| # taz.de -- Nachwuchsfilmer über Themen und Geld: „Erst Seele, dann Form“ | |
| > „Dicke Mädchen“ und „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mitt… | |
| > Zwei Filme von Nachwuchsregisseuren, die man sich merken sollte. Ein | |
| > Gespräch. | |
| Bild: „Dicke Mädchen“ hatte ein Budget von 517,32 Euro. | |
| taz: Herr Pinkowski, Sie drehen gerade in Hamburg, sind nur für dieses | |
| Interview nach Berlin gekommen. Warum wollten Sie so gern dabei sein? | |
| Heiko Pinkowski: Weil das eine herrliche Konstellation ist: Peter und ich | |
| mit den Regisseuren von zwei Filmen, in denen wir beide mitgespielt haben | |
| und die uns beiden wichtig sind. | |
| Peter Trabner: Das müssen wir jetzt sagen. | |
| Warum sind Ihnen die Filme wichtig? | |
| Trabner: „Kohlhaas“ war für mich als relativer Filmneuling eine Chance, mit | |
| großartigen Kollegen zusammenzuarbeiten. Bei „Dicke Mädchen“ konnte ich a… | |
| Schauspieler, wie immer bei Axel, auch dramaturgisch in die Geschichte | |
| eingreifen, sie mitgestalten. | |
| Pinkowski: Als Schauspieler in diesen Filmen können wir uns von diesen | |
| ganzen weichgespülten Fernsehrollen erholen. Das ist ein großes Geschenk. | |
| Das Problem ist nur, dass meine Mitwirkung in diesen Filmen auch ein | |
| Geschenk ist, ich damit keinen Cent verdiene, aber ja irgendwie meine | |
| Familie ernähren muss. Studentenfilme sind kreativ unglaublich bereichernd, | |
| man muss sie sich aber auch leisten können. | |
| „Dicke Mädchen“ hatte ein Budget von 517,32 Euro, und „Kohlhaas oder die | |
| Verhältnismäßigkeit der Mittel“ erzählt von einer Filmproduktion, der die | |
| Finanzierung wegbricht. Welche Rolle spielt Geld für Sie? | |
| Axel Ranisch: Mein Professor Rosa von Praunheim hat uns immer gesagt: Wenn | |
| ihr eine gute Geschichte habt und das Herz am richtigen Fleck, dann könnt | |
| ihr einen Film drehen, sofort, auch ohne Mittel. Das ist die Errungenschaft | |
| der neuen Zeit mit diesen preiswerten, einfach zu bedienenden Kameras. Man | |
| kann einfach loslegen. | |
| So war es auch bei „Dicke Mädchen“. Nachdem ich drei Jahre lang am Drehbuch | |
| für meinen ursprünglich geplanten Diplomfilm herumgeschrieben hatte, hatte | |
| ich die Schnauze voll, wollte endlich wieder Regie führen. Also haben wir | |
| einfach angefangen, zu drehen, in der Wohnung von Omma, mit Omma in der | |
| Hauptrolle. Ein Befreiungsschlag. Ob daraus jemals ein Film werden würde, | |
| war nicht klar. Jetzt ist es mein Diplomfilm geworden, und zwar der | |
| schönste, den man überhaupt hätte machen können. | |
| Lehmann: Wir sind aber keine Hobbyfilmer. Es ist definitiv nicht mein Ziel, | |
| dass auch bei den nächsten Filmen meine Eltern die Brötchen schmieren. | |
| Ranisch: „Dicke Mädchen“ hätte nie im Leben jemand finanziert: Eine | |
| Liebesgeschichte zwischen zwei dicken Männern, die damit beginnt, dass der | |
| eine neben seiner dementen Mutter im Ehebett aufwacht, weil die | |
| zusammenleben. | |
| Lehmann: Ich kann mir gut vorstellen, dass das vielleicht nicht der, aber | |
| ein Weg ist, in Zukunft Filme zu machen. Dass man sagt: Du hast dieses | |
| Budget, mach dazu einen Film. Und dass es nicht mehr andersherum ist: dass | |
| du deine über Jahre gewachsene Idee an allen Ecken und Enden kastrieren | |
| musst, um sie in ein absurdes Budget und einen lächerlichen Drehzeitraum zu | |
| pressen. | |
| „Dicke Mädchen“ und „Kohlhaas“ sind Ihre Abschlussfilme. Wie geht es | |
| weiter? | |
| Ranisch: Der Erfolg von „Dicke Mädchen“ hat ermöglicht, dass ich jetzt den | |
| seit langen Jahren geplanten Film endlich drehen kann, und zwar mit einer | |
| viel größeren Freiheit, als ich mir das je hätte erträumen können. Außerd… | |
| haben wir einen Kinderfilm in der Pipeline, der ist zu 90 Prozent | |
| abgedreht. Und für nächstes Jahr haben wir schon ein ganz tolles Projekt, | |
| wieder mit Peter Trabner und Heiko Pinkowski in den Hauptrollen. Auch wenn | |
| ich mir vorstellen kann, die nächsten Jahre erst mal so selbstbestimmt | |
| weiterzuarbeiten, hoffe ich doch, dass danach nicht sämtliche Redakteure | |
| und Produzenten des Landes sagen: Dem Mann kann man kein Drehbuch geben. | |
| Der kann nur Improfilm. | |
| Lehmann: Ich mache als nächstes einen „Komödienstadl“. Der neue Redakteur | |
| beim BR gibt jungen Regisseuren die Chance, sich auszuprobieren, ein | |
