# taz.de -- Roadmovie „Rohbau“: Schuld und Süden | |
> Roadtrip mit starker jugendlicher Protagonistin: Der Debütfilm „Rohbau“ | |
> von Regisseur Tuna Kaptan erzählt von Arbeitsmigration aus dem Balkan. | |
Bild: Irsa (Angjela Prenci) in „Rohbau“ | |
In seinem ersten Langfilm, „Rohbau“, widmet sich Regisseur Tuna Kaptan | |
einem gesellschaftlich schwierigen Thema: Die Arbeitsmigration aus dem | |
Balkan und die Ausbeutung von billigen Arbeitskräften, die oft illegal auf | |
deutschen Baustellen tätig sind. | |
Die Geschichte von „Rohbau“ ist jedoch viel mehr als ein politischer Appell | |
– es ist eine einfühlsame Erzählung über Freundschaft, moralische Dilemmata | |
und die Suche nach Identität. Der Film verbindet soziale Realität mit einem | |
berührenden Roadtrip und erschafft daraus eine eindrucksvolle Erzählung. | |
Die Handlung beginnt, als die 14-jährige Irsa aus Albanien, gespielt von | |
Angjela Prenci, unerwartet auf einer Großbaustelle eines Luxusprojekts | |
auftaucht, auf der der Bauleiter Lutz (Peter Schneider) einen wichtigen | |
Termin mit Investoren hat. | |
Irsa dagegen ist auf der Suche nach ihrem Vater, der als illegaler | |
Bauarbeiter in Deutschland tätig war und spurlos verschwunden ist. Lutz, | |
den wir im Laufe des Films als einen Mann kennenlernen, der innerlich mit | |
eigenen Dämonen kämpft, entscheidet sich, dem jungen Mädchen zu helfen. | |
Auch, weil er die Leiche des Vaters selbst beseitigt hat. | |
## Suche nach Erlösung | |
Gemeinsam begeben sie sich auf einen Roadtrip von einer an Görlitz | |
erinnernden Stadt über Italien nach Albanien – was zunächst geografisch | |
verwirrend scheint, sich aber im Laufe der Handlung als symbolische Reise | |
herausstellt. Ob die Geschichte zunächst wirklich im sächsischen Görlitz | |
spielt, bleibt unbeantwortet, es gibt aber Indizien wie das Kennzeichen von | |
Lutz’ Auto. Beide Figuren sind dabei auf einer Suche: Irsa nach ihrem | |
Vater, Lutz nach moralischer Erlösung. | |
Diese Suche bringt die zwei Figuren dazu, ihre Unterschiede zu überwinden | |
und eine ungewöhnliche Beziehung aufzubauen, die berührend und zugleich | |
fragil wirkt. Der Film zeigt, wie zwei Menschen, die nichts miteinander zu | |
tun haben, durch ein gemeinsames Ereignis dennoch auf eine moralisch | |
fragwürdige und doch seltsame Art und Weise verbunden werden können. | |
Die Kameraführung von Ben Bernhard (auch bekannt für [1][„Alle reden übers | |
Wetter“]) ist passend zum Konzept des Films. Es werden gezielt Handkameras | |
eingesetzt, um den Szenen mehr Nähe und Intensität zu verleihen. Der | |
Zuschauer blickt selten aus der Distanz einer totalen Einstellung, sondern | |
bleibt nah an den Figuren, wodurch die Emotionen und die Konflikte der | |
Figuren umso spürbarer werden. | |
Die Authentizität des Settings trägt ebenfalls zur Stimmung des Films bei: | |
Die Baustelle in Deutschland wirkt roh und kalt, während Albanien dann im | |
warmen Sonnenlicht erstrahlt und eine kontrastierende Atmosphäre von | |
Sehnsucht vermittelt. | |
## Leichte Momente, schwere Schuldgefühle | |
Auch die Geräuschkulisse unterstützt diese Authentizität. Man hört das | |
Dröhnen der Maschinen und das Klirren von Bauzäunen, wodurch man sich als | |
Zuschauer fast selbst auf der Baustelle fühlt. Der Soundtrack ergänzt diese | |
Stimmung perfekt, insbesondere in Szenen wie der, als Irsa den Kopf aus dem | |
Autofenster hält und die Sonne ihr Gesicht streift, während poppige | |
balkanische Musik im Hintergrund läuft. | |
Auf ihrer Reise entwickeln Lutz und Irsa eine recht seltsame Beziehung | |
zueinander. Sie streiten, sie schreien sich an und machen Witze, die dann | |
doch durch Momente des Vertrauens gestärkt werden. Szenen wie die, in der | |
Lutz für Irsa Tampons kauft, die sie zuvor an der Tankstelle klauen wollte | |
und dabei erwischt wird und Lutz aus Scham ihr die Tampons und dazu noch | |
einen Teddy schenkt, sorgen für leichte Momente, die zum Schmunzeln | |
einladen. | |
Diese Auflockerung steht im Kontrast zu den tieferen Themen des Films wie | |
Lutz’ Schuldgefühlen über den Tod von Irsas Vater, den er zu vertuschen | |
versucht hat. | |
Die Darstellung von Irsa bleibt besonders in Erinnerung. Angjela Prenci | |
verkörpert mit dieser Rolle eine freche, mutige Protagonistin, die trotz | |
ihres jungen Alters mit bewundernswerter Entschlossenheit ihren Weg geht. | |
Peter Schneider als Lutz überzeugt ebenfalls. | |
Seine inneren Konflikte, seine Schuldgefühle und seine Zerrissenheit werden | |
eindrucksvoll vermittelt, und dennoch wird deutlich, dass Irsa, und nicht | |
Lutz, die wahre Hauptfigur des Films ist. Trotz der Leichtigkeit, die durch | |
Irsas jugendlichen Charakter in den Film einfließt, bleibt die emotionale | |
Schwere von Lutz’ Schuldgefühlen stets spürbar. | |
„Rohbau“ ist ein Film, der auf mehreren Ebenen funktioniert: Als Roadmovie | |
und als Sozialdrama. Tuna Kaptan zeigt in seinem Debütfilm großes Gespür | |
dafür, schwere Themen auf leichte Weise zu vermitteln, ohne dabei an Tiefe | |
zu verlieren. Ein feinfühliger Film, der sowohl emotional berührt als auch | |
zum Nachdenken anregt. | |
25 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Derya Türkmen | |
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