| # taz.de -- „The Souvenir – Part II“ im Kino: Der Film als Film im Film | |
| > Mit „The Souvenir – Part II“ setzt Regisseurin Joanna Hogg ihre | |
| > autobiografische Erinnerung an die Achtziger fort. Sie tut es in | |
| > verschachtelter Form. | |
| Bild: In Trauer: Julie (Honor Swinton Byrne) in „The Souvenir – Part II“ | |
| „Ich komme hier nicht weiter, wenigstens ein Drehbuch wäre schön!“, bekla… | |
| sich vehement der junge Kameramann bei seiner Regisseurin und | |
| Filmschul-Kollegin Julie, nachdem sie immer wieder die Kameraposition | |
| geändert haben will. Sie sagt nichts, ein naives Lächeln verrät jedoch ihre | |
| tiefe Unsicherheit. | |
| Es ist ja auch keine einfache Aufgabe, die sich Julie mit ihrem | |
| Abschlussfilm gestellt hat: die eigene Trauer nach dem plötzlichen Tod | |
| ihres charismatischen, etwas älteren Freunds Anthony zu inszenieren. Von | |
| ihm bekommen wir in „The Souvenir – Part II“ nur die allgegenwärtige | |
| Abwesenheit mit. | |
| [1][Joanna Hoggs Fortsetzung ihres autobiografischen, mehrfach | |
| ausgezeichneten Spielfilms „The Souvenir“ (2019)] wirkt wie eine | |
| Matrjoschka, in der das „echte“ und das „gefilmte“ Leben ineinander | |
| verschachtelt sind. Wie erzählt man das eigene Leben, in einer Phase von | |
| Trauer und Zerbrechlichkeit, 40 Jahre danach? | |
| Hogg entscheidet sich für vielfältige Register, mal so realistisch, wie es | |
| nur geht – Julie schlüpft in eine fast journalistische Rolle, wenn sie | |
| mehrere Menschen, die Anthony kannten, wörtlich interviewt –, mal völlig | |
| surreal, nahezu durchgeknallt: Julie, die sich in ihrem Abschlussprojekt | |
| selbst spielt, schwebt in das Gemälde „Le Souvenir“ (1778) des | |
| französischen Malers Jean-Honoré Fragonard hinein und landet über eine | |
| imaginäre Treppe in einer traumähnlichen Welt, in der sie zeigt, dass sie | |
| alles andere als naiv sein kann. | |
| Hogg benutzt hier zum Teil genau dieselben Einstellungen und | |
| übernatürlichen Motive wie in ihrem wirklichen Abschlussfilm „Caprice“ von | |
| 1986, wo die junge Hauptfigur durch das Cover des gleichnamigen | |
| Modemagazins in eine oberflächliche, bunte Welt eindringt und ihre Idole | |
| enttarnt. | |
| Um alle Ebenen noch etwas mehr miteinander zu vermischen und zu verbinden: | |
| Die Hauptdarstellerin in „Caprice“ war [2][Tilda Swinton], damals Mitte | |
| zwanzig und noch als Matilda im Abspann genannt, die in der Rolle von | |
| Julies wohlhabender Mutter auch in beiden Teilen von „The Souvenir“ | |
| mitwirkt, und im wahren Leben die Mutter von Honor Swinton Byrne ist – die | |
| „selbstverständlich“ Julie spielt. | |
| So verwickelt das alles auch klingen mag, gelingt es Hogg in „The Souvenir | |
| – Part II“, einen überhaupt nicht forcierten oder artifiziellen Zugang zur | |
| Erinnerung der eigenen Vergangenheit zu gewähren. | |
| Manchmal tut sie das mit Längen: Einige Szenen in Julies geschütztem, reich | |
| geblümten, ländlichen Elternhaus machen die Zeit Sekunde für Sekunde | |
| spürbar, das Zerbrechen einer Zuckerdose zum Beispiel wird zu einem | |
| erschütternden, bedrückenden Ereignis. Manchmal gewährt sie den Zugang | |
| sogar mit einer jugendlichen Rage wie in der wilden Liebesszene zwischen | |
| Julie und einem Schauspielkommilitonen aus der Filmschule. | |
| Abgesehen von ihrer persönlichen Geschichte reflektiert Joanna Hogg in „The | |
| Souvenir – Part II“ auch die schöpferische Kraft des Kinos. Die elegant | |
| eingebauten Filmzitate, von Musicals bis zu Klassikern von Orson Welles | |
| reichend, genauso wie die sparsam verwendeten 1980er-Jahre-Songs, von denen | |
| man nur kurze Ausschnitte zu hören bekommt und meistens erst nur eine | |
| Stimme erkennt (die von Nico zum Beispiel oder Mark Hollis von Talk Talk), | |
| sind nicht leere Kommentare zu dem, was wir auf der Leinwand sehen und | |
| hören, sondern eine Einladung, in die von Hogg geschaffene Version der | |
| eigenen Erinnerungen einzutauchen. | |
| Dass sie dabei [3][kein konventionelles Drehbuch benutzt] hat, versteht | |
| sich. | |
| 24 Aug 2022 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sara Piazza | |
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