| # taz.de -- Neue Serie „Nackt über Berlin“: Tschick und Tschaikowski | |
| > Die Fernsehserie„Nackt über Berlin“ handelt von jugendlichen | |
| > Außenseitern. Darin wird ziemlich viel masturbiert und gekotzt. | |
| Bild: Tai und Jannik bei der Tortenschlacht | |
| Fetti und Fidschi werden sie von ihren Mitschülerinnen genannt. Mobbing auf | |
| dem Schulhof, nennt man das. Das pädagogische Vermögen des vorbeilaufenden | |
| Direktors beschränkt sich darauf, dem Fetti Geheißenen mitzugeben: „Wehr | |
| dich, du bist doch ein Kräftiger!“ | |
| Und ob sie sich wehren, Jannik und Tai, die Außenseiter, die Freunde, die | |
| einen sofort an das Protagonistenduo in Wolfgang Herrndorfs Roman und | |
| [1][Fatih Akins Film „Tschick“] denken lassen. | |
| Nur dass ihr Ausbruch aus den ihnen widrigen Verhältnissen sie nicht auf | |
| einen Roadtrip in Richtung Walachei führt – sie wählen quasi die | |
| entgegengesetzte Strategie. | |
| Sie quartieren sich in der leerstehenden Wohnung in einem der neuen Türme | |
| aus Stahl und Glas in Berlins Mitte ein, gleich neben dem Direktor | |
| (Thorsten Merten), gegen den sie sich wehren, indem sie ihn in seinem neuen | |
| High-Tech-Domizil einschließen, ihn von der Außenwelt abschneiden, ihm | |
| irgendwann, nach ein paar Tagen, sogar Wasser und Strom abdrehen. Was als | |
| schon nicht ganz so harmloser Dumme-Jungen-Streich begonnen hat, eskaliert, | |
| wird zur Folter. | |
| ## Ein Streich eskaliert | |
| Und die Freundschaft der beiden Jungen wird infrage gestellt. Denn Jannik | |
| muss sich fragen, ob das scheinbar einer spontanen Idee entsprungene | |
| Unternehmen von Tai (Anh Khoa Tran), der vietnamesische Wurzeln hat, nicht | |
| eigentlich ziemlich akribisch vorbereitet wurde. | |
| Und ob Tais Erwiderung der zärtlichen und wenig platonischen Gefühle, die | |
| Jannik für ihn empfindet, wirklich echt oder möglicherweise nur | |
| vorgetäuscht ist. Kurz, ob Tai lediglich ein mit allen Wassern gewaschener | |
| Schlawiner oder doch ein hinterfotziger Manipulator ist. | |
| Jannik wird von dem fantastischen Lorenz Germeno gespielt. Der im Jahr 2004 | |
| geborene Schauspieler liegt – wie sein gut zwei Jahrzehnte älterer | |
| Regisseur – mit seinem BMI jenseits des Normalgewichts, was es ihm in der | |
| jüngsten [2][„TKKG“]-Filmadaption (2019) ermöglicht hat, das zweite „K�… | |
| „Klößchen“ also, zu spielen. (Ältere Leser/Hörer werden sich erinnern, … | |
| das „T“ einst für „Tarzan“ und dann für „Tim“ stand. Ob es nicht … | |
| der Zeit ist für eine weitere Namensaktualisierung?) | |
| ## Große Schauspielkunst | |
| Und besagter Regisseur ist kein Geringerer als [3][Axel Ranisch], bekannt | |
| geworden mit „Dicke Mädchen“, seinem Abschlussfim an der Filmhochschule | |
| Konrad Wolf, der hier in sechs Episoden nichts anderes verfilmt hat als | |
| seinen Debütroman „Nackt über Berlin“. „Dieser Roman bin ich, trotzdem … | |
| alles erfunden“, zitiert der Verlag seinen Autor. Also alles wie immer, | |
| wenn da einer „autofiktional“ erzählt. | |
| Das Motiv des Schwimmlehrervaters, der mit seinem sensiblen, | |
| übergewichtigen, homosexuellen Sohn fremdelt, gab es schon in „Ich fühl | |
| mich Disco“, damals mit Ranischs Stammschauspieler Heiko Pinkowski in der | |
| Vaterrolle. Der ist auch jetzt wieder mit von der Partie, aber die | |
| Vaterrolle hat ein deutlich fieser agierender Devid Striesow übernommen, | |
| der mit Ranisch im Radio regelmäßig über klassische Musik parliert. | |
| Im alten Trainingsanzug und in der Rolle des Sportfunktionärs hat er nun | |
| wenig Verständnis für das musikalische Interesse seines TV-Sohnes mit dem | |
| Hausheiligen Tschaikowski („Er wollte damals die Sängerin Désirée Artôt | |
| heiraten. Aber seine Freunde haben dann die Hochzeit verhindert, weil sie | |
| wussten, dass er … dass er gar nicht auf Frauen steht“). | |
| ## Spritzen für die Männlichkeit | |
| Bei einem kalten Bier will der Vater mit Jannik „jetzt mal von Mann zu | |
| Mann“ reden: „Also, die Mama und ich, wir freu’n uns natürlich, dass du | |
| jetzt ’n Kumpel hast. Aber der Tai, der is ja eben ’n Junge. Ja und dann | |
| noch die Sache mit deinem Übergewicht!“ Es wird immer grotesker und läuft | |
| darauf hinaus, dass er seinem Sohn von einem mit der Verabreichung von | |
| Hormonen bestens vertrauten Sportarzt Testosteron spritzen lassen will. | |
| Die anschließende (Alb-)Traumszene in bewusst wackeliger Kulisse, in der | |
| Jannik die Zwangsspritze imaginiert, erinnert ein bisschen an die Ästhetik | |
| in [4][Woody Allens] Film „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten …�… | |
| in dessen letzter Episode es um die männliche Ejakulation geht. Wurde schon | |
| erwähnt, dass in „Nackt über Berlin“ ziemlich viel masturbiert wird? Und | |
| gekotzt? | |
| Man sollte sich aber nicht täuschen. In vermeintlichen Plansequenzen, in | |
| denen Ranisch seine beiden Protagonisten durch die verschachtelten | |
| Innenräume des [5][Lichtenberger Dong Xuan Centers] schickt, demonstriert | |
| er buchstäblich en passant, dass er sich durchaus auf virtuose Bilder | |
| versteht. Wenn er denn will. | |
| 12 Oct 2023 | |
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| [3] /Axel-Ranisch-ueber-seinen-Film-Alki-Alki/!5246484 | |
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| [5] /Deutschlands-groesster-Asia-Markt-in-Berlin/!5940448 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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