# taz.de -- Roadmovie „Kannawoniwasein“: Noch schöner als Tschick | |
> Wiese, Wald, Baum und ein Unsinn, der sich gewaschen hat: Im Film | |
> „Kannawoniwasein“ gehen zwei Kinder auf abenteuerliche Reisen. | |
Bild: Finn und Jola zusammen auf Abenteuerreise | |
[1][Wolfgang Herrndorf] hat für seinen Über-Bestseller „Tschick“ die | |
Mythos-Muster der Jugendbücher, die ihn als Kind faszinierten, sehr bewusst | |
nachgebaut. Ein Aufbruch, die Erwachsenen werden verbannt, der Held oder | |
die Helden treffen ein faszinierend wildes Mädchen, eine Reise nach | |
Roadmovie-Art, bei der die jugendlichen Helden Abenteuer erleben und die | |
dabei auftauchenden Probleme auf ihre Art lösen. Martin Muser hat für sein | |
Jugendromandebüt „Kannawoniwasein“ von 2018 dieses Erfolgsmodell | |
seinerseits mit großem Erfolg reproduziert. | |
Nun gibt es, fünf Jahre später, den Film – und Stefan Westerwelles | |
Kino-Version ist fast noch schöner als [2][Fatih Akins] auch schon | |
gelungener „Tschick“-Verfilmungsversuch, für die Heldenreise durch | |
Deutschland unverbrauchte Bilder zu finden. | |
Der zehnjährige Finn (Miran Selcuk) wird von seinem Vater Volkan, der einen | |
Veggie-Catering-Service betreibt, in die Bahn gesetzt und zur Mutter | |
geschickt, die ihn keineswegs bei sich haben will. Im Zug wird ihm der | |
Rucksack geklaut, mit Ticket und Handy und Geld, die Polizei als | |
Ordnungsmacht greift ihn sich, und er entkommt aus dem Auto. | |
Was der Polizistin und dem Polizisten, die auch lieber im Bett wären als | |
bei der Arbeit, das erste „Kannawoniwasein“ entlockt. Finns Retterin war | |
aufgetaucht aus dem Nichts: Jola (Lotte Engels), selbstbewusst, blond, | |
blaue Strähne im Haar. Sie hat den Mut, der Finn für das Abenteuer gefehlt | |
hat. | |
## Erwachsene sind Ausgeburten von Quatsch | |
Hinaus geht es, aus der Gefangenschaft, ins freie Feld. Alles sehr | |
buchstäblich, wobei die Buchstäblichkeit sich dabei mit der | |
Fantasieproduktion bestens verträgt. Außer den Eltern sind die | |
Erwachsenenfiguren, die ins Bild kommen, hintereinander weg hinreißende | |
Ausgeburten von Quatsch, von der gestrengen Transvestitin im Sex-Shop über | |
die Verkäuferin am Wegesrand bis zum alten Fritz, der mit dem Auto | |
vorbeikommt, voll kostümiert und ein bisschen weich in der Birne. | |
An die Stelle des Lada, mit dem die Jungs in „Tschick“ unterwegs sind, | |
tritt ein altersschwacher Trecker, mit dem sich gemächlich in Richtung Meer | |
sehnen lässt. Das Meer ist die Ostsee, also nichts richtig Großes, aber für | |
den Sehnsuchts-Hausgebrauch muss es reichen. | |
Nach Roadmovie-Art kommt der Plot eher langsam voran. Er braut sich in | |
Gestalt einer Motorradrocker-Bande zusammen, die von einer Frau mit dem nie | |
erklärten Namen Hackmack (Leslie Malton) angeführt wird. Hier ist Finns | |
Rucksack gelandet, hier muss er sich, mit Jola immer dabei, als Held mit | |
List, Tücke und viel Mut beweisen, und tut es. | |
## Raum für den Eindruck der Landschaft | |
Schöner aber als die Bewährungsgeschichte sind die Blicke ins Freie, die | |
Regisseur Stefan Westerwelle und der Kameramann Martin Schlecht Jola und | |
Finn und auch der Zuschauerin und dem Zuschauer gönnen. | |
Die Kamera fliegt, es lebe die friedliche Drohne, sie liegt in der Luft, | |
sie fliegt auf, sie fliegt davon, sie fliegt manchmal rasant, manchmal eher | |
gemächlich, aber nie sperrt sie die Figuren ins Bild. Es ist neben dem | |
Fliegen viel Zeit für den Wind, der durch die Natur fährt, ein Rascheln und | |
Flüstern der Bäume, es ist Raum für den Eindruck der Landschaft, die nicht | |
einfach nur eine Durchquerungswelt ist, sondern ihre eigene, aber nie | |
überbetonte, sondern wie nebenbei herausgestrichene Schönheit besitzt. | |
Dazu muss sie nicht erhaben sein, das Einfache ist gut genug: Wiese und | |
Wald und Baum, und dazwischen ein Unsinn, der sich gewaschen hat, eine | |
Genugtuung, die nicht ausbleibt, eine Gefahr, deren Überwindung gelingt. In | |
„Kannawoniwasein“ wird kein Rad neu erfunden. Alles ist Bewegung im Mythos, | |
aber weil alles daran stimmt, ist es schön. | |
6 Jan 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Biografie-ueber-Autor-Wolfgang-Herrndorf/!5949623 | |
[2] /Fatih-Akins-Rheingold/!5887554 | |
## AUTOREN | |
Ekkehard Knörer | |
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