# taz.de -- ZDF-Doku „Das letzte halbe Jahr“: Mit 15 hat man noch Träume | |
> Wenn im Ort die Schule nur bis zur 10. Klasse geht, steht früh die erste | |
> Trennung an. Im ZDF werden 15-Jährige auf ihrem Weg zum Abschluss | |
> begleitet. | |
Bild: So viel Zeit muss sein: Hanna mit Gesichtsmaske vor dem Abschlussball | |
„Das kleine Fernsehspiel“ des ZDF ist so eine Institution, um die es einem | |
immer etwas bange ist. Wie lange wird sich der Haussender von Peter Hahne, | |
Carmen Nebel und Richard David Precht diese eine letzte Spielwiese für den | |
jungen und experimentellen Film überhaupt noch leisten? | |
Wie schwierig es für den kleinen Film ist, hat erst in der vergangenen | |
Woche der andere, noch größere öffentlich-rechtliche Sender bewiesen, als | |
er seinen für den frühen Mittwochabend geplanten, großartigen, harten, | |
spröden Film [1][„Über Barbarossaplatz“] auf einen viel späteren Termin … | |
Dienstagabend strafversetzte. In „Über Barbarossaplatz“ wurde auch Rainer | |
Werner Fassbinders „Händler der vier Jahreszeiten“ zitiert: ein einst | |
(1971) vom „kleinen Fernsehspiel“ des ZDF geförderter und gesendeter Film. | |
Heute Abend nun zeigt „Das kleine Fernsehspiel“ die Doku „Das letzte halbe | |
Jahr“. Auf der Presseseite des ZDF wird der um 23.50 Uhr ausgestrahlte Film | |
von Anna Wahle als „Kinder-/Jugendfilm“ angekündigt – vermutlich weil se… | |
Protagonisten alle 15 Jahre alt sind. Aber das ist gar nicht mal der Punkt. | |
Coming-of-Age-Filme sind ein absolut klassisches Genre. Mit den erst | |
zwölfjährigen Jungs aus Rob Reiners „Stand by Me“ von 1986 kann man auch | |
volljährig noch gut mitfiebern. Die erleben allerdings auch was. Das ist | |
dann schon eher der Punkt. | |
Josh, Hannah, Laura, Leonie, Philipp und Tobi wohnen alle im nordhessischen | |
Neukirchen. „Ich glaub, wenn man alt ist, kann man hier gut leben. Aber | |
wenn man 15 ist, ist es echt scheiße“, sagt Josh ganz am Anfang aus dem | |
Off. Das denken natürlich alle Fünfzehnjährigen über ihren Wohnort, immer | |
schon, vor allem aber wenn sie, wie die meisten Jugendlichen in | |
Deutschland, irgendwo auf dem Land aufwachsen. | |
Nichts wie raus also aus dem Einfamilienhausidyll – sein Abitur möchte Josh | |
im 123 Kilometer entfernten Frankfurt machen. So erklärt sich der | |
Filmtitel: Die örtliche Steinwaldschule geht nur bis zur zehnten Klasse, | |
die ist in sechs Monaten vorbei, danach werden sich die sechs | |
Fünfzehnjährigen auf verschiedene auswärtige Schulen – in Alsfeld oder | |
Melsungen oder auch Frankfurt – verteilen. Der Film begleitet sie auf | |
diesem letzten gemeinsamen halben Jahr, am Ende stehen Prüfungen und eine | |
Art vorgezogene Abi-Feier an. | |
## Was anziehen? Und was antworten? | |
Da stellt sich zum Beispiel für Leonie die ohnehin existenzielle Frage – | |
was anziehen? – in verschärfter Weise: „Ich bin trotzdem total | |
unentschlossen. Hab in den letzten Wochen bestimmt 30 Kleider bestellt.“ | |
Man geht, wie alle neunten oder zehnten Klassen, zusammen ins | |
Berufsinformationszentrum (BIZ): „Im Moment gibt es in Deutschland über | |
16.000 eigenständige Studienzweige.“ Hoppla, das sind ja ein paar mehr | |
geworden seit … Und was Josh dann passiert: „Jule hat geschrieben, ob sie | |
mich auf dem Festnetz anrufen kann. Das hat sie noch nie gemacht.“ Seine | |
Freundin wird telefonisch mit ihm Schluss machen – das allerdings hat es | |
früher schon gegeben. | |
Ganz normale Fünfzehnjährige haben hier die Probleme von ganz normalen | |
Fünfzehnjährigen. Der Einzug der sogenannten sozialen Medien hat nur zur | |
Folge, dass der Zuschauer die Jugendlichen nun ständig vor dem Computer | |
oder mit dem Smartphone auf dem Bett sitzen sieht. An der Visualisierung | |
der digitalen Kommunikation haben sich schon viele Filmemacher versucht. | |
Anna Wahle zeigt anstelle von abgefilmten echten lieber animierte | |
Bildschirmoberflächen. Was für den Zuschauer die Lesbarkeit erleichtert. | |
Mehr aber auch nicht. | |
„So entsteht auf authentische, witzige und zugleich berührende Weise eine | |
Erzählung von den Turbulenzen des Heranwachsens jenseits der Großstädte“, | |
verspricht das ZDF. Mit der Authentizität ist das so eine Sache beim | |
Dokumentarfilm. Als vor zehn Jahren [2][„Prinzessinnenbad“], jener tolle | |
Coming-of-Age-Dokumentarfilm über drei fünfzehnjährige Mädchen in | |
Berlin-Kreuzberg, auch für seine Authentizität hochgelobt wurde – haben | |
sich die Mädchen hinterher bitter beklagt. Sie fanden sich von der | |
Regisseurin bloßgestellt, in Rollen gesteckt. | |
Mag sein, dass Anna Wahle genau das nicht wollte. Mag sein, dass die | |
Einblicke in die Leben von Josh, Hannah, Laura, Leonie, Philipp und Tobi | |
genau deshalb so banal aussehen. | |
3 Apr 2017 | |
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## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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