| Volkstheatererlebnis für die Zuschauer zu Hause zu kreieren, ohne den | |
| Schenkelklopferhumor der letzten Jahre. Dafür werde ich ordentlich bezahlt | |
| und muss mich als bayerischer Heimatfilmer nicht mal verbiegen. | |
| Was hat Ihnen das Regiestudium in Potsdam gebracht? | |
| Lehmann: Das Wertvollste an der Studienzeit war, mit so vielen Kreativen | |
| auf so engem Raum zu sitzen und aufzusaugen, wie die anderen arbeiten. Und | |
| man redet natürlich unglaublich viel miteinander. Ein Freund und | |
| Kommilitone hat mir mal, fast als Kompliment, gesagt: „Also Lehmann, ein | |
| Ästhet bist du nicht.“ Stimmt – deswegen wär ich kein guter Werbefilmer. | |
| Ich mag’s laut, wild und bunt. Bei mir gilt: erst Seele, dann Form. | |
| Ranisch: Ja, genau! Ich bin auch kein Perfektionist. Es ist mir total | |
| wurscht, ob irgendwo was unscharf ist, wenn das, was vor der Kamera | |
| passiert, gut ist. | |
| Lehmann: Perfektionist bin ich nicht, aber ich kriege die Krise, wenn ich | |
| das Gefühl habe, jemand im Team gibt nicht sein Bestes. Ich halte viel vom | |
| Prinzip der latenten Überforderung: dass man sich immer Aufgaben stellt, an | |
| denen man fast scheitern muss. | |
| Wie wichtig ist das Team? | |
| Ranisch: Mir ist es ganz wichtig, Leute um mich zu haben, denen ich | |
| vertraue. Heiko und ich etwa kennen uns seit acht Jahren und haben schon | |
| mehr als zehn Filme miteinander gedreht. Wir müssen beim Dreh nicht mehr | |
| groß sprechen. Ganz oft reichen Blicke. Wir haben einander gefunden. | |
| Genauso will ich Filme machen. | |
| Lehmann: Ich arbeite zwar auch immer wieder mit neuen Kollegen zusammen, | |
| aber ich brauche einen Grundstock von Leuten, die mir Sicherheit geben, | |
| Glück bringen wie ein Talisman. Mit meinem Tonmann Kai etwa habe ich alle | |
| meine Filme bisher gemacht. | |
| Ranisch: Was macht denn der Kai in den nächsten zwei Monaten? | |
| Lehmann: Ruf ihn doch mal an. | |
| Sie teilen Ihren Tonmann? | |
| Ranisch: Aron und ich stehen nun wirklich nicht in Konkurrenz zueinander. | |
| Lehmann: Wir stehen zusammen. | |
| Ranisch: Als ich Arons Erstjahresfilm an der Filmhochschule gesehen habe, | |
| dachte ich: Endlich einer, der mich versteht, der auch Geschichten mit | |
| Humor und Herz erzählt. | |
| Pinkowski: Nach solchen Filmen spüre ich einen ungeheuren Bedarf. | |
| Meinen Sie damit das, was im „Sehr guten Manifest“ Ihrer gemeinsam mit Axel | |
| gegründeten Produktionsfirma „Rohdiamant“ genannt wird: „kantig, charmant | |
| und extravagant“? | |
| Pinkowski: Ja, und das Schöne ist, dass das auf vier der fünf bei First | |
| Steps nominierten Langfilme zutrifft. | |
| Ranisch: Wer seine ersten Filme mit einem kleinen Budget macht, hat viel | |
| mehr Möglichkeiten, seine Handschrift zu entwickeln und zu etablieren. Das | |
| kann man allen Filmstudenten nur mit auf den Weg geben: Verfeuert euch | |
| nicht. Der erste Film muss nicht eine Million Euro kosten. Der Druck bei | |
| solchen Produktionen ist ungesund groß. | |
| Am Ende von „Kohlhaas oder die Verhältnismäßigkeit der Mittel“ steht das | |
| Kleist-Zitat: „Ein freier, denkender Mensch bleibt da nicht stehen, wo der | |
| Zufall ihn hinstößt.“ Was bedeutet Ihnen dieses Zitat? | |
| Lehmann: Das ist das Herz des Films. Das Zitat bedeutet mir alles, und ich | |
| glaube, es bedeutet dem Kohlhaas alles, und ich finde, es sollte jungen | |
| Menschen alles bedeuten. | |
| Allen Menschen? Oder besonders jungen Filmemachern? | |
| Lehmann: Nein. Der Regisseur im „Kohlhaas“ ist für mich nur eine Metapher | |
| für einen Menschen mit einer Idee, die er gegen alle Widerstände umsetzen | |
| möchte. | |
| Ranisch: Mir ist im „Kohlhaas“ ein anderes Zitat besonders wichtig. Der | |
| Lehmann sagt: „Wenn du es fühlst, ist es nicht lächerlich.“ Das finde ich | |
| für meine Filme so unglaublich wichtig, gerade auch im Zusammenhang mit | |
| „Dicke Mädchen“. Es geht um so viele Themen: Demenz, Homosexualität, dicke | |
| Menschen, Plattenbau. Du könntest das alles problematisieren, du kannst es | |
| aber auch im Leben ankommen lassen. Und wenn es da angekommen ist, wird es | |
| zur Normalität. Dann können sich die Leute hineinversetzen und mitfühlen. | |
| Und dann kann man auch ganz unaufdringlich politisch werden. | |
| 20 Aug 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| David Denk | |
| ## TAGS | |
| Alkohol | |
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