen
ihn und enge Mitarbeiter. Die Fronten bleiben, nur die Themen wechseln.
## Das erste internationale Theaterfestival im Land
Etwa zwei Kilometer entfernt ist das Freigelände vor einer ehemaligen
Teststation für Turbinen ebenfalls gut besucht. Die alte Industrieanlage
ist seit drei Jahren provisorische Heimstatt des Nationaltheaters. Bis
Anfang November fand hier das Kosovo Albania Theatre Showcase statt.
Für Altin Basha, Regisseur und Intendant des Nationaltheaters, ein
historischer Moment. „Es ist das erste Mal seit dem Fall des Eisernen
Vorhangs, dass wir überhaupt ein großes internationales Theaterfestival im
Land haben. Eine der größten Sorgen innerhalb der albanischen Theaterszene
ist das Abgeschnittensein von den Entwicklungen des Theaters in Europa. Wir
brauchen den Austausch, wollen einen Prozess der Offenheit initiieren.
Dafür hat das Festival strategische Bedeutung“, sagt er.
Die Austauschprozesse gingen in vielerlei Richtungen. Die
Eröffnungsproduktion „Flower Sajza“ vom hauseigenen National Experimental
Theatre bot einen berührenden Einstieg in die albanische Geschichte.
Stacheldraht trennte Bühne und Zuschauerraum. Jenseits des Drahtes wühlte
sich eine junge Frau aus einer Schlammgrube heraus, versank aber immer
wieder darin.
## Zwangsarbeit für Kinder
Sie wirkte wie der Geist jener Kinder, die in der ersten Dekade des
Enver-Hoxha-Regimes unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg in
Zwangsarbeitslagern umkamen. Den historischen Kontext lieferten
Augenzeugenberichte – mal als Videoeinspieler, mal als Bühnenmonolog
inszeniert.
Seinen emotionalen Höhepunkt erreichte der Abend, als Simon Markaj, als
Kind in einem der Lager eingesperrt, als Zeitzeuge von seinen damaligen
Erlebnissen berichtete. Markaj betonte bei seinem Auftritt die Bedeutung
von Erinnerung, aber auch die Bedeutung von Versöhnung. Dass vor jeder
möglichen Versöhnung erst einmal das Benennen und die Analyse von
Konflikten stehen muss, war Leitmotiv des Festivals.
„Six Against Turkey“, die neueste Produktion von Qendra Multimedia, den
Co-Organisatoren des Festivals aus Kosovo, griff den eklatanten Fall der
Deportation von sechs Kosovaren auf. Kosovos Sicherheitsdienste halfen im
Jahr 2018 türkischen Emissären, angebliche Unterstützer der Gülen-Bewegung
in türkische Gefängnisse zu bringen. [2][Für Autor Jeton Neziraj] und
Regisseurin Blerta Neziraj war diese Fortsetzung der Herrschaftspraktiken
des früheren osmanischen Imperiums Anlass für einen wilden Ritt durch die
politischen Verhältnisse in der Türkei.
Türkische Schauspieler waren ursprünglich auch an dem Projekt beteiligt,
zogen sich aus Angst vor dem langen Arm Erdoğans aber zurück. Das Ensemble
aus Kosovo machte jedoch weiter. „Theater ist der Lärm, den man macht, um
die Angst zu überwinden“, sagen die Spieler in der Szene, in der sie vom
Rückzug ihrer türkischen Kollegen berichten.
## „Für uns beginnt jetzt eine neue Ära“
Osmanische Herrschaftstechniken – in diesem Falle das Kopfabschlagen –
standen auch im Zentrum von „The Traitors Niche“, einer schwarzhumorigen
Produktion des Nationaltheaters Kosovo nach einer Romanvorlage von Ismael
Kadare.
Ästhetisch ragte die serbische Inszenierung von Paula Vogels Stück über
sexuellen Missbrauch „How I Learned to Drive“ heraus. Das von Vogel
feingesponnene Abhängigkeitsnetz zwischen Onkel und minderjähriger Nichte
erfuhr durch das präzise Spiel von Svetozar Cvetković und Marta
Bogosavljević und die Entscheidung, die Spielhandlung mitten unter das
Publikum zu verlegen (Regie: Tara Manić), eine enorme Intensität.
Produziert wurde die Arbeit vom Belgrader Heartefact Fund.
Unabhängige Institutionen wie Heartefact und Qendra Multimedia, das seit
2018 das Festival in Kosovo ausrichtet, sind für die Entwicklung einer
lebhaften Theaterszene in den Balkanländern ungemein wichtig. Dem wollen
die albanischen Partner folgen. „Für uns beginnt jetzt eine neue Ära“,
meinte Nationaltheater-Intendant Basha zur taz. Er will 2027 in das neue
Theater am alten Standort einziehen. Dort begannen vor acht Monaten
immerhin die Erdarbeiten.
Drei Jahre allerdings lag das Gelände brach. Für die einstigen
Verteidiger*innen des Nationaltheaters ein Skandal. Viele von ihnen
kamen auch nicht zum Festival. „Für mich sitzt der Schmerz über den Verlust
immer noch zu tief. Ich bin bisher kein einziges Mal in die
Alternativspielstätte gegangen. Und ich weiß auch nicht, ob ich je in den
Neubau gehen kann“, meinte [3][Lindita Komani] zur taz. Die
Schriftstellerin und Aktivistin trägt sich allerdings mit dem Gedanken, aus
der alten Besetzer*innengruppe heraus ein Straßentheaterfestival zu
veranstalten – noch mehr Krach also, um die Angst besiegen zu helfen.
4 Nov 2024
## LINKS
[1] /Abriss-des-Nationaltheaters-in-Tirana/!5686063
[2] /Balkan-Theaterfestival-im-Kosovo/!5888911
[3] /Besetzung-des-Theaters-in-Tirana/!5613789
## AUTOREN
Tom Mustroph
## TAGS
Theater
Festival
Albanien
Literatur
Theater
Balkan
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