# taz.de -- Ross-Brüder über ihren neuen Roadmovie: „Als Jugendliche waren … | |
> Bill und Turner Ross schicken in „Gasoline Rainbow“ eine Gruppe | |
> Jugendlicher auf einen Roadtrip. Wie läuft Reisen ohne Plan und Filmen | |
> ohne Drehbuch? | |
Bild: Liebenswürdige Jugendliche: die Protagonisten von „Gasoline Rainbow“… | |
Seit über 15 Jahren drehen die Brüder Bill und Turner Ross gemeinsam Filme | |
und haben sich im US-Independent-Kino ihre eigene kleine Nische geschaffen. | |
Eine Art Cinéma verité der amerikanischen Provinz, wahrhaftige und präzise | |
Beobachtungen von Protagonist*innen fernab privilegierter | |
Bürgerlichkeit, ohne feste Drehbücher und mit einem Hang zum | |
Dokumentarischen und Improvisierten. So auch im Fall ihres neuen Films | |
„Gasoline Rainbow“: Fünf Teenager aus einem Kaff in Oregon brechen auf zu | |
einem letzten Abenteuer, bevor die Jugend zu Ende geht. | |
taz: Bill und Turner Ross, zur Weltpremiere in Venedig sagten Sie, dass es | |
Ihren neuen Film „Gasoline Rainbow“ ohne die Coronapandemie nicht geben | |
würde. Zugleich basiert er auch auf Aufzeichnungen aus Ihrer Jugend, nicht | |
wahr? | |
Turner Ross: Als Teenager hatten wir im Austausch miteinander allerlei | |
Kurzgeschichten geschrieben, inspiriert von unserem Leben, über das | |
Aufwachsen in einer Kleinstadt in Ohio. Komplett ad acta gelegt haben wir | |
diese Gedanken nie. | |
Bill Ross: Immerhin war das ein Dokument unserer Jugend, eine Erinnerung | |
ans Jungsein. Aber als dann die Pandemie die Welt zum Stillstand brachte, | |
hatten wir plötzlich sehr viel Zeit, uns unseren Gedanken zu widmen – und | |
wir dachten viel zurück an jene Jahre in der Provinz. Wir blickten aus dem | |
Fenster und sehnten uns in die Ferne. Ein bisschen wie damals, als wir | |
davon träumten, was am Ende der großen Straße liegen könnte, die durch | |
unseren Ort führte. Plötzlich war diese Sehnsucht, von zu Hause | |
auszubrechen und die Welt zu entdecken, wieder ganz präsent. Wir kramten | |
also unsere alten Geschichten hervor und erinnerten uns an unsere damaligen | |
Gefühle. Das war die Basis für „Gasoline Rainbow“. | |
Ihr Blick auf diese Gefühle und das Jungsein ist doch aber über 20 Jahre | |
später sicherlich ein ganz anderer? | |
Bill Ross: Oh ja, absolut. Als Jugendliche waren wir unglaublich naiv. | |
Nicht dass wir nicht auch heute noch damit beschäftigt sind, die Welt und | |
uns selbst zu verstehen. Aber damals hatten wir natürlich noch keinerlei | |
Referenzrahmen für das Leben, nur jede Menge Hoffnungen und keinerlei | |
Mangel an Selbstbewusstsein. Das ist doch das Tolle an der Jugend. | |
[1][Gerade durch unsere Geschichten von damals] haben wir aber eben auch | |
heute nicht komplett vergessen, wie sich das damals anfühlte. Entsprechend | |
viel Empathie hatten wir nun für die Kids, die wir ins Zentrum unseres | |
Films rückten. Aus Mangel an Erfahrung so ungemein selbstsicher und | |
zuversichtlich zu sein, wirkt auf Erwachsene manchmal irritierend. Aber wir | |
sind alle mal so gewesen, und ich glaube, es braucht nur etwas Geduld und | |
Güte, um sich selbst in diesen jungen Menschen wiederzuerkennen. | |
