# taz.de -- Axel Ranisch über seinen Film „Alki, Alki“: „Fremdbestimmtse… | |
> In Ranischs neuem Film geht es um Alkohol und um Abhängigkeit. Das | |
> Suchtverhalten kennt der Regisseur gut. Allerdings nicht mit Schnaps. | |
Bild: Sieht gut aus. Kann böse Folgen haben. | |
taz: Herr Ranisch, Ihre improvisierten, aus dem Leben gegriffenen Filme | |
werden häufig als deutsche Variante des amerikanischen Mumblecore-Kinos | |
bezeichnet. Auch Sie filmen aus dem Alltag Ihrer Protagonisten heraus. | |
Können Sie mit diesem Vergleich etwas anfangen? | |
Axel Ranisch: Inzwischen weiß ich ja, was damit gemeint ist. Leider habe | |
ich aber bis heute keinen dieser amerikanischen Independent-Filme geschaut, | |
auch wenn ich das mal nachholen sollte. Ich komme von der Medienpädagogik. | |
Da haben wir mit Laien und einer Digitalkamera innerhalb einer Woche einen | |
Film gedreht, ihn einem Publikum gezeigt, dann sind wir zum nächsten | |
Workshop gefahren. So fing ich an, Filme zu machen. Später habe ich dann an | |
der Filmhochschule gelernt, es richtig zu machen. Am Ende wollte ich, wie | |
alle anderen Studenten auch, einen großen Diplomfilm drehen mit viel Budget | |
und großem Team; doch musste ich irgendwann feststellen, dass nach fünf | |
Jahren Drehbucharbeit die Geschichte nichts mehr mit meinen Ideen zu tun | |
hatte. Da habe ich gesagt: „Schluss!“ Und beschlossen, es wie früher zu | |
machen. | |
So ist Ihr Spielfilmdebüt „Dicke Mädchen“ entstanden. Ein | |
Überraschungserfolg, der auch auf internationalen Festivals gefeiert wurde. | |
Aber die Dreharbeiten waren eben wie ein Kaffeekränzchen! Da kam gar nicht | |
dieses Gefühl auf: Wir drehen einen Film. Wir, die drei Darsteller Heiko | |
Pinkowski, Peter Trabner, meine Oma und ich, hatten uns eine Geschichte und | |
die Szenenfolgen überlegt. Dann ging es los. Ich stand da mit der Kamera, | |
obendrauf ein Mikrofon befestigt, und schaute mir an, was da so vor sich | |
ging, rannte gegebenenfalls hinterher. Das Schöne an meinem Beruf ist es, | |
den Schauspielern bei der Arbeit zuzuschauen. Und die dürfen bei mir ja | |
machen, was sie wollen. Ihre Ideen, auch ihre Probleme mit den Figuren | |
werden dankend aufgegriffen. | |
Ihre Filme sind dabei von einer großen Zärtlichkeit geprägt, wie in Ihrem | |
Blick auf die beiden rundlichen Männer, die in „Dicke Mädchen“ ihre | |
Zuneigung füreinander entdecken. Oder auf den pummeligen Jungen in „Ich | |
fühl mich Disco“, der sich gern als Schlagersänger verkleidet. Ist diese | |
Nähe zu den Figuren das Resultat Ihres Arbeitsstils? | |
Das ist eine lange, mit der Zeit auch in die Tiefe gewachsene | |
Zusammenarbeit; deshalb arbeite ich auch gerne mit denselben Schauspielern. | |
Über zwei Jahre haben wir an unserem neuen Film „Alki, Alki“ gebastelt, uns | |
eine Vergangenheit für die Figuren ausgedacht. Dann proben wir. Etwa das | |
Zusammensein der Familie beim Frühstück. Oder die Reaktionen, wenn die | |
Hauptfigur Tobias betrunken nach Hause kommt. Wir proben viel, aber eben | |
nicht genau die Szenen, die in dem Film vorkommen. Die eigentliche | |
Geschichte, die Dialoge, entstehen erst vor der Kamera, deshalb ist es auch | |
ganz wichtig, dass wir chronologisch drehen, damit man in der Geschichte, | |
in den Gefühlen drin bleibt. Die Schauspieler spielen bei mir nicht, die | |
dürfen wirklich die Figuren sein. | |
Sie verschaffen diesen Figuren aber gern auch noch einen Auftritt: Szenen, | |
in denen sie sich selbst inszenieren. | |
Mir ist schon wichtig, dass meine Figuren natürlich, alltäglich sind. Aber | |
ich mag es sehr, sie auch mit den absurden und übersinnlichen Momenten des | |
Lebens zu konfrontieren. Ich will ja nicht nur das blanke Leben zeigen. | |
Wenn sie sich verkleiden, [1][wenn sich der Junge aus „Ich fühl mich Disco“ | |
in Schale wirft], wenn sich Sven in „Dicke Mädchen“ entkleidet wie ein | |
Aborigine fühlt und in den See springt, dann kommen in diesen Momenten doch | |
noch andere Facetten der Figuren zum Vorschein. Man kann mit ihnen auf | |
Entdeckungsreise gehen, vielleicht lernt man sogar ihr wahres Ich dabei | |
kennen. | |
Kann man solche Filme auch weiterhin drehen, wenn man statt 500 Euro Budget | |
plötzlich eine halbe Million zur Verfügung hat? | |
Das Budget ändert doch nichts an der Herzlichkeit und Nähe zu den Figuren. | |
Auch bei „Alki, Alki“ bin ich weiterhin der Spielleiter, wie es im Abspann | |
steht. Ich habe auch schon als Regisseur gearbeitet, etwa bei der | |
Kinderserie „Löwenzahn“. Bei unchronologischen Drehs muss ja einer den | |
Überblick bewahren – und das ist der Regisseur. Er muss auch Entertainer | |
