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# taz.de -- ARD-Film „Über Barbarossaplatz“: Überall bloß Therapeuten
> Die ARD traut sich mal wieder was. Am Dienstag um 22.45 Uhr läuft Jan
> Bonnys „Über Barbarossaplatz“. Ein fabelhafter und experimenteller Film.
Bild: Bibiana Beglau und Joachim Król sind zwei fabelhafte Hauptdarsteller
Der Axel-Ranisch-„Tatort“ ganz ohne Drehbuch, Schauspieler und Suspense
waren ja vor einem Monat auch deshalb so ein Ärgernis, weil zu befürchten
ist, dass sein In-die-Hose-Gehen Wasser auf die Mühlen der Adenauerhörigen
unter den Fernsehbeamten ist: keine Experimente. Schluss jetzt mit
Handkamera und Originalton.
Umso glücklicher darf man sein, wenn nun – gerade zur rechten Zeit also –
Jan Bonny als schwarzer Ritter Ivanhoe des ARD-„Experimentalfilms“ um die
Ecke geritten kommt und sich nicht von einem Sendeplatz am späten
Dienstagabend aufhalten lässt. (Eigentlich zeigt die ARD ihre Filme, mit
denen sie ganz gelegentlich doch noch etwas will, mittwochs um 20.15 Uhr).
Bonny tritt bravourös den Beweis an, dass improvisierte Dialoge (Buch:
Hannah Hollinger) sich nicht banal und gestelzt anhören müssen, sondern
authentisch, wahrhaftig – ja echt klingen können. Solange sie von echten
Schauspielern improvisiert werden.
Die drei famosen, fantastischen, fulminanten Hauptdarsteller Bibiana
Beglau, Joachim Król und Franziska Hartmann haben ihr Handwerk alle
ordentlich gelernt. Beglau und Król blicken auf lange Filmografien zurück.
Für Franziska Hartmann, die seit 2009 am Thalia Theater in Hamburg spielt,
ist es die erste richtig große Filmrolle. Wie sehr sie Bonny überzeugt
haben muss, kann man auch daran sehen, dass er sie für seinen Ende Mai
programmierten Borowski-„Tatort“ schon wieder besetzt hat.
Jan Bonny werde schon als der neue Fassbinder gehandelt, heißt es oft so
passivisch über den Regisseur. „Über Barbarossaplatz“ böte
Filmwissenschaftlern eine gute Gelegenheit, den kolportierten Vergleich im
Detail zu überprüfen. Bonny selbst kommentiert ihn lieber mittelbar im
Film: In einer Hotelbar zählt der angesäuselte Król die Fassbinder-Werke
„Acht Stunden sind kein Tag“, „Händler der vier Jahreszeiten“ und „D…
bitteren Tränen der Petra von Kant“ auf. Und der Barkeeper antwortet: „Ich
kenn nur ,Stirb langsam 3'.“ Humor ist also vorhanden. Als Signal ist das
nicht ganz unwichtig. Sonst wäre der Film kaum auszuhalten. So hart wäre
er.
Das fängt schon beim Setting an, das auch zu Fassbinders Zeiten so
ausgesehen haben könnte. Selten sah die Köln prägende
Lochfenster-Nachkriegsarchitektur gar so unwirtlich aus.
Bonny zeigt eine Parallelwelt, in der es nur Therapeuten und ein paar
Patienten zu geben scheint. In der Regel haben Psychotherapeuten im TV
ausgesucht geschmackvolle Räume – in „The Sopranos“, „In Treatment“ …
„Bloch“. Doch die hier verhandelten Fälle sind offenbar so verkorkst, dass
Interior Design keine Rolle spielt.
In Sachen Sex, Saufen und Exzess scheinen sich die Therapeutin Greta
Chameni (gespielt von Bibiana Beglau) und ihre suizidgefährdete Patientin
(Franziska Hartmann) zu verstehen. Die Asche von Chamenis gerade
verstorbenem Mann (Suizid) kippt sie von der Autofähre in den Rhein.
Joachim Król spielt den ehemaligen Therapeuten der Therapeutin. Sein Vater
(ebenfalls verstorben) war übrigens Supervisor von Beglaus verstorbenem
Mann. Der wiederum war Hartmanns Therapeut. Es liegt in der krassen
Binnenlogik des Films, dass Hartmann nun von Beglau therapiert werden will
und wird.
Was sich als Inhaltsangabe absurd liest, sieht im Film auch so aus. Es ist
die große Kunst von Regisseur und Schauspielern, dass es gleichwohl so echt
aussieht. Man darf sich auf die geplante Fortsetzung von „Barbarossaplatz“
freuen. Genauso wie auf Jan Bonnys und Franziska Hartmanns „Tatort“ am 21.
Mai.
28 Mar 2017
## AUTOREN
Jens Müller
## TAGS
Fernsehen
Suizid
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Grimme-Preis
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Alkohol
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