Was erklären würde, warum Ihre eigene Mutter über „Gasoline Rainbow“ sag… | |
es sei Ihr zugänglichster Film … | |
Turner Ross: Davon waren wir selbst überrascht. Warum kann sie ausgerechnet | |
mit dieser Gruppe Teenager mehr anfangen als mit anderen unserer Filme? | |
Aber ihre Antwort war natürlich einleuchtend: Ich war selbst mal ein | |
Teenager mit ähnlichen Ängsten und Hoffnungen. | |
War es Ihr erklärtes Ziel, einen Film zu drehen, der universell zugänglich | |
und verständlich ist? | |
Turner Ross: Zu versuchen, jeden Geschmack zu bedienen, das klingt | |
irgendwie gefährlich. Das kann eigentlich nicht das Anliegen von Kunst | |
sein, oder? Aber wir ermahnen uns schon immer wieder, dass wir in unseren | |
Filmen nicht so speziell werden, dass außer uns selbst da niemand Zugang zu | |
findet. Der Wunsch bei „Gasoline Rainbow“ war schon, dass das Publikum am | |
Ende nicht nur [2][die Erfahrungen dieser Kids wahrnimmt, sondern | |
vielleicht auch über die eigene Jugend nachdenkt]. Eine gewisse | |
Durchlässigkeit sollte es geben, damit andere Menschen irgendwo andocken | |
können. Die gelungenste Kunst ist für mich die, deren Rezeption es | |
ermöglicht, individuelle Gedankenräume zu öffnen. | |
Die Jugendlichen im Film brechen in Oregon ohne wirklichen Plan Richtung | |
Pazifik auf. Auch das eine Erinnerung an früher oder Ausdruck Ihres bis | |
heute anhaltenden Freiheitswunsches? | |
Turner Ross: Beides, würde ich sagen. [3][Unser eigener Roadtrip] in jenem | |
Alter umfasste damals deutlich mehr Straftaten, um es mal so auszudrücken. | |
Die Kids, die wir für unseren Film fanden, waren da anders. Aber wir reisen | |
heute noch gerne so: ohne große Pläne, Vorbereitung oder Ziele. Wir nehmen | |
lieber die wenig befahrenen Umwege als die Hauptstraßen, halten an und | |
sprechen mit den Menschen, denen wir begegnen. Wir trampen auch gerne – und | |
es ist nicht so lange her, dass ich das letzte Mal auf einen fahrenden Zug | |
aufgesprungen bin. Unterwegs zu sein heißt für uns, uns in der Welt zu | |
verlieren und entdecken, wer sie bewohnt. Bei unserem Onkel an der Wand | |
stand der Spruch „Wer zu Hause bleibt, lernt nichts kennen“. Das ist ein | |
gutes Mantra, finde ich. | |
Sie erwähnten gerade, dass die Teenager, die Sie für „Gasoline Rainbow“ | |
fanden, anders waren als Sie in Ihrer Jugend. In welcher Hinsicht? | |
Bill Ross: Die größte Überraschung war für uns eigentlich, wie | |
liebenswürdig die alle waren. Und ich glaube, ihre Neugier und Offenheit | |
war deutlich größer als unsere damals in den neunziger Jahren. | |
Halten Sie das für einen generellen Generationsunterschied oder lag das | |
einfach konkret an diesen Individuen? | |
Turner Ross: Schwer zu sagen. Mich würde es jedenfalls sehr optimistisch | |
stimmen, wenn unser Ensemble exemplarisch wäre für ihre Altersgenossinnen | |
und -genossen heute. Auf jeden Fall fiel uns das jetzt in der Arbeit mit | |
ihnen schon sehr auf, wie viel weniger oppositionell die Kids drauf zu sein | |
scheinen, im Vergleich zu unserer Generation. Wenn in unserer Jugend jemand | |
anders war als die anderen, dann wurde das thematisiert, er wurde | |
ausgegrenzt oder mindestens komisch angeguckt. Heute scheinen die | |