sein, während der vielen technischen Wartezeiten. Beim Spielleiten muss man | |
anders wach sein, offen für die Kreativität der Darsteller, für das, was | |
sie einbringen. Das geht aber besser, wenn man statt mit 50 nur mit 15 | |
Menschen am Set steht. Wir teilen unsere Filme in Arien und Rezitative ein. | |
Könnten Sie das mit Beispielen aus Ihrem aktuellen Film „Alki, Alki“ | |
veranschaulichen? | |
Bei den Rezitativen dürfen die Schauspieler das machen, wonach ihren | |
Figuren gerade zumute ist. Meistens sind das die Momente, in denen die | |
Probleme verhandelt werden. Wenn Anika ihren Mann zum ersten Mal mit seiner | |
Alkoholkrankheit konfrontiert oder wenn sie ihm später vor dem Therapeuten | |
sagt, dass sie nicht möchte, dass er wieder mit nach Hause kommt. In diesen | |
Momenten muss die Kamera einfach hinterher kommen, da spielt die | |
Ausleuchtung keine so große Rolle. Aber es gibt eben auch, ich sage mal: | |
gestaltete Bilder. Da passiert vielleicht nicht so viel, da darf die Kamera | |
mal schauen, wie sie die Emotion einfangen kann; was für Gefühle überhaupt | |
in der Luft liegen. Im besten Fall entsteht aus dieser Kombination dann ein | |
einziger Erzählfluss. | |
Ihre ersten zwei Filme haben auch autobiografische Züge. Es geht um | |
dickliche Menschen, ums Coming-out. Wie sind Sie jetzt mit dem Suchtthema | |
umgegangen? | |
Ich kenne die Sucht genauso, das ist jetzt bei mir nicht die Alkoholsucht, | |
sondern offensichtlich eher ein Problem mit der Ernährung (lacht): 20 Kilo | |
weniger und ich würde mich schon rein gesundheitlich sehr viel wohler | |
fühlen. Das ist wirklich keine ästhetische Frage mehr, das Aussehen war in | |
meiner Jugend bedeutsam. Aber das Fremdbestimmtsein kenne ich zu gut. Wenn | |
man mit Freunden beim Vietnamesen sitzt, möchte man so einen schönen | |
leichten Salat mit Rindfleisch bestellen, die anderen legen mit | |
Kokosnusssuppe, Frühlingsrolle und fettem Entengericht los. Wenn ich an die | |
Reihe komme, bestelle ich plötzlich dasselbe. Just in diesem Moment, wo ich | |
die Bestellung abgegeben habe, komme ich zu mir und frage mich: „Wer hat | |
denn da gerade gesprochen?“ Das ist diese Art von Schwäche, Aussetzer, die | |
ich allzu gut kenne. Ich kann Suchtverhalten wahnsinnig gut nachvollziehen. | |
Wir sitzen hier in der Wohnung Ihrer Eltern in Berlin-Lichtenberg. | |
Inwiefern war oder ist dieser Stadtteil für Sie prägend? Immerhin ist er | |
auch Schauplatz Ihrer Filme. | |
Dieser Kiez hat mich extrem sozialisiert. Auch diese Wohnung. Als meine | |
Eltern vor einigen Jahren ausgezogen sind, bin ich hier rein, weil ich mir | |
nicht vorstellen konnte, dass hier jemand anders lebt als ein Ranisch. Dann | |
wäre die Wohnung meiner Kindheit weg gewesen, die auch ohne viele Freunde | |
eine glückliche war – durch die unvorstellbare Liebe meiner Eltern und | |
Großeltern. Das hat mich geprägt, auch das Leben in einem Plattenbau. Wir | |
haben ja damals Neubau gesagt. Ich kämpfe ganz stark dagegen, dass das hier | |
mit sozialer Verwahrlosung gleichgesetzt wird, mit einem Außenseiterdasein. | |
Das Tolle an diesen großen Gebäuden ist, dass hier alle wohnen; dass man | |
von außen nicht sieht, wie die Menschen gesellschaftlich gestellt sind. | |
Hinter jeder Tür wartet eine andere Geschichte. Ich lasse meine Filme gerne | |
in Plattenbauten spielen, auch wenn sie keine Sozialdramen sind. | |
11 Nov 2015 | |
## LINKS | |
[1] /Low-Budget-Film-%E2%80%9EIch-fuehl-mich-Disco%E2%80%9C/!5056055/ | |
## AUTOREN | |
Anke Leweke | |
## TAGS | |
Alkohol | |
Spielfilm | |
Fernsehen | |
Rosa von Praunheim | |
Rosa von Praunheim | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
ARD-Film „Über Barbarossaplatz“: Überall bloß Therapeuten | |
Die ARD traut sich mal wieder was. Am Dienstag um 22.45 Uhr läuft Jan | |
Bonnys „Über Barbarossaplatz“. Ein fabelhafter und experimenteller Film. | |
Film über Jugend des Regisseurs: Praunheim begins | |
In Berlin präsentierte Rosa von Praunheim seinen neuesten Film „Praunheim | |
Memories“ mit vielen Wegbegleitern seiner Geschichte. | |
Low-Budget-Film „Ich fühl mich Disco“: Liebeserklärung an die Jugend | |
Vater Hanno gibt sich Mühe, alles richtig zu machen – und macht viel | |
falsch. „Ich fühl mich Disco“ ist ein zärtlicher Film über eine | |
Vater-Sohn-Beziehung. | |
Nachwuchsfilmer über Themen und Geld: „Erst Seele, dann Form“ | |
„Dicke Mädchen“ und „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel… | |
Zwei Filme von Nachwuchsregisseuren, die man sich merken sollte. Ein | |
Gespräch. |