Reaktionen eher zwischen Achselzucken und „oh, cool, du bist anders“ zu | |
liegen. Ich finde das großartig. | |
Auch mit den Teenagern haben Sie wieder ohne festgelegte Dialoge und echtes | |
Drehbuch gearbeitet, sondern sie vor allem machen lassen und einfach mit | |
der Kamera begleitet. Trotzdem mussten Sie ja irgendwie die Zügel in der | |
Hand behalten. Wie genau lief dieser Arbeitsprozess ab? | |
Bill Ross: Natürlich haben wir bestimmte Vorstellungen und Ideen, aber die | |
Kids haben auch sehr viel Freiheit, ihr eigenes Ding zu machen. Wir trafen | |
uns jeden Morgen und sprachen darüber, von welcher Ausgangslage aus wir in | |
den Tag starten und welche Themen man vielleicht besprechen könnte. So als | |
grobe Richtlinie, weil wir zumindest einen Leitfaden für die Geschichte des | |
Films hatten. Aber wenn die Kameras einmal liefen, dann war es das. Es gab | |
kein Dialog-Drehbuch und es rief auch nie irgendwer „cut“. | |
Turner Ross: Am Ende sieht „Gasoline Rainbow“ nun durchaus so aus, wie wir | |
uns das ausgemalt hatten. Aber keine der wunderbaren Situationen und | |
Begegnungen, aus denen der Film besteht, standen in unserem Entwurf, mit | |
dem wir das Projekt begonnen hatten. Denn die Geschichte wird von denen | |
erzählt, die darin vorkommen. Nichts war geplant, aber alles passierte | |
innerhalb des Rahmens, den wir uns vorgestellt hatten. Unsere Aufgabe war | |
es einfach, die Bedingungen und den Raum dafür zu schaffen, dass dieses | |
Ergebnis dabei herauskommen kann. | |
Selbst die Begegnungen mit anderen Menschen waren nicht geplant? | |
Bill Ross: Einige entstanden tatsächlich rein zufällig. Andere waren | |
insoweit geplant, dass wir gezielt Menschen – wohlgemerkt keine | |
Schauspieler – „gecastet“ haben, die mit unseren Kids interagieren sollte… | |
Turner Ross: Aber es gab ja nie ein Filmset im eigentlichen Sinne und wir | |
wussten nie, wie diese Aufeinandertreffen tatsächlich ablaufen würden. | |
Davon, dass wir für den sechswöchigen Dreh natürlich einen gewissen | |
Zeitplan im Kopf hatten und wussten, dass wir grob drei Drehtage für einen | |
Tag im Film hatten, bekamen die Kids nichts mit. | |
11 Jun 2024 | |
## LINKS | |
[1] /The-Souvenir--Part-II-im-Kino/!5873568 | |
[2] /Gen-Z-im-Portraet/!6007001 | |
[3] /Regisseur-Hirokazu-Koreeda-ueber-Broker/!5919004 | |
## AUTOREN | |
Patrick Heidmann | |
## TAGS | |
USA | |
Jugendkultur | |
Film | |
Independent | |
Regisseur | |
Roadmovie | |
Spielfilm | |
Roadmovie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Roadmovie „Kannawoniwasein“: Noch schöner als Tschick | |
Wiese, Wald, Baum und ein Unsinn, der sich gewaschen hat: Im Film | |
„Kannawoniwasein“ gehen zwei Kinder auf abenteuerliche Reisen. | |
Horror-Romanze „Bones and All“ im Kino: Ein unstillbares Verlangen | |
„Bones and All“ ist ein blutiges Roadmovie über junge Kannibalen. Trotz | |
verstörender Szenen ist es auch ein Film über eine alles verzehrende Liebe. | |
US-Roadmovie mit Kind und Journalist: Auf Zeitgeistreise | |
Joaquin Phoenix streift in „Come on, Come on“ als Journalist mit seinem | |
Neffen durch die USA. Mike Mills inszeniert ihre Freundschaft als | |
Roadmovie. |